„Dürfen uns nicht verbiegen“
Karl Zeller gilt innerhalb der SVP als einer der größten Kritiker einer möglichen Koalition mit der Lega. Im Interview spricht der Vize-Obmann über sein Verhältnis zum neuen Trentiner LH, die „Populisten“ in Rom – und über die Glaubwürdigkeit in der Politik.
Tageszeitung: Herr Zeller, vor etwas mehr als einer Woche haben die Südtiroler einen neuen Landtag gewählt. Welche Schlüsse lassen sich aus dem Wahlergebnis ziehen?
Karl Zeller: Das ist das schwierigste Ergebnis, das die Wähler der Südtiroler Politik je beschert haben. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und schauen, was die Sondierungsgespräche ergeben. Sicher werden jetzt einige mit Wehmut an die erfolgreichen Zeiten der jüngeren Vergangenheit zurückdenken. Man wird im nachhinein erkennen müssen, dass unser Abkommen mit Mittelinks nicht immer die Wertschätzung erfahren hat, die es sich eigentlich verdient hätte. Wir befinden uns in einer extrem schwierigen Situation.
Weil die SVP in der Koalitionsfrage – Lega bzw. Grüne und PD – so gespalten ist?
Gespalten nicht! Es ist aber so, dass es für die Partei angesichts des Wahlausgangs keine optimale Lösung gibt. Die Parteienlandschaft ist nicht mehr so schön geordnet wie früher. Die Zersplitterung und das Aufkommen neuer Gruppierungen macht das alte Gleichgewicht zunichte. In den vergangenen 20, 30 Jahren war es nach einer Landtagswahl immer klar, mit wem die SVP regieren wird. Dieses Mal ist das anders. Unsere Kompromissbereitschaft wird auf eine harte Probe gestellt.
Wie meinen Sie das?
Ich erinnere mich, wie manche geraunt haben, als wir vor fünf Jahren das Abkommen mit dem PD geschlossen haben. Jetzt werden wir – unabhängig davon, wie sich die Partei entscheidet – ganz andere Bauchschmerzen bekommen. Doch wer keine Bauchschmerzen haben will, der darf nicht in die Politik gehen (lacht).
Sie sagen, das Abkommen mit dem PD war die richtige Entscheidung?
Es war eindeutig die beste Entscheidung, die wir damals treffen konnten.
Trotzdem hat die Regierungskoalition ihre Mehrheit auf Landesebene eingebüßt …
Das ist nicht so sehr unserem Abkommen zuzuschreiben, sondern vielmehr dem Abwärtstrend des PD auf nationaler Ebene. Im Gegensatz zum PD haben wir nie eine Spaltung durchgemacht. Wir sind eine der letzten Volksparteien in Europa. Zudem hatten wir einen guten Spitzenkandidaten. Ohne Arno Kompatscher hätte das Wahlergebnis deutlich schlechter ausgeschaut. Doch jede Entscheidung, die der LH und der Obmann jetzt treffen, wird Bauchschmerzen hervorrufen. Wir sind schließlich keine Grillini, die im Wahlkampf etwas versprechen und danach erkennen müssen, dass sie es nicht umsetzen können. Wir sind ganz anders eingestellt. Die Frage ist, inwieweit wir bereit sind, uns zu verbiegen, ohne dabei unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Denn die Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital, das ein Politiker haben kann. Wenn man dieses Kapital verspielt, dann stürzt man ab. Das haben wir bei den Freiheitlichen gesehen, auch wenn ich den Absturz in dieser Massivität nicht erwartet hätte. Die Freiheitlichen haben ihre Wähler in der Rentengeschichte zutiefst enttäuscht. Die Menschen hätten das vielleicht der SVP zugetraut, aber sicher nicht den Freiheitlichen. Die SVP, die innerhalb ihrer potentiellen Wählerschaft noch immer Zuspruchswerte von über 60 Prozent genießt, muss deshalb mächtig aufpassen – trotz all dem Pragmatismus, der die Partei ebenfalls ausmacht.
Was raten Sie dem LH und dem Obmann? Das werde ich jetzt nicht sagen! Ich weiß aber, dass sich der LH sehr ungerne verbiegt. Wir befinden uns in einer schwierigen, aber nicht aussichtslosen Lage. Es braucht halt die notwendige Kreativität. Ich habe einen Lösungsvorschlag im Hinterkopf, von dem derzeit noch keiner redet.
Der da wäre?
