Tod in Atzwang
Die Staatsanwaltschaft beantragt nach über zweijähriger Ermittlung die Einstellung des Strafverfahrens zum tödlichen Auto-Absturz im November 2016 an der Atzwanger Brücke mit zwei Toten. Was kommt jetzt?
von Thomas Vikoler
Die Staatsanwaltschaft Bozen hat die drei unter Ermittlung Stehenden lange zappeln lassen. Im vergangenen Frühjahr präsentierte Gerichtsgutachter Raffaele Mauro, Professor für Straßenbau an der Universität Trient, im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens am Landesgericht seine Expertise.
Dann gingen die Akten zurück an die Staatsanwaltschaft, die lange abwog, ob sie doch Anklage wegen fahrlässiger Tötung erheben sollte. Denn es ging in diesem Strafverfahren um einen tödlichen Unfall mit zwei Toten: Am 19. November 2016 stürzten Alessandro Conti, 23, aus Cavalese, und Giulia Valentini, 28, aus Baselga di Pine´ mit einem von Letzerer gelenkten Ford Fiesta an der Atzwanger Holzbrücke 15 Meter in den Eisack.
Der tragische Epilog einer Törggele-Partie in einem nahen Buschenschank.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konnten nicht definitiv klären, warum Giulia Valentini die Brückeneinfahrt verfehlt und den Wagen – geradeaus und mit höchstens 15 Stundenkilometern – über eine von einer Hecke verdeckte Randmauer ohne Leitplanke gelenkt hat. Sicher ist, dass der Ford Fiesta einen vor ihm fahrenden/stehenden BMW touchiert hat.
Die Ermittlungen sind nun abgeschlossen und bedeuten für drei Personen eine gute Nachricht: Die Staatsanwaltschaft hat nämlich die Einstellung der Verfahren wegen den Völser SVP-Bürgermeister Othmar Stampfer, Heinz Tschugguel, einen Projektanten einer früheren Sanierung der Straße Atzwang-Völserried (allerdings ohne formellen Auftrag) und den Obmann der Weginteressentschaft Christian Mair beantragt.
Grundlage des Archivierungsantrags bilden die beiden Gutachten des Professors Raffaele Mauro, das im Herbst 2017 hinterlegte Hauptgutachten und das im Frühjahr vorgelegte Zusatzgutachten.
Mit diesem wurde insbesondere die Rechtsrahmen abgesteckt, die in Sicherheitsfragen für einen Anrainerweg („strada interpoderale“) wie die Straße Atzwang-Völserried-Völs gilt. Weil sie dem Typ „F“ zugerechnet wird, gelten für sie nicht die allgemeinen Sicherheitsbestimmungen der Straßenverkehrsordnung und ein Rundschreiben des Transportministeriums aus dem Jahre 2001. Dieses Rundschreiben nimmt Straßen „besonderer Art“ des Typs „F“ ausdrücklich von Sicherheitsvorschriften aus, wie etwa die Anbringung von Leitplanken.
Ein weiteres Rundschreiben aus dem Jahre 2010 definiert derartige Straßen als solche, auf denen mit niedriger Geschwindigkeit (Schrittgeschwindigkeit) gefahren wird bzw. werden sollte: Forststraßen, Konsortialwege, Anrainerwege.
Besondere Tragik des Falles: Auf der rechten Seite der Brückeneinfahrt stand eine Leitplanke, auf der linken fehlte sie. Die Brücke ist inzwischen für den Autoverkehr gesperrt, wenige Monate nach dem tödlichen Unfall wurde eine neue, breitere Brücke in Betrieb genommen. Die Straße ist, als Folge des Unfalles, allein für Anrainer befahrbar.
Laut Gutachten bestand weder für die Gemeinde noch die Weginteressentschaft die allgemeine Verpflichtung, die Straße an jeder Stelle gegen Gefahren abzusichern. Allerdings war die Straße Atzwang-Völserried zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls, wie Gutachter Mauro schreibt, in einem „ordnungsgemäßen und sicheren“ Zustand.
Die Gutachter der Zivilparteien, insbesondere Fabio Boscolo, haben dies im Beweissicherungsverfahren entschieden bestritten. Boscolo beharrte – unabhängig von der Einstufung der Straße – auf der allgemeinen Sicherheitspflicht und beanstandete die Straßenbeschilderungen: Auf einen gefährlichen Abschnitt, wo man 15 Meter in die Tiefe stürzen konnte, hätte hingewiesen werden müssen.
Nun haben die Anwälte der Hinterbliebenen bzw. der Personen, die bei dem Absturz verletzt wurden, 20 Tage Zeit, Einspruch gegen den Archivierungsantrag der Staatsanwaltschaft einzulegen. Offenbar haben nicht alle Angehörigen diese Absicht.
Sicher ist bereits, dass zivilrechtlich allein gegen die Gemeinde Völs vorgegangen wird. Deren Versicherung (Uniqa) weigerte sich bisher (auch angesichts des Ergebnisses des Gerichtsgutachtens), Schmerzensgeld bzw. Schadenersatz zu zahlen.
Die Forderungen der Hinterbliebenen belaufen sich auf rund 1,5 Millionen Euro.
Nach dem Freispruch für den Bürgermeister von Lüsen, Josef Fischnaller, in einem Strafverfahren wegen eines Milchlaster-Unfalls auf einer Gemeindestraße, dürfte auch dieser aufsehenerregende Fall, zumindest in strafrechtlicher Hinsicht, ohne Schuldige enden.
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