Der Technokörper
Seine Cyborg-Figuren haben die Symbiose zwischen Körper und Technik bereits vollzogen. Seismographisch und zugleich analytisch kühl spürt der Bildhauer und Zeichner Peter Senoner mit seinen Technokörpern den gegenwärtigen Entwicklungen nach, die uns allmählich mit den Maschinen verwachsen lassen. Ein Nachgespräch zu seiner Ausstellung „Botanicalirious“ auf Schloss Tirol.
Tageszeitung: Die Kunst von Peter Senoner verbindet man mit Cyborg-Figuren. Wann und wie hat das angefangen?
Peter Senoner: Das war in den Jahren 1997/98. Ich war noch Student an der Münchner Akademie, hatte aber vor meinem Diplom einen dreimonatigen Aufenthalt in New York eingeschoben, aus dem schlussendlich drei Jahre geworden sind. Zuerst war ich wie alle jungen Künstler begeistert, in dieser Stadt zu sein, aber die eiskalte Ernüchterung kam schnell. Ich habe ziemlich schnell verstanden, dass ich nur eine Chance habe: wenn ich meine Arbeiten aus meiner Biographie heraus entwickle. Bilder malen wie Basquiat oder Installationen machen wie Thomas Schütte – das war eine aussichtslose Sache. Meine Chance war das Holz …
…mit dem Sie in der Kunsthandwerkstatt Ihres Vaters aufgewachsen sind.
Ja, ich bin mit gotischen Statuen aufgewachsen. Das Handwerk habe ich zuerst bei meinem Vater, später bei einem Bildhauer in Nürnberg gelernt. Als ich an der Münchner Akademie aufgenommen wurde, habe ich das Material Holz total zur Seite gelegt. Ich habe viel gezeichnet, kinetische Objekte gebaut, die sich bewegt haben, aber ich habe kein Stück Holz angerührt. Holz war No-go-Zone, es war retro, total verpönt in der zeitgenössischen Kunst. Wäre ich im provinziellen München geblieben, hätte ich mich möglicherweise nie getraut, mit Holz zu arbeiten. In New York war es möglich, weil dort alles möglich ist. Die New Yorker Künstler haben mit allen möglichen Kunststoffen gearbeitet und sie waren unglaublich schnell darin. Egal, was ich gemacht habe, meine Kollegen waren schneller. Holz war das Unterscheidungsmerkmal, es war authentisch und ich war damit einen Schritt schneller als sie. Ich bin paradoxerweise in New York zum Holzbildhauer geworden.
Im biographischen Aspekt steckt die Authentizität. Gab es auch formale Gründe für das Arbeiten mit Holz?
Ich hatte immer eine manische Obsession für den menschlichen Körper, die ich im Medium Zeichnung ausgelebt habe. Der britische Bildhauer Anthony Gormley, der in München mein Professor war, hat diese Obsession erkannt und mir ein eigenes Modell zur Verfügung gestellt. Tausende Aktzeichnungen auf Papier sind auf diese Weise entstanden. Und gleichzeitig gab es eine Faszination für Maschinen, für automatisierte Abläufe. An beiden Strängen habe ich parallel gearbeitet, sie aber nie zusammengeführt. Holz war das Material, mit dem diese Zusammenführung erst möglich wurde. Es erlaubt formale Präzision, womit nicht gemeint ist, dass meine Arbeit aus einer handwerklichen Tradition heraus kommt. Das tut sie nicht. Die Spannung liegt darin, dass das Material nicht der Form entspricht.
Holz und die technoide Figur des Cyborgs – das geht schwerlich zusammen.
Ich musste ein Material finden für mein Thema der Verschmelzung des menschlichen Körpers mit seinem technoiden Umfeld. 3D-Prints, Kunststoff oder gesinterte Materialien würden sich anbieten, aber sicher nicht Holz. Holz braucht Jahrzehnte, um zu wachsen, und es trägt einen gewaltigen kunsthistorischen Rucksack mit sich herum. Es ist das am weitesten entfernte Material für die Repräsentation der Cyborg-Figur, es steht sogar absolut konträr dazu. Genau deshalb habe ich mich bewusst dafür entschieden. Abgesehen davon, bietet Holz viele technische Vorteile. Es lässt sich handwerklich präzise verarbeiten und ist ein angenehmer Werkstoff.
Holz ist das Basismaterial. Am Ende werden jedoch Bronzefiguren daraus.
