Der Rambo aus Laurein
Ein Banküberfall. Die tödlichen Schüsse auf einen Carabiniere. Die Flucht. Und eine wochenlange Verfolgungsjagd. Der spektakuläre Fall des Laureiners Florian Egger wird jetzt in einem Buch erzählt.
Candeloro Zamperini, 34, fährt im Rückwärtsgang in die Parklücke.
Dann stellt der Carabinieri-Beamte den Motor ab und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss.
Es ist Donnerstag, der 12. Juni 1997.
Candeloro Zamperini blickt zu seinem zehnjährigen Sohn Manuel (Name geändert, Anm. d. R.), der auf dem Beifahrersitz hockt und ihn mit den großen und leuchtenden Augen eines Kindes anschaut, das so mächtig stolz ist auf seinen Vater. Und es genießt, ganz allein mit Papi auf Tour zu sein.
„Manuel, du wartest hier im Auto, es dauert auch nicht lange.“
Das klappende Geräusch der ins Schloss fallenden Autotür übertönt die Antwort des Jungen. „Okay, Papi, ich warte hier.“
Es ist Donnerstag, der 12. Juni 1997.
Candeloro Zamperini hat einen Termin in der Bank. Mit dem Filialleiter.
In der Sparkassen-Filiale in der Gampenstraße Nr. 51 in Untermais herrscht ruhige Betriebsamkeit. Ein typischer Sommer-Nachmittag.
Die Bank hat seit 14.45 Uhr geöffnet.
Sechs Angestellte und der Filialleiter, Walter Egger, halten sich in der Bank auf, als Candeloro Zamperini um 15.16 Uhr die Filiale betritt. Die Bankangestellten arbeiten an ihren Computern. Oder sie telefonieren.
Candeloro Zamperini trägt legeren Freizeit-Look. Kurze Hosen und ein T-Shirt. Den freien Nachmittag will er mit seinem Sohn verbringen.
Er hat dem Jungen ein Eis versprochen.
Filialleiter Walter Egger, 51, hat den Kunden, den er persönlich kennt, in einen durch eine Glaswand abgetrennten Nebenraum gebeten.
Ein Tisch. Drei Stühle.
„Nehmen Sie bitte Platz, Herr Zamperini.“
Die Wanduhr mit dem kupferfarbenen Rahmen und dem weißen Ziffernblatt zeigt 15.27 Uhr an, als sich die Ereignisse überstürzen und die Situation plötzlich eskaliert.
Die kleine Sparkassen-Filiale in der Gampenstraße in der Meraner Fraktion Untermais wird zum Schauplatz eines der spektakulärsten Fälle der Südtiroler Kriminalgeschichte.
Der 12. Juni 1997 wird zum blutigen Donnerstag!
Just in dem Augenblick, als die Maschine die erste Kopie ausspuckt, hört Filialleiter Walter Egger aus dem Schalterraum eine männliche Stimme, die laut und bedrohlich klingt.
„Questa è una rapina!“
„Fuori i soldi!“
Der Filialleiter sieht einen maskierten und bewaffneten Mann, der auf dem Tresen von Schalter 5 steht.
„Oh mein Gott, ein Überfall“, murmelt Walter Egger.
Christine Schmid, 35, sitzt am Schalter 5. Sie hat an ihrem Computer gerade einen Überweisungsauftrag bearbeitet und gar nicht mitbekommen, dass der mit einem Damenstrumpf vermummte Mann in die Bank gestürmt war.
Erst als der Mann in akzentfreiem Italienisch „Fuori i soldi!“ schreit und auf ihrem Schaltertisch steht, erkennt Christine Schmid den Ernst der Lage und fällt vom Stuhl.
Der Mann ist wie aus dem Nichts gekommen und aus dem Stand auf den Schaltertisch gesprungen.
Die Bankbeamtin umklammert angstvoll den Drehstuhl und richtet sich mit langsamen Bewegungen wieder auf.
Dabei starrt sie mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund den kleingewachsenen, vermummten Mann an, der breitbeinig auf dem Tresen steht. In einer Hand, der rechten, hält er eine Pistole, in der anderen, der linken, einen weißen Plastiksack.
Knappe zwei Minuten dauert der Überfall.
Der Täter erbeutet rund 10 Millionen Lire.
„Manuel, du wartest hier im Auto, es dauert auch nicht lange“, hatte Candeloro Zamperini zu seinem Sohn gesagt, als er aus dem Auto ausgestiegen ist.
Der Junge im Auto hat nichts von dem Überfall mitbekommen. Er bemerkt auch nicht, dass sein Vater den Bankräuber verfolgt.
