Tanzen in Los Angeles
Die junge Rittner Tanzlehrerin und leidenschaftliche Hip-Hop-Tänzerin Valentina Bagnis wagt jährlich einen Sprung in die Top-Tanzelite-Schulen in Los Angeles (USA). Ein Gespräch über das Loslassen-Gefühl, die besten Tänzer der Welt, AkzepTanz in der Gesellschaft, Stars & Sternchen und den Selbstfindungstrip beim Tanzen am anderen Ende der Welt.
von Roman Gasser
Valentina Bagnis ist durch und durch eine Tänzerin mit Leidenschaft. Sie bleibt ihrem jährlichen Ritual treu und wagt einen mehrwöchigen Trip nach Los Angeles, um sich dort weiterzuentwickeln und sich selber immer wieder auf die Probe zu stellen – und auch um zu sehen, wo sie sich im Vergleich zu den anderen weiterentwickeln kann. Hip-Hop spielt in ihrem Leben eine ganz wichtige Rolle. Durch diesen Musikstil kann sie ihr Bewegungstalent perfekt ausleben. In Südtirol gibt es das in dieser Form noch nicht. Valentina unterrichtet den Hip-Hop-Slang aus Los Angeles in Bozen und Umgebung und motiviert ihre Schüler. Sie lebt nach einem ganz einfachen Motto: Tanzen soll Energie geben und das Selbstvertrauen stärken. Die Tageszeitung verabredete sich mit Valentina zu einem Whatsapp-Facetime-Gespräch. Vom Bozner „Dörfchen“ über den großen Teich, in die Stadt, die niemals schläft, nach Los Angeles. Ein Blick in die Seele eines außergewöhnlichen Tanztalentes.
Tageszeitung: Valentina, was ist das Wichtigste beim Tanzen?
Valentina Bagnis: Es braucht Körperspannung, Körpergefühl und Koordination. Es sieht manchmal zwar leicht aus, es steckt aber sehr viel mehr dahinter, als es den Anschein hat.
Was unterscheidet uns Europäer von den Amis?
Wir lassen meiner Meinung nach einfach zu wenig zu. Leider leben viele in Südtirol immer noch nach dem Motto: was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Das stimmt mich traurig.
Wie wichtig ist der Kopf beim Tanzen?
Was mich so beeindruckt, es geht ja nicht nur ums Tanzen an sich, sondern um alles, was sich im Kopf abspielt, das macht es wirklich aus. Und das fasziniert mich einfach, du kannst mit der richtigen Einstellung alles schaffen und das Tanzen ist sinnbildlich dafür. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
Was hast du über dich selbst gelernt durch das Tanzen?
Wenn du anfängst professionell zu tanzen und hart zu trainieren, siehst du wie krass du dich mit dir selbst auseinandersetzen musst, und vor allem kommst du irgendwann zu den Punkt, wo du dich im Spiegel ansiehst und Frieden schließt. Auch charakterlich lernt man sich kennen. Um eine Performance glaubwürdig rüber zu bekommen muss man im Reinen mit sich selbst sein. Man lernt nur aus den Erfahrungen und aus Situationen, in denen man sich vielleicht unwohl fühlt. Wenn dir jemand sagt, du musst jetzt alleine vor 30 Leuten eine Tanz-Performance ablegen, dann bist du entweder eine Rampensau und dir taugt es oder du fühlst dich unwohl. Aber aus welcher Situation lernt man mehr für dich selbst? Tust du es oder kneifst du? Und das Gefühl des Unbehagens, dich selbst beim Tanzen im Spiegel anzusehen. Niemand bewertet dich, nur du selbst. Du musst dich mit dir selbst auseinandersetzen. Über andere zu urteilen ist einfach, aber wenn es mal einen selbst trifft dann ist das eine ganz andere Situation.
Also ist Tanzen eine Methode sich selber kennenzulernen, um sich selbst besser zu verstehen und um sich selbst zu akzeptieren? Eine Art Selbstfindungstrip?
Ja genau. Es fängt schon damit an, was dir alles aufgebürdet wird, oder welche Modetrends du gerade nachlaufen musst … alles ein absoluter Blödsinn. Bei den vielen jungen Leuten, die ich in meinen Tanzkursen hatte, oder auch in der Schule kennengelernt habe als ich unterrichtet habe, sehe ich, dass ein gesundes Selbstwertgefühl zur Seltenheit geworden ist, weil man denen von klein auf irgendwie eingetrichtert hat, du darfst ja nie aus der Reihe tanzen und ihnen das Gefühl gibt du bist nicht gut genug wenn du du bist– und das finde ich schrecklich. Viele Kinder trauen sich nicht, ihre Meinung kundzutun, weil sie Angst haben, was Falsches zu sagen. Lasst doch die Jungen so sein wie sie nun mal sind, wir sollten ihnen manchmal einfach mehr zutrauen– genau das kann man beim Tanzen am besten vermitteln.
