Die Schock-Statistik

Foto: 123RF.com
Laut einer Studie der Tageszeitung „Il sole 24 ore“ ist Bozen die Provinz mit den drittmeisten angezeigten sexuellen Verbrechen.
von Markus Rufin
Vor wenigen Tagen veröffentlichte die italienische Tageszeitung „Il sole 24 ore“in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium eine Statistik zur Kriminalität in Italien.
In der Statistik werden die italienischen Provinzen untereinander verglichen und in einer Rangliste wird dargestellt, wo es die meisten Verbrechen gibt.
Dabei liefert die Statistik auch ein Bild davon, welche Straftaten begangen werden. Der „Sole“ schreibt im entsprechenden Artikel, dass 2017 insgesamt 6.650 Straftaten pro Tag angezeigt werden, das sind rund 277 pro Stunde und entspricht einer Steigerung von 2,7 Prozent gegenüber 2016.
Die am häufigsten angezeigte Straftat sind Diebstähle. Rund 1,27 Millionen Mal kam es 2017 zu einer Anzeige bei der Polizei. Dieser Tatbestand ist laut Statistik allerdings leicht rückläufig.
Auch Morde und Raubüberfälle gehen zurück. Dagegen steigen Drogenhandel und Brandstiftungen. 2017 gab es außerdem mehr Sexualdelikte als in den Jahren zuvor. 13 Anzeigen pro Tag nimmt die Polizei staatsübergreifend auf. Das entspricht einem Anstieg von 15 Prozent gegenüber 2016.
Besonders schockierend: Im Ranking der Provinzen ist Bozen bei den Sexualstraftaten auf dem dritten Platz. 79 Anzeigen wurden 2017 bei der Polizei aufgegeben. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Steigerung von 204 Prozent. Eine unglaubliche Zahl!
Noch schockierender wirkt die Zahl, wenn man bedenkt, dass Großstädte wie Mailand, Neapel oder andere süditalienische Provinzen prozentuell hinter Bozen liegen. Zum Vergleich: In der Nachbarprovinz Trient gab es 51 Fälle von sexueller Gewalt.
Bei den anderen Straftaten ist Bozen im Mittelfeld beziehungsweise in den hinteren Regionen anzutreffen. Im Vergleich aller begangener Straftaten liegt Bozen auf dem 68. Platz, im Vergleich zu 2016 ging die Anzahl der Verbrechen um sieben Prozent zurück.
Kann es also tatsächlich sein, dass in Bozen prozentuell mehr sexuelle Straftaten begangen werden, als in Neapel oder Mailand? Nicht unbedingt. Denn in der Statistik werden nur die angezeigten Straftaten aufgelistet. Der Grund: Die Daten wurden von den Polizei- und Carabinieri-Abteilung übermittelt.
Das heißt, dass es durchaus sein könnte, dass Bozen nur deshalb in der Liste so weit oben aufscheint, weil dort die Delikte im Gegensatz zu anderen Provinzen öfter angezeigt werden.
Das sieht auch Donatella Marchesini, Stellvertretende Generalanwältin des Oberlandesgerichtes Bozen, so: „Ich habe den Artikel nicht gelesen, aber wenn es sich nur um angezeigte Straftaten handelt, dann ist es für mich eine positive Statistik.“
Marchesini war bis vor zwei Jahren Leiterin des „fasce deboli“, einer Gruppe, deren Aufgabe es ist, die Dunkelziffer bei den Sexualstraftaten zu senken und hat daher viele Erfahrungen und Daten dazu bereits gesammelt. Denn wie Marchesini bestätigt, sei die Dunkelziffer „sehr hoch“.
Die Arbeitsgruppe arbeitet intensiv mit den Sozialdiensten, den Frauenhäusern, den Krankenhäusern und den Schulen zusammen. Im speziellen sollen Frauen dazu bewogen werden, sexuelle Belästigungen oder Vergewaltigungen anzuzeigen.
Im Artikel des „Sole“ wird angedeutet, dass die Steigerung an Sexualdelikten (15 Prozent) auch mit der „Me-too-Debatte“ zusammenhängt. Demzufolge könnten auch deshalb mehr Anzeigen gemacht worden sein.
Marchesini macht noch einen weiteren Grund für die Steigerung in Bozen aus: „Die Frauenhäuser sind wichtige Strukturen, die die Frauen dazu bewegen, Anzeige gegen gewalttätige Männer zu erstatten. Das funktioniert sehr gut und führt dazu, dass auch andere Straftaten angezeigt werden.“
Für Marchesini ist die Statistik also nicht ein Zeichen dafür, dass die Menschen in der Provinz Bozen gewalttätiger sind, sondern dass die Dunkelziffer niedriger ist, als in anderen Provinzen.
Kommentare (5)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.