Die Entscheidung für Bronze habe ich aus denselben Gründen wie für das Holz getroffen. Bronze ist kunsthistorisch stark aufgeladen, es ist ein altes Material und genauso weit von der Cyborg-Idee entfernt wie Holz. Darüber hinaus bieten Metalllegierungen aus Bronze und Aluminium mit Feuer-Patinierungen oder Einbrand-Lackierungen die Möglichkeit, in den Außenraum zu gehen. Das eröffnet mir als Bildhauer ganz neue Möglichkeiten.
Formal sind die Cyborgs besonders an den Köpfen stark ausgeprägt. Ihre ersten Versuche waren Figuren mit Kopfhörern, die mit den Köpfen zu verwachsen scheinen. Hat Sie die DJ-Kultur der 1990er Jahre dabei beeinflusst?
Als Kind war ich von Heiligenstatuen umgeben, denen jeweils ein Attribut eigen war. In den 90er Jahren in New York waren die DJs die neuen Heiligen. Die Clubbing-Jünger und Raver lagen ihnen fast zu Füßen. Alle diese DJs hatten ein gemeinsames Attribut: überdimensionale Kopfhörer. Für mich waren diese Geräte das Symbol-Objekt unserer Gesellschaft. Indem ich sie mit den Köpfen verwachsen habe, sind sie zum anatomischen Teil unserer Körper geworden. Genau das passiert ja gegenwärtig: Wir sind untrennbar mit unseren digitalen Gerätschaften verwachsen, irgendwann wird man uns bei der Geburt Chips einpflanzen.
Mit Science–Fiction haben Ihre Cyborgs nichts zu tun.
Nein, ich bin kein Fan von Science–Fiction. Ich kenne Filme wie Ridley Scotts „Blade Runner“, der ein prophetisches Bild unserer möglichen Zukunft entworfen hat, aber bei mir kommt das nicht aus dieser Ecke. Meine Cyborgs entstammen aus der Beobachtung, wie wir allmählich mit den Maschinen verwachsen.
Im Grunde sind alle Ihre Skulpturen Kopf-Körper und sie werden es immer mehr. Die Körper sind sehr athletisch, sie wirken wie sarkastisch-ironische Kommentare auf den grassierenden Körperkult. Aber das Wichtige sind die Köpfe.
Das stimmt. Ich glaube, wir leben in einer Zeit körperlicher Extreme. Auf einer Seite gibt es die vollkommen entkörperlichten Menschen, die in einer digitalen Parallelwelt leben, auf der anderen Seite der Skala steht der Fitnessmensch, der seinen Körper zu Höchstleistungen antreibt und ihn als modellier– und formbar betrachtet, siehe die Bodybuilding-Bewegung.
Ob man den Körper zur Hochleistungsmaschine optimiert oder den Geist durch Künstliche Intelligenz perfektioniert, macht keinen Unterschied. Es geht immer um gesellschaftliches Funktionieren.
Wir funktionieren viel zu viel. Im Vergleich zu früher leben wir in einer Zeit des Konformismus.
In der Kunst lässt sich seit einiger Zeit eine Rückkehr zum Körper beobachten. Man hat den Eindruck, die Kunst klammert sich an das Letzte noch Greifbare in der digitalen Verflüssigung.
Mir scheint die Rückbesinnung auf den Körper etwas Ähnliches wie die Rückbesinnung auf die Natur zu sein. Das geht und kommt in Wellen. Als ich an der Akademie studierte, kamen gerade die mittlerweile schon wieder alten Neuen Medien auf. Alles, was nach Malerei oder Bildhauerei ausschaute, wurde verbannt. Der Hype ist verfolgen, mittlerweile ist die digitale Welt Alltag für jeden, sie ist nichts Besonderes mehr. Das Pendel schlägt wieder in die Gegenrichtung aus, Malerei, Bildhauerei und Figuration sind nicht mehr uncool. Ich habe das Gefühl, es gibt speziell bei den Digital Natives wieder ein starkes Bedürfnis, mit den eigenen Händen etwas zu schaffen, was nicht schon von einer Software vorgegeben ist.
Leben wir schon in einem Schwellenstadion zwischen humanem und posthumanen Körper?
Nein, das ist zum Glück noch weit entfernt. Aber der Cyborg ist uns viel näher, als wir denken. Man denke nur daran, was man in einem Körper vom Kniegelenk bis zum Herzschrittmacher schon alles ersetzen kann.
An die Stelle des alten, existenzialistisch geprägten Leidenskörpers tritt in Ihrer Kunst der Technokörper. Bietet der Cyborg die Möglichkeit, beim Körper zu bleiben und ihn gleichzeitig zu verabschieden?