Kurz darauf fallen zwei Schüsse. Bauarbeiter finden kurz darauf im Vorgarten eines Mehrfamilienhaues in der Gampenstraße den zweifachen Familienvater Candeloro Zamperini, der in einer Blutlache liegt. Der Carabiniere stirbt wenige Minuten später.
Dem Todesschützen gelingt die Flucht.
In der Folge erlebt Südtirol eine der spektakulärsten Verfolgungsjagden der Kriminalgeschichte. Der 27-jährige Laureiner Florian Egger, der über die Sehbrille, die am Tatort gefunden wird, identifiziert werden kann, entgeht eine Woche später in Laurein mit einem Sprung über einen steilen Abhang seiner Verhaftung.
Ein Großaufgebot an Carabinieri, Staatspolizisten und Beamten der Finanzpolizei fahndet nach dem Bankräbuer und mutmaßlichen Mörder Florian Egger.
Im entlegenen 350-Seelen-Nest Laurein herrscht der Ausnahmezustand. Das Dorf wird zu einer belagerten Festung.
Es werden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die Verwandten und Bekannten des Flüchtigen werden pausenlos verhört. Die älteren Dorfbewohner fühlen sich in Kriegszeiten oder in die 1960er-Jahre zurückversetzt.
Und die Medien machen den flüchtigen Florian Egger zum „Rambo aus Laurein“.
„Rambo aus Laurein“ – so lautet auch der Titel des neuen Buches von Artur Oberhofer. Der Chefredakteur der TAGESZEITUNG rekonstruiert diesen spektakulären Kriminalfall auf der Grundlage von bislang noch unveröffentlichten Ermittlungs- und Prozessakten.
Und zum ersten Mal überhaupt kommt Florian Egger selbst zu Wort. Der inzwischen fast 50-jährige Laureiner sitzt noch immer im Gefängnis.
Florian Egger, der in erster Instanz zu 33 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, ist nach wie vor davon überzeugt, dass er über Gebühr habe büßen müssen – auch weil das Opfer ein Carabiniere gewesen ist.
Florian Egger hält bis heute an der Unfallthese fest. „Ich habe Candeloro Zamperini nicht töten wollen“, erklärt er gegenüber dem Buchautor Artur Oberhofer.
Der Fall Florian Egger ist vielschichtig.
Zum einen ist es ein durch und durch politischer Fall.
Buchautor Artur Oberhofer sagt:
„Der Fall Florian Egger hat im Land Südtirol, wo alles politisch ist – vom Vaterunser bis zum Wetterbericht – unweigerlich auch eine ethnopolitische Dynamik bekommen: Der Mord an einem Carabinieri-Beamten wird auf italienischer Seite als Angriff gegen den Staat interpretiert! Und durch seine Flucht hat Florian Egger die Staatsgewalt auch noch lächerlich gemacht.
Der Staat musste zurückschlagen. Er hat zurückgeschlagen.
Bei den Hardlinern auf deutschsprachiger Seite sorgte dagegen die brachiale Art und Weise, wie die Sicherheitskräfte vorgehen, für Unbehagen.“
Besonders in den ländlichen Gemeinden des Landes, so Oberhofer, seien viele Menschen von Beginn an davon überzeugt gewesen, dass es den Behörden im Fall Florian Egger weniger darum gehe, die Dynamik im Todesfall Candeloro Zamperini zu rekonstruieren, als vielmehr darum, einen unbedarften Bergler, der den Staat herausgefordert hat, exemplarisch zu bestrafen.
Andererseits – so der Autor des Buches „Der Rambo aus Laurein“ – sei dieser schleichende Prozess der Verpolitisierung des Kriminalfalles für Florian Egger fatal gewesen und habe zu einer David-gegen-Goliath-Konstellation geführt.
Der Laureiner habe den Kampf gegen den Staat nicht gewinnen können, so der Buchautor.
Artur Oberhofer dokumentiert in seinem Buch außerdem den Schwurgerichtsprozess gegen Florian Egger.
„Dieser Prozess war geprägt von Paukenschlägen, von spektakulären Zeugenaussagen und von verzweifelt kämpfenden Anwälten, denen es fast gelungen wäre, einen im Grunde aussichtslosen Prozess zu kippen, wäre da nicht der Angeklagte gewesen, der seinen Anwälten das Leben schwer gemacht hat“, so das Resümee des Autors.
Der größte Gegner der Anwälte Paolo Fava und Julia Unterberger im Prozess sei der Angeklagte selbst gewesen.
Nur ein Beispiel: Florian Egger hat – während der Prozess lief – eine Zeugin massiv bedroht („ … du sollst verrecken wie ein Hund“).
Auch rekonstruiert Artur Oberhofer in seinem Buch die Etappen der Flucht und enthüllt erstmals, wer Florian Eggers Helfershelfer waren, mit wem der Laureiner sich während seiner vierwöchigen Flucht getroffen hat – und wo er sich versteckt hielt.