Koalitionsverhandlungen sind wie ein Pokerspiel. Niemand lässt sich dabei in die Karten sehen. Als wahrscheinlichste Option gilt nach wie vor eine Koalition mit der Lega.
Der neue Trentiner LH Maurizio Fugatti tönte gegenüber Parteifreunden, dass er nur dann mit der SVP verhandeln werde, wenn Sie, Herr Zeller, nicht mit am Tisch sitzen werden.
Der gute Fugatti scheint nicht informiert zu sein, dass bei uns der LH und der Obmann die Sondierungsgespräche führen.
Er meint wohl die folgenden Koalitionsverhandlungen in größerer Runde …
Ich bin Obmann-Stellvertreter der SVP. Meine Partei wird sicher nicht die Lega fragen, wer am Verhandlungstisch sitzen darf und wer nicht. Es ehrt mich aber, dass Herr Fugatti mir so viel Gewicht gibt. Wenn das sein größtes Problem ist, dann ist er ein glücklicher Mensch.
Aus Fugattis Umfeld heißt es, dass Sie ihn während der gemeinsamen Zeit im Parlament stets abschätzig behandelt hätten. Folgt die Retourkutsche?
Mir gegenüber ist Herr Fugatti immer sehr freundlich aufgetreten. Für meinen Geschmack etwas zu freundlich. Es ist jedenfalls kein guter Start, wenn er gleich die Brechstange auspackt. Doch populistische Politiker, auch jene der Lega, hatten bislang immer kurze Halbwertszeiten.
Sie glauben, dass der Höhenflug von Matteo Salvini nachlassen wird?
Auf jeden Höhenflug folgt einmal der Absturz. Wir von der SVP bleiben hingegen auf dem richtigen Dampfer. Unser Dampfer ist vielleicht nicht so spektakulär, dafür fährt er im ruhigen Fahrwasser. Salvini ist ein Popstar, auch wenn ich mit seinem Wertekostüm und seiner Weltanschauung überhaupt nichts anfangen kann. Er ist um Klassen besser als Luigi Di Maio vom M5S. Die Grillini treten jeden Tag in ein neues, noch größeres Fettnäpfchen. Und wenn sie kein Fettnäpfchen finden, dann stellen sie sich den Topf selber hin. Die Lega mit Salvini und dessen Stammtischparolen ist da viel schlauer. Salvini ist ständig im Wahlkampf, doch früher oder später muss auch er Ergebnisse vorlegen. Die Bilanz der Populisten-Regierung ist mehr als schlecht. Vor 20 Jahren legte Romano Prodi dem Parlament einen ausgeglichen Haushalt vor, die Staatsverschuldung Italiens lag damals bei 103 Prozent des BIP. Prodis Politik war zwar richtig, doch bei den Populisten nicht beliebt. Dann kam Silvio Berlusconi an die Macht. Heute, 20 Jahre später, liegt die Verschuldung bei 131 Prozent. Und was machen die Populisten? Sie geben Europa dafür die Schuld. Salvini und Di Maio wollen sich bis zu den EU-Wahlen über die Zeit retten, weil sie glauben, dass die Populisten dann in Brüssel das Sagen haben werden. Doch die Populisten in den anderen Ländern Europas werden nicht bereit sein, die Schulden Italiens zu übernehmen. Das Land wird vor einem gewaltigen Scherbenhaufen stehen.
Wie kann sich Südtirol davon abkoppeln?
Südtirol wird nicht so absaufen wie Italien. Wir sind abgesichert, haben einen anderen Wirtschaftskreislauf und ein höheres Wirtschaftswachstum. Doch die schlechte Politik der italienischen Regierung – einerseits gibt es einen „Condono“ für Steuerhinterzieher, andererseits will man neues Steuergeld unter den Bürgern verteilen – wird auch in Südtirol ihre Spuren hinterlassen.
Die SVP-Parlamentarier in Rom stehen zurzeit im Abseits. Mit einer Regierungskoalition auf Landesebene würde sich ein Türchen zur Lega öffnen …
Wir befinden uns in Rom in der Opposition und müssen gegenüber der Regierung keinen Schmusekurs fahren. Ich war in meinen Parlamentsjahren nie zwei Legislaturen in Folge in der Mehrheit. Das hat uns nicht geschadet. Wir brauchen der Regierung nicht am Rockzipfel zu hängen, sondern müssen schauen, das Bestmögliche für unser Land zu erreichen. In Rom werden bald auch wieder andere Mehrverhältnisse herrschen.
Interview: Matthias Kofler
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