Der Online-Boom
Gerade in der Vorweihnachtszeit wurde es evident: Der Online-Handel boomt, mit all seinen negativen Konsequenzen. Auch hierzulande schrillen bereits die Alarmglocken.
von Erna Egger
Große Auswahl, Shoppen rund um die Uhr, schnelle Lieferung, günstige Produkte und das mit Rückgabegarantie: Der Online-Handel boomt.
Obwohl wir uns mächtig über den zunehmenden Verkehr in Südtirol beschweren und uns besorgt über das Aussterben der Nahversorgung äußern, trägt meist jeder persönlich das Seinige zu dieser Entwicklung bei, wie sich beispielsweise beim
Internetgeschäft zeigt. Die Online-Bestellungen nahmen wieder einmal besonders zur Vorweihnachtszeit um ein Vielfaches zu. Schon Wochen vor dem Heiligen Abend sah man in jeder Ortschaft täglich zahlreiche Lieferautos von Speditionsfirmen zirkulieren, die Pakete auslieferten.
Daniel Schönhuber, Obmann des Handels- und Dienstleistungsverbandes Südtirol (hds) in Bruneck, blickt nach Deutschland und zitiert eine Umfrage zum Weihnachtsgeschäft von „Mentefactum“ mit 1.003 Befragten vom November 2018. „Nur 30 Prozent der Deutschen kaufen ihre Weihnachtsgeschenke beim lokalen Einzelhändler ein, die anderen 70 Prozent gehen ins Einkaufzentrum oder kaufen online. Ich bin mir sicher, dass die Zahlen in Südtirol ähnlich aussehen“, kommentiert Schönhuber.
Der GLS-Paketdienst hat bis zum vergangenen Jahr rund 70 Prozent der nationalen Amazon-Zustellungen abgewickelt. „Heuer hat Amazon den Versand auf mehrere Speditionsunternehmen verteilt. Deshalb haben sich unsere Zustellungen an Private etwas reduziert“, sagt der GLS-Mitarbeiter im Sitz in Brixen, Matteo Mocellini.
Im Speditionsunternehmen hat man in den letzten Jahren aber auch festgestellt: „Alljährlich haben die Online-Bestellungen im Vergleich zum Vorjahr um weitere 20 Prozent zugenommen.“
Besonders vor Weihnachten läuft das Geschäft: „Während wir unterm Jahr täglich rund 1.000 Pakete ausliefern, steigert sich die Anzahl in der Vorweihnachtszeit ab Ende November bis zu Weihnachten auf 3.000 Zustellungen täglich.“
Noch ein Phänomen ist feststellbar: Während noch vor Jahren rund 70 Prozent der Zustellungen an Firmen erfolgte, hat sich das Verhältnis mittlerweile umgekehrt: 70 Prozent der Pakete werden nun bei Privaten abgeliefert.
Die Mehrzweckerhebung der Haushalte 2018, durchgeführt vom Landesinstitut für Statistik ASTAT, gibt Aufschluss über das Südtiroler Konsumverhalten im Internet und bestätigt gleichzeitig Schönhubers Schätzung.
Eine Befragung im Jahr 2017 ergab: 34,4 Prozent der Männer und 26,8 Prozent der Frauen, die das Internet nutzen, haben in den letzten drei Monaten eine Internetbestellung vorgenommen. 10,9 Prozent der Männer und 8,8 Prozent der Frauen haben vor drei bis 12 Monaten eine Bestellung aufgegeben. 45 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen haben hingegen noch nie etwas online bestellt.
Die Altersgruppe von 18 bis 39 Jahren geben am häufigsten Bestellungen online auf (44,8 Prozent in den letzten drei Monaten), gefolgt von der Altersgruppe zwischen 40 und 64 Jahren (30 Prozent).
Je höher der Studientitel, desto mehr wird über Internet gekauft: 52,6 Prozent der Personen mit einem Universitätsabschluss, 42,8 Prozent mit Reifediplom und 28,1 Prozent mit einer Berufsausbildung haben in den letzten drei Monaten eine Internetbestellung getätigt.
Beim Familienstand – ob ledig, verheiratet oder getrennt – sind keine Unterschiede zu verzeichnen.
Unselbstständig Beschäftigte behelfen sich am häufigsten mit Internetkäufen (39,4 Prozent) gefolgt von den Selbstständigen (30,9 Prozent) und der nichterwerbstätigen Bevölkerung.
Mit 38,6 Prozent wird in Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern mehr bestellt als in ländlichen Gemeinden (24,5 Prozent).