Wie viele Regeln dürfen junge Menschen brechen?
Gewisse Grundregeln und Respekt müssen natürlich immer bestehen bleiben. Aber wenn ich zum Beispiel mit einem Hut mit Federn herumlaufen möchte oder während ich auf dem Bus warte, tanzen möchte, dann tu ich das und basta.
Also hat das Tanzen sehr viel mit dem Aufbau seines eigenen Selbstbewusstseins zu tun?
Ja, mit gesundem Selbstbewusstsein. Ein richtiges Selbstwertgefühl besitzt doch heute kaum noch jemand. Weil du von so vielen Seiten zuerst beobachtet und dann gleich anhand von falschen Standards bewertet wirst. Das ist der falsche Weg.
Was hat das jetzt mit der Musik gemein?
Genau deshalb liebe ich die Hip-Hop-Musik.
Und was macht den Hip-Hop so speziell?
Auch wenn alle dem gleichen Basisschritt folgen, jeder hat eine andere Art zu „grooven“ und das ist doch schön zu sehen, wenn alles perfekt synchron abläuft, und trotzdem jeder Tänzer unterschiedlich rüberkommt, das ist charaktervolles und authentisches Tanzen. Das alles kann man am besten beim Hip-Hop. Es entsteht eine Gruppe, aber trotzdem bleibt jeder ganz individuell in der Gruppe bestehen.
Was hat sich für dich in LA. Im Vergleich zum letzten Jahr verändert?
Mein letztjähriger dreimonatiger Aufenthalt hier in Los Angeles spielte sich mehr in meinen Kopf ab. Es war viel mehr psychisch aufzuarbeiten. Du stehst in der Tanzschule mit den vielen Talenten aus aller Welt und du musst dich in diesem überdimensional großen Spiegel anschauen. Dir wird wortwörtlich ein Spiegel vorgehalten und da kommst du nicht drumherum, du musst dir selbst beim Tanzen zusehen, dich korrigieren und anpassen. Der liebe Spiegel lügt niemals. Und hier passiert mental ganz viel. Meiner Meinung nach kannst du dich als Tänzer nicht verbessern, wenn du nicht mit dir selbst im Reinen bist.
Wie ist dein Tagesablauf? Wie geht dein Leben in L.A. von statten?
Als ich in L.A. ankam, habe ich mich in den Tanzschulen eingeschrieben. In New York, wo ich eine Woche auf Besuch war und auch hier in Los Angeles ist es so, wie wenn du Kaffee trinken gehen würdest. Du gehst in das Tanzstudio rein, du meldest dich an und schon geht es los. Natürlich gibt es unterschiedliche Klassen. Es gibt choreografierte Klassen, wo du die Choreographien lernst oder verfeinerst. Es gibt Groove-Klassen, wo durchgehend Musik läuft, und wo du verschiedene Grooves und Basisschritte lernst. Mein klassischer Tag: Morgens aus den Federn, frühstücken und ab in die Tanzschule, wo ich bis spät abends mehrere Klassen am Tag besuche.
Was nimmst du mit nach Hause?
Vor allem die Energie, die du hier überall intensiv spürst. Hier in Los Angeles bin ich von Menschen umgeben, die reihenweise positive Impulse senden. Positiv in diesem Sinne, weil sie die gleiche Passion haben wie ich. Bei uns in Südtirol ist so etwas noch unvorstellbar, ein Tanzstudio in welchem jeden Tag 500 Menschen zirkulieren – und wo eine Klasse bis zu 90 Tänzer und mehr aufweist. Somit ist es für mich schwer in Südtirol das Energielevel zu erreichen, welches ich hier in Los Angeles habe.
„Normal“ tanzen in einem Tanzstudio und effektiv in einem Musikvideo eines Weltstars auftreten – wie viel liegt hier dazwischen? Ist es schwer, in diesem elitären Kreis reinzukommen?
