Viel Lärm um nichts?
Das Land verschärft die Integrations-Regeln: Ausländer, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, erhalten keine Landesgelder mehr. Dabei gibt es in Südtirol nur zwölf „Schulverweigerer“ aus Nicht-EU-Staaten.
von Matthias Kofler
Das neue Integrationsgesetz des Landes ist Philipp Achammers Steckenpferd: Integration könne nur durch Leistung funktionieren, ist der SVP-Obmann und Landesrat überzeugt. „Wir wollen verhindern, dass sich in Südtirol Parallelgesellschaften bilden können.“
Im Omnibus-Gesetz von 2018 hat Achammer einen Artikel eingefügt, mit dem die Integrationsbestimmungen in Südtirol auf neue Füße gestellt werden sollen. Die Regeln sind mit Jahresbeginn in Kraft getreten. Demnach werden Sozialleistungen zugunsten von Drittstaatsangehörigen, die über die Grund- bzw. Kernleistung hinausgehen, an Integrationsauflagen und besonders an den Spracherwerb geknüpft. Entsprechend wird die Gewährung von Zusatzsozialleistungen an den Nachweis von Grundkenntnissen der beiden Landesssprachen Deutsch und Italienisch gekoppelt.
Seit heuer gelten für Nicht-EU-Bürger drei Voraussetzungen, um (Zusatz-)Sozialleistungen zu erhalten: die Kenntnis einer der Landessprachen Italienisch oder Deutsch, die Absolvierung eines Integrations-Kurses und die Erfüllung der Schulpflicht.
Zu den gekoppelten Leistungen gehören das Landesfamiliengeld und das Landeskindergeld sowie Darlehen für den Bau oder den Kauf von Wobi-Wohnungen.
Doch wie viele Migranten sind von den verschärften Bestimmungen überhaupt betroffen?
Die Grünen haben mittels einer Landtagsanfrage in Erfahrung gebracht, dass im Schuljahr 2017/18 gerade einmal zwölf SchülerInnen der deutschen Schule aus Nicht-EU-Ländern die Schule verweigert haben. In den ladinischen Schulen wurden keine „Schulverweigerer“ gemeldet. Die Zahlen an den italienischen Schulen liegen noch nicht vor. Zur besseren Einordnung: Im Schuljahr 2017/2018 besuchten 6.000 Kinder aus Nicht-EU-Staaten eine deutsch-, italienisch- oder ladinischsprachige Schule in Südtirol. Für Brigitte Foppa sind die zwölf „Verweigerer“ eine „lächerlich geringe Anzahl, die auf keinen Fall das Getöse rechtfertigt“.
Landesrat Achammer hat die Gesetzesreform damit gerechtfertigt, dass es „vielerlei Probleme mit nicht-integrationswilligen Migranten“ gebe, die durch eine Verschärfung der Bestimmungen behoben werden könnten. Fachleute hätten ihm die Notwendigkeit eines gewissen „Zwangs“ angeraten. „Anhand der nun vorliegenden Daten zeigt sich, dass das nur eine aufgebauschte Wahlkampf-Promo-Aktion war. Die Probleme mit ausländischen Schulverweigerern wurden vom Landesrat dramatisiert“, meint Foppa, wenngleich jedes Kind, das nicht zur Schule gehen dürfe, eines zu viel sei. Die Grüne ist überzeugt, dass man die zwölf Einzelfälle gesondert betrachten sollte. Die Drohung, finanzielle Leistungen zu kürzen, hält sie für den falschen Ansatz. „Hier stecken offensichtlich familiäre Probleme dahinter, derer sich die Sozialdienste annehmen sollten“, fordert die Grüne.
Kritisch sieht Brigitte Foppa auch die Koppelung der Sozialleistungen an Sprach- und Integrationskurse. Im Regierungsprogramm von SVP und Lega ist die Rede davon, dass Zuwanderer möglichst beide großen Landessprachen bzw. in den ladinischen Tälern auch die ladinische Sprache beherrschen sollten. „Hier ist man offensichtlich weit von der Realität entfernt. Wir stellen seit Jahren fest, dass die Zweisprachigkeitskenntnisse der einheimischen Bevölkerung sinken. Man verlangt von den Einwandern sogar mehr als von den Mitgliedern der Landesregierung, die auch nicht alle perfekt zweisprachig sind“, so Foppa.
Dass Ausländer mit den Landessprachen und den hiesigen Traditionen vertraut gemacht werden, sei an und für sich zu begrüßen. Sie kenne auch keine Migranten, die sich verweigert hätten, einen Kurs zu besuchen, wenn das entsprechende Angebot vorhanden ist. Allerdings hapere es hier bei der konkreten Umsetzung, befürchtet die Grüne. „Nehmen wir als Beispiel ein ausländisches Ehepaar in einem Dorf, wo beide Ehepartner einer Arbeit nachgehen, der Mann vormittags, die Frau abends. In dem Dorf müssten also zwei Sprachkurse angeboten und dafür auch genügend finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden.“ Foppa zitiert einen Professor an einer Volkshochschule in Wien, der jüngst auf die Frage, was solche Sprachkurse bringen, antwortete: „Diese Sprachkurse bringen etwas – und zwar der einheimischen Bevölkerung zu ihrer eigenen Beruhigung.“
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