Billiges Gift
Die Jugendlichen in Südtirol konsumieren wieder harte Drogen – und es gab auch Todesfälle. Welche Drogen kursieren. Und: Wie die Suchtexperten diesem Phänomen begegnen.
von Lisi Lang
Harte Drogen waren nie weg. Die aktuelle Situation in Südtirol und vor allem neuste Entwicklungen beunruhigen aber die Suchtexperten. Ende letzten Jahres und Anfang dieses Jahres sind in Südtirol einige junge Menschen an einer Überdosis gestorben. „Nachdem wir seit vielen, vielen Jahren eigentlich kaum noch Überdosierungen und Todesfälle aufgrund dieser Überdosierungen hatten, ist diese Entwicklung besorgniserregend“, erklärt Bettina Meraner, geschäftsführende Primaria des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen in Bozen. Mehrere junge Erwachsene, darunter auch ein Minderjähriger, sind an einer Überdosis gestorben. „Es war auffällig, da so etwas in den letzten Jahren in Südtirol nicht mehr passiert ist“, so Meraner.
Nicht nur die Drogentoten waren in den letzten Jahren steht’s rückläufig – auch Infektionen wie beispielsweise HIV konnten in diesen Kreisen eingedämmt werden. „Das Netz in Südtirol funktioniert normal recht gut, um derart schwere Taten zu verhindern“, unterstreicht die Bozner Primaria.
Aber was ist jetzt neu? Warum ist dieses Phänomen wieder im Steigen begriffen? Diesen Fragen wollten eine neu gebildete Arbeitsgruppe auf den Grund gehen und Antworten finden. „Es ist ganz sicher, dass sich die Konsumformen verändert haben und dass wir wieder eine massive Präsenz von harten Drogen wie Kokain unter Jugendlichen auf dem Markt feststellen können“, weiß Bettina Meraner.
Harte Drogen waren eigentlich nie weg. Allerdings sind Substanzen wie Heroin und Kokain heute auch unter Jugendlichen verbreitet. Die Gründe dafür sind vielseitig. Einerseits spielen der Preis und das Angebot eine große Rolle. „Die Preise sind extrem gesunken und demensprechend ist auch der Markt stark gewachsen“, beobachtet Bettina Meraner.
Selbst Kokain ist nicht mehr eine exklusive Substanz für die Schönen und Reichen, sondern für wenig Geld auf dem Schwarzmarkt erhältlich. „Kokain ist ebenso wie andere Substanzen zu einer Straßendroge geworden und die Jugendlichen wissen, wo sie diese Substanzen finden und kaufen können“, weiß Bettina Meraner. „Wir haben auch gemerkt, dass beispielsweise LSD, was jahrelang keine Rolle mehr gespielt hat, wieder stark präsent und leicht erhältlich ist.“
Ein grundlegendes Problem ist laut Bettina Meran zudem, dass die Jugendlichen heute viel Geld haben und vielen Eltern die Kontrolle darüber fehlt, wofür die Jugendlichen ihr Geld ausgeben. Man müsse nur daran denken, was Jugendliche pro Wochenende ausgeben, wenn sie in eine Diskothek gehen: Bus, Eintritt, Getränke… „Die Jugendlichen haben Geld und wenn dieses nicht reicht ist das Risiko natürlich groß, dass sie mit kleinen Dealereien beginnen, um sich den Konsum zu finanzieren“, erklärt die Primaria des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen. Auch dies sei in Südtirol verbreitet. „Die Jugendlichen sind sich aber nicht bewusst, dass das, was sie machen illegal ist und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann“, ergänzt Bettina Meraner.
Aber nicht nur die Preise und das Angebot haben sich in den letzten Jahren stark verändert – auch neue Konsumformen spielen eine wesentliche Rolle sobald es um den Konsum der verschiedensten Substanzen geht. „Kokain und Heroin werden heute vielfach inhaliert und dadurch ist der Sprung vom Haschischrauchen zum Folienrauchen nicht mehr so groß – die Hemmschwelle sinkt enorm“, erklärt die Primaria.
Jugendliche unterschätzen dadurch häufig die Gefahr. „Und sie sind sich nicht bewusst, dass man auch durch das Inhalieren von Heroin eine starke Abhängigkeit entwickeln kann – sie identifizieren sich nicht mit den klassischen Drogensüchtigen, die sich Heroin spritzen und unterschätzen dadurch das Suchtpotential“, erläutert die Primaria. Das Suchtpotential sei immer dasselbe – egal ob man Heroin spritzt oder inhaliert, warnt Bettina Meraner.