In Deutschland schlagen Experten Alarm: In vielen deutschen Städten steigen die Leerstände, das Straßen- und Geschäftsbild wird immer monotoner, die Ortskerne bluten aus.
Selbige Befürchtungen um den Einzelhandel treten mittlerweile auch hierzulande auf. „Man spürt vermehrt, dass immer mehr online bestellt wird“, so Schönhuber. „Zurzeit wächst eine neue Generation heran, die mit dem Computer groß geworden ist. Nicht immer ist der Preis ausschlaggebend, die Kunden wollen nicht mehr warten, sie wollen immer alles sofort haben“, so der Kaufmann.
Die Folgen können gravierend sein, ist Daniel Schönhuber besorgt: „Zuerst erfolgt der Abbau der Mitarbeiter und dann die Schließung von Geschäften. In Konsequenz zieht dies negative Folgen für das Stadtbild, die städtische Entwicklung und den
Tourismus nach sich. Auch viele andere Berufszweige hängen direkt und indirekt von dieser Entwicklung ab.“
Immer wieder heißt es, dass die Geschäfte selbst Online-Handel betreiben sollen. Davon hält Schönhuber wenig: „Laut der deutschen Studie wird nur ein Prozent bei lokalen Geschäften online eingekauft. Das heißt: Zu 99 Prozent wird bei den großen internationalen Online-Warenhäusern wie Zalando und Amazon bestellt.“
Der Bruneckner Kaufmann will zum Nachdenken anregen. Wie kann man gegensteuern? „Leider kann der stationäre Handel nicht immer mit dem Internet mithalten“, so Schönhuber. Entscheidend für jeden lokalen Betrieb bleibe auf jeden Fall weiterhin die Umsetzung der eigenen Stärken. „Dazu gehören persönlicher Kontakt, Freundlichkeit, persönliche, fachkundige Beratung, Service, Vertrauen gegenüber dem Händler und dem Produkt, Nähe und Emotionen. Denn für viele Kunden wird das Angreifen und Ertasten eines Produktes immer wichtiger, nachdem viele nach ihrem Online-Einkauf enttäuscht wurden“, so der hds-Ortsobmann.
Er fordert aber auch Rahmenbedingungen ein: „Es braucht etwa eine gute und schnelle Erreichbarkeit, genügend Parkplätze, eine kunden- und besucherfreundliche Parkraumbewirtschaftung und entsprechende Öffnungszeiten der Betriebe. Das Einkaufsverhalten der Kunden hat sich geändert. Jeder will alles, ohne zu warten und ohne großen Aufwand. Dem ist Rechnung zu tragen“, erklärt der Ortsobmann.
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Kommentare (21)
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postfackisch
Ganz ehrlich entscheidet am Ende einfach der Preis. Bei bis zu 15% Verteuerung entscheide ich mich immer für lokales Einkaufen. Darüber hinaus sorry bestelle ich online.
Die Beratung hängt leider sehr vom Gegenüber ab und ist nicht grundsätzlich im Einzelhandel besser. Manchmal sind mir die negativen Kundenmeinungen wie z.B. auf Amazon wichtiger, als Beratungskriterien wie von diesem Produkt haben wir sehr viele verkauft und bis jetzt noch nie Probleme gehabt.
Was den Service betrifft ist glaube ich auch der Online-Handel besser, denn da kann ich das Produkt innerhalb 14 Tage umtauschen ohne Murren und bei Garantieleistungen verschickt mich der lokale Einzelhändler in der Regel auch an die Servicestellen des Herstellers.
carlotta
Ich kaufe immer lokal aber wenn das Lieblingsspiel in einer großen Spielzeuggeschäft 30 Euro (!) mehr kostet wie bei Amazon, ja dann sorry!! Bei aller Bereitschaft.. ich hab kein Geldscheisser daheim
roberto
Ein wahres Armutsbekenntnis über die lokale Brunecker Wirtschaftspolitik vom renomierten Kaufmann und HDS Ortsobmann. Es ist wahrlich nicht mehr viel dazu zu kommentieren. Die Seifenblase der gutgehenden Geschäfte in der Stadtgasse von Bruneck ist hiermit definitiv zerplatzt. Die Monopolstellung der Produkte in den jeweiligen Geschäften sowie die stratigischen Schachzüge des Brunecker Stadtmarketing sind überholt und hinfällig. Persönliche Beratung und Kundennähe sind bei globalen Markenprodukten uninteressant. Nur wer selbst produziert, anpasst und arbeitet hat lokale Überlebenschancen – der bequeme Business Bürosessel hat keine Funktion mehr.