Kleinstadtidyll
Horst Moser nimmt mit seinem Roman „Kleinstadtidyll“ die Entgleisungen des Zusammenlebens unter die Lupe, wie sie täglich unter den Teppich gekehrt werden.
Von Helmuth Schönauer
Das Wesen einer Kleinstadt ist es, dass Geschäfte, Gerüchte und Gefühle ganz eng beieinander liegen und oft sogar ausgetauscht und verwechselt werden. Horst Moser nimmt mit seinem Roman „Kleinstadtidyll“ die Entgleisungen des Zusammenlebens unter die Lupe, wie sie täglich unter den Teppich gekehrt werden. Als Hauptthema kristallisiert sich dabei die sub-kuttane Sexualität heraus, die gerade in kleinen Gemeinwesen seit Generationen blüht und emsig vertuscht wird. So können die nächsten Generationen sich wieder in voller Unschuld dem schändlichen Treiben widmen, wenn die Alten sich ins Grab geschwiegen haben.
Das Kleinstadtidyll vermittelt auf den ersten Blick jenen emsigen Frieden, der entsteht, wenn alle busy sind und Informationen aus dem Netz beziehen. Sophie feiert den sechsundzwanzigsten Geburtstag und kriegt plötzlich seltsame Mails von einem gewissen K. Wie sich herausstellt, ist es ein Hilferuf eines geschändeten Buben, der jetzt als Erwachsener einen Weg der Aufklärung sucht. Sophie wird in der Folge Zeugin von makaberen Auseinandersetzungen, immer im Zwiespalt zwischen Veröffentlichung und Verschwiegenheit. Denn in einer Kleinstadt hat jeder noch so kleine Nebensatz Auswirkungen, wenn er die festgefahrenen Rituale stört.
In der Kerngeschichte will der Tal-Oligarch Hofer seinen Recyclingbetrieb ausbauen und ist dabei auf einen Kirchengrund angewiesen, den der Dekan Brugger partout nicht hergeben will. Die Machtverhältnisse sind schon am nächsten Tag wieder hergestellt, als der Unternehmer den Dekan erpresst. Dieser hält sich nämlich einen Jüngling als Künstler, der so nebenher unter der Kutte zur Sache gehen muss. Der Vater des Geschändeten arbeitet wie alle beim Hofer, und als er eine Gegenerpressung starten will, weil es ja sein Sohn ist, der in die Sexualmühle des Dekan geraten ist, scheint das Geschäft noch einmal zu platzen. Aber Hofer zeigt, was unter der Hülle einer Idylle so alles steckt, und wirft den Aufmucker stracks in eine Schottermühle, wo jeder Tod nach Arbeitsunfall ausschaut. Der Rest ist Hilf- und Fassungslosigkeit.
An der Oberfläche liest sich die Idylle wie ein handfester Krimi um Schändung und Mord, wie er sich in der Literatur und im Leben immer wieder abspielt. Im Untergrund aber sind es gerade diese naiv-zweideutigen Sätze, die die Verlogenheit in so einer Kleinstadt aufbrechen lassen. Die Figuren stehen immer am Abgrund, weil sie letztlich eine Rolle verkörpern müssen, der sie im Innersten gar nicht gewachsen sind. Der Dekan wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Zuneigung zum Jüngling, aber irgendwas ist stärker als seine Kutte. Und der Unternehmer vergisst im entscheidenden Moment die Faustregel, dass man nie die Hände verwenden darf, wenn man was unternimmt. In ihm bricht plötzlich etwas Brutales aus der Kindheit auf, das er bislang durch Business übertüncht hat. Und das Geburtstagskind Sophie erlebt plötzlich eine Hardcore-Wahrheit, die ihr bislang unter den Smilies und Kurztexten am Display verborgen geblieben ist.
Die Kleinstadt ist der brutale Schwarzweißfilm am anderen Ende der Globalisierung. Im ersten Reflex versucht man immer, es unter den Teppich zu kehren, oder aus dem Display zu wischen, wenn etwas stört. Aber in der Kleinstadt weiß man auch, dass man sich Tag und Nacht über den Weg läuft und es daher keine Transparenz, sondern nur Gerüchte gibt. Und Geschäft und Gefühl sind in diesen Bereichen ohnehin identisch, das ist ja das Wesen der Idylle. – Ein makaberer Roman, der plötzlich aus der taffen Ordnung ausbricht.
Horst Moser: Kleinstadtidyll. Roman. Bozen: Edition Raetia 2018. 228 Seiten. EUR 17,90. Horst Moser, geb. 1975 in Meran, lebt in Bruneck.
Termine
Horst Moser liest am 23. Oktober um 19.00 Uhr in der Galerie Prisma, Bozen, am 25. Oktober um 20.00 Uhr im Ufo Bruneck und am 16. November um 20.00 Uhr in der Stadtbibliothek Meran.
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