Absolut. Ich bin Körperbildhauer, ohne das alte Körperbild weiterzutragen. Die ewige Ecce-Homo-Geschichte interessiert mich nicht. Dieses Thema ist abgearbeitet. Für mich ist der Technokörper die zeitgemäße Körperdarstellung. Natürlich gibt es nach wie vor genug Gründe, leidende Menschen darzustellen. Aber ich sehe es nicht als meine Aufgabe, Zustände zu illustrieren. Ein Technokörper ist ein hermetisch kühler, außenstehender Beobachter, während ein leidender Körper eine Existenz mitten unter uns ist.
Ihren Blick auf den menschlichen Körper könnte man als Kälteblick interpretieren.
Es ist ein beobachtender Blick. Für mich sind sie weniger kalt als analytisch. Der Begriff Kälte assoziiert schon wieder Gefühlswelten. Mich interessiert aber der wissenschaftlich analytische Blick, der seinerseits weit weg ist vom Werkstoff Holz. Mit Holz verbinden wir Wärme, Sehnsucht, Heimeligkeit – alle diese Gefühlswelten, zu denen meine Cyborgs konträr stehen.
Als Bildhauer sind Sie Analytiker, als Zeichner hingegen lassen sie Emotionalität zu.
Zeichnen ist mein Ventil. Ich arbeite lange, geradezu luxuriös lang an meinen Skulpturen, aber ich zeichne sehr schnell. Schneller als mein Schatten. Den Begriff Leidenschaft versuche ich zu vermeiden, weil zu viel Leidenschaft der Kunst nicht gut tut, es ist eher Unkontrolliertheit. Es geht so schnell, dass ich es gar nicht kontrollieren kann. Gefühlsschwulst vermeide ich durch Geschwindigkeit oder durch Langsamkeit.
Was haben Sie gegen Gefühl in der Kunst?
Nichts, ich bin nur allergisch gegen eine Kunst, die sich anmaßt, bestimmte Gefühle transportieren zu können. Das kann sie nämlich nur in den seltensten Fällen.
Zum Beispiel?
Was muss ein Künstler durchleben, um Leiden wirklich nachvollziehbar darzustellen? Wer sein Leben in einem Atelier verbringt, kann das nicht. Davon bin ich überzeugt. Nehmen wir die Künstler, die Konzentrationslager überlebt haben – keiner von denen war imstande, sein Leiden darzustellen. Es war zu nahe. Ausnahmen gibt es natürlich: Picassos Guernica, Matthias Grünewalds Isenheimer Altar oder unter den Zeitgenossen die wunderbare belgische Bildhauerin Berlinde de Bruyckere.
Noch einmal zu Ihren Skulpturen. Die Skulpturen COR oder LEM wirken wie einer Klonarmee entnommen, durch die Namensgebung werden sie aber Individuen. Welche Funktion haben die Titel?
Die Titel sind Wortfindungen, mit denen ich die Figuren individualisiere. Ich habe schon den Anspruch, jeder einzelnen individuelle Attribute und Anatomien zu verleihen, auch wenn sie innerhalb meiner Formenwelt einem Kanon entsprechen. Die Zusammenführung von männlicher und weiblicher Anatomie …
Ihre Geschlechtslosigkeit …
Genau. Die weist einerseits in die Cyborgwelt, andererseits in die Antike. Man denke an Eunuchen, Kastraten oder Zwitter, alle diese Wesen, die in jeder Mythologie vorkommen. Die Titelfindung ist ein zweiter Entwurfsprozess. Die Bezeichnung „Ohne Titel“ ist für mich eine vertane Chance.
Haben Sie sich jemals vorgestellt, dass Ihre Figuren zum Leben erwachen könnten.
In meiner Arbeit gibt es nicht nur Skulpturen und Zeichnungen, sondern auch Animationen. Handgezeichnete Trickfilme. 2002 habe ich in der Kunsthalle Wien eine Skulptur gezeigt und diese in zwei ganz einfachen Trickfilmen animiert. Auf einem Screen hat die Figur die Augen auf- und zugemacht, auf einem zweiten hat ihre Bauchdecke sich leicht gehoben, als ob sie atmen würde. Interessant war die Reaktion der Besucher. Sie sind von den Animationen zur Skulptur und wieder zurückgegangen, um sich zu vergewissern, ob sie richtig gesehen haben. Die Sehnsucht nach dem Pygmalion Effekt gibt es. Bei mir und bei den Betrachtern.
Auf Ihren neuen Zeichnungen kombinieren Sie Körper, die in einer digitalen Ortlosigkeit herumwirbeln, mit Pflanzenstücken, die sehr realistisch gezeichnet sind. Wie denken Sie Körper und Pflanzen zusammen?