So wie hier in L.A. getanzt wird, ist wirklich hochprofessionell. Hier gibt es Choreographen und Lehrer, die bereits mit allen möglichen Stars und Sternchen zusammengerabreitet haben. Ich hatte zum Beispiel Privatstunden von einem Lehrer, der Background-Tänzer von der Mariah Carey ist. Er ist gerade frisch von einer Tour zurückgekommen und ich werde nächste Woche wieder mit ihm trainieren. Er choreographierte auch schon mit Nicki Minaj oder Jennifer Lopez. Das ist hier in L.A. gang und gäbe, die Lehrer, die hier zirkulieren sind die besten Tänzer der Welt. Es ist toll mit solchen Persönlichkeiten vor dem Spiegel stehen zu dürfen und zu performen. Das ist für mich Inspiration pur.
Welche Tanzschule ist die renommierteste, in der du bist?
Das ist das „Millennium Dance Complex“ hier in L.A. Es ist ein Treffpunkt vieler großer Tänzer. Das Niveau ist enorm hoch. Wenn du das Millennium betrittst, dann siehst du überall Fotos und Texte von Musikgrößen, die allesamt hier trainieren und sich hier das Tanzen beigebracht haben, angefangen von PINK, Justin Bieber, Chris Brown – eigentlich alle Größen aus Vergangenheit und Gegenwart. Auch Hollywood-Größen wie Channing Tatum kommen schon mal vorbei, um eine neue Choreographien einzustudieren.
Wenn man hier in Südtirol das Wort Tanzen hört, denken die meisten an traditionelle Volkstänze, und beim Wort Tänzerin an einer Table-Dance-Show. Hip-Hop-Stil ist hier in Südtirol bei vielen Menschen etwas Befremdliches. Was sagst du dazu?
Ich gehe auch gern Fox tanzen (lacht). Mich fasziniert Hip-Hop und die gesamte Kultur drumherum. Befremdlich vielleicht noch, den ich möchte dies ändern.
Du unterrichtest hier in Südtirol viele Heranwachsende und lehrst einen ganz eigenen Hip-Hip-Tanzstil …
Die jungen Leute können bei mir in der Tanzstunde auch mal loslassen. Ich möchte junge Menschen motivieren und ich will, dass sie ihren Emotionen freien Lauf lassen und sich neu entfalten und frei fühlen können. Und mich macht es fuchsteufelswild, wenn das viele junge Menschen nicht dürfen.
Und das ist in Südtirol manchmal ein Problem …
Wir haben ein großes Problem meiner Meinung nach, wir Verurteilen gern, und das geht mir schrecklich auf die Nerven. Hier in Los Angeles lebt sich jeder nach Lust und Laune aus, wenn du hier mit einen lilafarbigen Bart herumrennst dann „gagiert“ das niemanden. Die schauen dich nicht mal an und das ist genial.
Und du bietest ihnen eine Bühne dafür, indem du sie zum Tanzen animierst?
Das Tanzen gibt mir sehr viel, ich bin überzeugt, dass ich auch den Menschen, mit denen ich in Südtirol trainiere, viel Energie schenken kann.
Wie würdest du Eltern einer traditionellen Familie überzeugen, ihre Tochter oder ihren Sohn zu dir in die Hip-Hop-Tanzstunde zu schicken?
In meinen Kursen habe ich von sechs- bis 50-jährigen alles gehab und tolle Rückmeldungen bekommen. Tanzen soll emotional bleiben und verbinden. Auch dein Selbstvertrauen stärken und dich lockerer machen. Und da hilft Tanzen am besten, vor allem mit Hip-Hop-Musik, wo jeder so sein darf wie er ist.
Du siehst dich nicht nur als Tanzlehrerin oder Choreographien sondern auch als Begleiterin für junge Menschen?
Die Social-Media-Kanäle wie Instagram oder Facebook sind nicht realistisch und gehören nicht zum aktiven realen Leben. Ich möchte die jungen Menschen wieder gerne auf den Boden der Tatsachen zurückbringen und verhindern, dass sie sich nach falschen Standards beurteilen.
Welche Botschaft nimmst du aus dem hippen Los Angeles mit ins idyllische Südtirol?
Nicht wirklich eine Botschaft, mehr die Energie welche ich hier bekommen habe. Zudem weiß ich meine Leute zu Hause nun ganz anders zu schätzen, die Unterstützung und das Mitfiebern, das bedeutet mir viel. Ein großes Dankeschön an all jene, vor allem an meinen Partner ohne den ich wahrscheinlich heute noch unglücklich in Wien an meinem Studium festhalten würde. Ich möchte diese positive Energie gerne auf meine zukünftigen Schülern und Tanzbegeisterten übertragen. Tanzen ist weit mehr als Bewegung.
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