Während eine Hundertschaft an Fahndern nach ihm suchte, harrte Florian Egger in einem alten Stadel in Laurein aus – nur wenige hunderte Meter vom Dorfzentrum entfernt. „Der Bauer, dem der Stadel gehörte“, erklärt Artur Oberhofer, „hat sich darüber gewundert, dass seine Hennen in jenen Wochen weniger Eier legten als sonst.“
Artur Oberhofer bettet den facettenreichen Krimi in eine rührende Liebesgeschichte ein. Es ist die Geschichte der jungen Laureinerin Anna U. (Name geändert, Anm. d. R.), Florian Eggers Lebensgefährtin. „Diese junge Frau“, so der Buchautor, „wird praktisch über Nacht aus ihrem fast schon kitschig-romantischen Leben im Bergdorf Laurein herausgerissen und mitten in einen Kriminalfilm hineinkatapultiert.“
Artur Oberhofer zitiert aus bewegenden Liebesbriefen zwischen Florian Egger und Anna U.
Eine Kostprobe aus einem Brief des jungen Mannes an seine Verlobte:
„Hallo Anna, ich traue mich nicht mehr, dir in die Augen zu schauen.
Trotzdem möchte ich, dass du weißt, dass ich dich immer geliebt habe – es auch immer noch tue.
Ich war schon vor eurem Küchenfenster und habe dein trauriges Gesicht gesehen.
Ich werde von hier verschwinden und wahrscheinlich nicht wiederkommen. Was mein Herz sehr traurig macht, ganz besonders aber, weil ich ohne dich gehen muss.
Du aber bist jung und wirst bestimmt einen ordentlichen Burschen finden, der etwas hat und zudem vielleicht auch lieber zu dir ist, als ich es war.
Vergessen darfst du mich aber trotzdem nicht.
Ich hoffe, dass du mich als Mensch in Erinnerung behältst.
In Liebe, mit gebrochenem Herzen …“
Und Anna U. sagt in einem Zeitungsinterview:
„Ich sehe uns als Paar vor einem Priester, der unsere Ehe besiegelt, ich sehe uns als Eltern mit vielen Kindern. Florian ist mein Leben. Wenn man jemanden liebt, dann liebt man. Diese Liebe kann durch nichts und durch niemanden zerstört werden. Wenn er jahrelang im Gefängnis bleiben müsste, werde ich auf ihn warten.“
Artur Oberhofer verrät in seinem Buch, wie diese Liebesgeschichte ausgegangen ist.
Auch für eine andere Familie war nach dem 12. Juni 1997 nichts mehr, wie es war.
Maria Teresa Nobile, die Witwe des erschossenen Carabinieri-Beamten, kommt in dem Buch ebenfalls zu Wort.
Einfühlsam rekonstruiert der Autor die Leiden einer jungen Mutter, die sich an jenem Nachmittag mit ihrem Kleinsten zu einem Mittagsschläfchen zurückzieht – und dann am Telefon erfährt, dass ihr Mann, der Vater ihrer beiden Kinder, bei einem Banküberfall erschossen worden ist.
Maria Teresa Nobile hat Florian Egger bis heute nicht verziehen.
„Dieser Mann hat mir und meinen Kindern das Lachen genommen, ich kann ihm nicht verzeihen, niemals!“
Und Florian Egger?
Der „Rambo aus Laurein“ dürfte in fünf bis sechs Jahren wieder ein freier Mann sein. Gegenüber dem Buchautor Artur Oberhofer verrät er, wie sein zweites Leben aussehen soll.
Und er erklärt: „Nach Südtirol will ich nicht mehr zurückkehren.“
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Kommentare (12)
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andreas
Südtiroler Verbrecher wie Leitner oder Egger sind also für einige weniger Täter, als Opfer des italienischen Staats…..
Fehlt nur noch, dass Marco Bergamo oder Ferdinand Gamper als Opfer der Justiz dargestellt werden.
prof
Mir ist bekannt,daß Florian Egger im Jahre 2009 bei einem Freigang vom Gefängniss in Padua geflüchtet ist und erst nach ein paar Monaten in der nähe von Rom wieder gefasst wurde.
Jetzt kommts,irre ich mich,oder ist Egger nicht nochmals bei einem Freigang geflüchtet und nach einigen Tagen Tod aufgefunden worden???
Vielleicht kann hier jemand Näheres dazu sagen.
prof
Habe die Bücher von A. Oberhofer( M.Bergamo,Zingerle) gekauft und gelesen,werde mir auch dieses Buch kaufen,denn Artur ist ein Spezialist bezüglich Kriminalfälle und vieleicht wird er auch schreiben in welchem Gefängniss Florian Egger sitzt.