Das hat eigentlich ganz banale Gründe. Für die Körper habe ich mit einem Modell gearbeitet, das schlicht mehr Arbeitspausen als ich brauchte. Während dieser Pausen habe ich Pflanzen gezeichnet, weil ich die Arbeit nicht unterbrechen wollte. Das ist einfach aus dem Tun heraus entstanden. In beiden Fällen handelt es sich um Zeichnen nach der Natur, einmal des Körpers und einmal der pflanzlichen Natur. Ich kann nicht vom Zeichen nach der Natur in ein Zeichnen nach der Imagination hinüber switchen. Die Kombination funktioniert nur, wenn es, sei es beim Körper, sei es bei den Pflanzen, ein Zeichnen nach der Natur ist. Wichtig ist auch, dass es sich um belanglose Gewächse handelt, die Pflanzen sind Unkrautgewächse, die rund um mein Atelier herum wachsen. Hätte ich Rosen gezeichnet, wäre das ein Schuss nach hinten gewesen. Ich wollte diese aufgeladenen Aktzeichnungen auf eine ganz alltägliche Situation herunterbrechen.
Ihr Zeichnungsprozess gleicht einem bildhauerischen Akt. Man sieht auf den Holztafeln, wie heftig daran gearbeitet wurde.
Ich verwende hartes Buchenholz als Zeichnungsgrund, das allein schon einige körperliche Anstrengung verlangt, um ein sattes Schwarz auf die Platte zu bringen. Die Oberfläche bearbeite ich mit denselben Werkzeugen, mit denen ich auch meine Skulpturen bearbeite, Schleifpapiere, Feilen, Raspeln und so weiter. Ich trage Schichten auf und wieder ab. Im Grunde baue ich die Zeichnung mehr, als dass ich sie zeichne. Es ist ein skulpturaler Prozess. Ich arbeite ja, sei es in der Skulptur, sei es in der Zeichnung, ohne vorgefertigte Idee und ohne Vorzeichnungen. Die Idee entsteht allein aus dem Prozess.
Ohne Vorarbeit, ohne Vorzeichnung – wie geht das bei Ihren Großskulpturen?
Es gibt keine Skizzen, keine Vorstudien, keine Fotos, keine Modelle, nicht die geringste Vorarbeit zu meinen Skulpturen. Alles entsteht direkt an und aus dem Material heraus. Das ist sehr wichtig. Jede Skizze wäre ein Hindernis, eine Bremse, ich wäre nicht mehr frei, ich würde versuchen, die Skulptur wie die Skizze zu gestalten. Warum sollte ich sie noch eigenhändig machen, wenn alles schon auf der Skizze da ist. Im Grunde bräuchte ich sie dann gar nicht mehr machen. Der Hauptgrund aber ist, dass ich es als wahnsinnig beengend empfinde, eine Skulptur in irgendeine Richtung hin zu gestalten. Das ist zwar eine sehr ineffiziente Arbeitsweise – am COR beispielsweise habe ich zwei Jahre gearbeitet –,aber ich kann nicht anders.
COR hat, wie auch alle anderen Skulpturen, allein schon von der Größe her etwas von antiken Götterstatuen. Sehen Sie in den Cyborgs die kommenden Götter?
Mit Göttern und Götzen habe ich nichts am Hut. COR ist ein Typus, ein Unerschrockener, der keine Angst vor der Symbiose zwischen Körper und Technik hat. Der Eindruck von Götterstatuen entsteht vielleicht daraus, dass die Skulpturen figurativ sind, und dennoch sehr weit von uns entfernt. Sie sind uns ähnlich und unähnlich zugleich, das macht sie unheimlich und unnahbar wie die alten Olympier. Das sind nicht wir, aber das könnten wir irgendwann sein.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Peter Senoner, 1970 in Bozen geboren, besuchte von 1994 –2001 die Akademie der Bildenden Künste in München. Von 1997 bis 2000 lebte und arbeitete er in New York, danach in Tokyo, Wien, Berlin, Detroit und Klausen. Seit 2006 hat er einen Lehrauftrag für freies Zeichnen am Institut für experimentelle Architektur in Innsbruck inne. Seit 2018 unterrichtet er Zeichnen im Studienzweig Kunst an der Fakultät für Design und Künste in Bozen. Peter Senoner stellt seit 2000 regelmäßig im internationalen Kontext aus, u. a. Kunsthalle Wien, Haus der Kunst München, Lentos Kunstmuseum Linz, Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, ECA Edinburgh, Landesgalerie Linz, Biennale di Venezia Palazzo Trentini Trient, Kunsthalle Bremerhaven, Palazzo Ziino Palermo, Stadtgalerie Kiel, Galleria Civica Trento, Kunst Meran, Museion Bozen und zuletzt auf Schloss Tirol.
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