Samt und Seide
Der Modedesigner und Autor Richard Vill hat die Geschichte von Samt und Seide im historischen Tirol erforscht. Das Ergebnis ist ein ebenso opulentes wie gründlich recherchiertes Buch über die reiche Textilgeschichte Tirols.
Halb verhungert und ohne Geld kam der Frauenheld Giacomo Casanova am 7. November 1756 nach seiner Flucht aus den venezianischen Bleikammern in Bozen an. Er brauchte dringend Geld, um sein exquisite Garderobe wieder in Ordnung zu bringen. Ohne kostbare Gewänder, Perücken und Parfüms war sein Ruf als Edelmann von Welt dahin und die Chance, den Damen zu gefallen sowie das Vertrauen einflussreicher Persönlichkeiten zu gewinnen gleich Null. Also lieh er sich bei dem Bozner Kaufmann Georg Anton von Menz Geld, kleidete sich bei dem bekannten Herrenschneider Baumgartner unter den Lauben neu ein und fuhr in einer gemieteten Kutsche weiter nach Innsbruck und München.
Die Geschichte von Casanovas Aufenthalt in Bozen nebst den obligatorischen Frauengeschichten ist literarisch von Sandor Marai in seinem Roman „Die Gräfin von Parma“ verewigt worden. In dem opulenten Buch von Richard Vill über die Geschichte von Samt und Seide im historischen Tirol bildet sie einen Farbtupfer in einem an sich schon buntfarbigen Panorama. In jahrelanger gründlicher Recherche hat der Südtiroler Modedesigner und Autor nach Dokumenten, Urkunden und Bildmaterial geforscht, um die Geschichte der edlen Stoffe vom Jahre 1000 bis 1914 umfassend zu dokumentieren.
Das Thema harrte einer genauen Aufarbeitung. Die zentrale Lage Tirols im Herzen Europas hat dazu geführt, dass heute eine Reihe von äußerst wertvollen textilen Kunstschätzen vorhanden sind, einige davon sogar einzigartig im internationalen Kontext. Unterschiedliche Objekte aus Samt und Seide, die prestigeträchtigsten Stoffe – von prachtvollen Tapisserien, liturgischen und profanen textilen Kostbarkeiten bis hin zur Mode aus vergangenen Jahrhunderten – bilden einzigartige Zeugnisse vergangener Pracht und Herrschaft, und vermitteln anschaulich die Geschichte jener Zeit. Die Stoffe und Gewänder sind entweder in der Region gefertigt oder für die wechselnden Herrscher angekauft worden und prägten damit das visuelle Gesicht des Tiroler Kulturraums. Wie bedeutend kostbare Textilien für die politische Repräsentation waren, expliziert das Buch ausgehend vom Hochmittelalter bis zum Untergang des Habsburgerreiches. Die berühmte „Uta –Kasel“ mit Stola im Stift Marienberg, die Mitren von Bischof Hartmann – eine in Brixen, eine in New York- , die flämischen Bildteppiche für Tirol, die prachtvollen Gewänder aus der Zeit von Claudia de Medici, das Sonnenburg Ornat, der Churburger Tischteppich und zahllose weitere Textilien behandelt das Buch.
Ein eigenes Kapitel ist dem europäischen Seidengewerbe mit dem Schwerpunkt auf die Maulbeer- und Seidenraupenzucht in Tirol sowie der Entstehung der Seidenindustrie in Rovereto und Ala gewidmet. Die Seidenproduktion im Süden des Landes, beginnend mit der Pflanzung von Maulbeerbäumen für die Seidenraupenzucht, und später mit der Produktion der Seidengarne und Seidenstoffe darf als eigentliche Grundlage des Wohlstandes im Trentino und Südtiroler Unterland gelten. (Heinrich Schwazer)
Richard Vill: Samt und Seide im Historischen Tirol,hrsg. im Verlag der Europäischen Textilakademie 412 Seiten mit 335 Farbbilder und 53 s/w Abb., 30 x 24 cm, Hardcover, Kapitalband, Leseband, fadengeheftet.
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