Zudem spiele auch die Debatte um die Legalisierung von Haschisch und Marihuana eine große Rolle. „Die Jugendlichen bekommen diese Diskussionen mit und sind häufig fehlinformiert. Viele denken, dass diese Substanzen schon so gut wie legal sind und der Konsum daher nicht weiter schlimm ist“, erklärt Bettina Meraner. Darum unterschätzen auch viele Jugendlichen die Risiken und Gefahren eines Konsums. „Man darf nicht vergessen, dass Haschisch und Marihuana, also die Substanzen die heutzutage im Umlauf sind, eine viel höhere Wirkstoffkonzentration haben als noch vor einigen Jahren – diese Substanzen sind viel stärker und dementsprechend ist auch die Wirkung eine andere“, erläutert die Primaria des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen.
Aber warum greifen Jugendliche wieder vermehrt zu illegalen Substanzen? Ist es cool geworden, behaupten zu können, dass man alles ausprobiert hat? Landen viele Jugendliche einfach in falschen Kreisen? Oder sind es persönliche und familiäre Probleme, die zu einem Drogenkonsum führen? „Mittlerweile gehören illegale Substanzen in vielen Bereichen zum Alltag der Jugendlichen – und das sehen sie auch von den Erwachsenen“, erläutert Bettina Meraner. Mithilfe von psychoaktiven Substanzen will man bestimmte Momente besonders intensiv erleben oder seinen Gefühlszustand verändern. „Es ist oft ganz banal: Ein Erwachsener ist gestresst und raucht eine Zigarette, um zu entspannen. Oder: Um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen trinken sie einen Aperitif. Die Jugendlichen sehen das und merken, dass es Strategien sind, um den eigenen Gefühlszustand zu verändern. Sie probieren es dann wiederum mit Substanzen aus, die in den Jugendszenen kursieren – und das ist leider nicht der Aperitif.“
Zu diesem „Alltagsgebrauch“ kommen aber auch schwere Probleme, Leistungsdruck oder Stress. Zum Teil haben es Suchtexperten mit Schulabbrechern zu tun oder mit jungen Menschen, die schon mit einem Fuß in der Kriminalität stehen. „Viele haben schon Erfahrungen mit gewissen Substanzen und dann erhöhen sie den Konsum, um die gewünschte Wirkung zu erzielen“, erklärt Bettina Meraner. Die Jugendlichen würden immer mehr auf eine Einbahnstraße geraten und irgendwann in einem Teufelskreis landen. „Wir merken in Gesprächen recht häufig, dass ein multipler Konsum da ist – Jugendliche probieren alles möglich aus und wenn sie dann bei den Opiaten landen, nehmen diese überhand.“ Es gäbe kaum Szenen, so die Primaria, wo nur eine Substanz konsumiert wird.
Die aktuellen Entwicklungen beunruhigen die Expertin. Ein Gegentrend sei aktuell nicht sichtbar. „Diese Entwicklungen sind sehr beunruhigend, vor allem weil die offenen Diskussionen über Substanzen gerne falsche Botschaften an die Jugendlichen senden. Man vermittelt den Jugendlichen eine gewisse Akzeptanz und gibt ihnen auch viel Verantwortung mit“, so Bettina Meraner. Während Erwachsene die Folgen und Gefahren abschätzen können, ist dies bei Jugendlichen vielfach noch nicht der Fall. „Jugendliche sind noch nicht imstande ihren Konsum zu kontrollieren – wir dürfen sie nicht wie Erwachsene behandeln, da dies ihrer Entwicklung nicht gerecht wird.“
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Kommentare (15)
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Frau Meraner, von Reglementierung und Schadensbegrenzung nie gehört!? Es ist ja die Prohibition die zur heutigen Situation geführt hat. Man kann ein Phänomen wie den Cannabiskonsum von Millionen von Menschen nur in Italien nicht einfach gesetzlich unterbinden, das ist einfach unmöglich und ohne Reglementierung waltet hier halt das organisierte Verbrechen und die Kleinkriminalität. Wenn bestimmte Cannabissorten heute einen höheren Wirkungsgrad haben dann ist das gleichfalls auf die Prohibition zurückzuführen, da Kriminelle den bestimmen was gezüchtet und verkauft wird. Jeder Mensch mit ein wenig Phantasie kann sich dann auch vorstellen dass das Verbreiten der harten Drogen wie Heroin, Kokain usw. über die kriminellen Verbreitungskanäle des illegalen Cannabismarktes einher folgt. Einen neuen und vielleicht besseren Ansatz zur Verhinderung der Verbreitung harter Drogen unter Menschen, wie Jugendlichen, haben hier erst kürzlich Kanada, Uruguay, Kalifornien sowie weitere US Staaten mittels Reglementierung von Cannabis gemacht. Vielleicht ist es ein besserer Weg wenn ein Staat sich auf diese Weise diesem Phänomen annimmt und es nich nur dem organisierten Verbrechen und der Kleinkriminalität überlässt über einen Milliarden Markt und der Gesundheit der Menschen zu bestimmen.