„Gute Südtiroler & Verräter“
Ex-Senator Francesco Palermo warnt davor, dass die Doppelpass-Pläne die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol in zwei Lager spalten könnten. Der Politik fehle es bei diesem Thema an Weisheit und Weitsicht.
TAGESZEITUNG Online: Herr Palermo, der italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi hat einen Wien-Besuch abgesagt, weil er die Doppelpass-Pläne für revanchistisch und anachronistisch hält. Wie schwer belastet der Doppelpass das bilaterale Verhältnis der beiden Staaten?
Francesco Palermo: Ich persönlich finde die Reaktion von Moavero nicht richtig. Bilaterale Beziehungen müssen immer gepflegt werden. Und man muss auch dann reden, wenn die andere Seite provoziert, sonst vermittelt man den Eindruck, dass die Provokation erfolgreich war. Insbesondere mit Freunden muss man immer geduldig sein, auch um sie zu überzeugen, dass sie sich irren.
Also belastet der Doppelpass die bilateralen Beziehungen?
Ich würde sagen: Es gibt innerhalb der italienischen Regierung unterschiedliche Empfindlichkeiten. Das ist der politische Alltag. Andererseits: Wenn die Südtiroler Autonomie international abgesichert und prinzipiell bilateral sein soll, sind einseitige Maßnahmen immer problematisch. Daher stellt sich für mich schon die Frage: Inwieweit sind einseitige Maßnahmen in einer bilateralen Konstellation wünschenswert?
Innenminister Matteo Salvini hat erst vor wenigen Tagen erklärt, er könne sich vorstellen, dass Italien und Österreich in Sachen Doppelpass eine Lösung finden werden.
Eben, es gibt innerhalb der Regierung unterschiedliche Sensibilitäten. Es wird auf diplomatischer Ebene immer gesagt, dass der Doppelpass nur im europäischen Geiste umgesetzt werden soll. Was dies konkret heißen soll, ist mir nicht ganz klar. Wie kann ein Doppelpass dem europäischen Geist entsprechen, wo bereits auf allen europäischen Pässen EU draufsteht? Aber vielleicht sind die Regierungen diesbezüglich ja noch kreativ.
Sie halten nichts vom Doppelpass?
Ich bin Jurist. Und solange ich keinen Text sehe, kann ich wenig sagen, ich kann nur eine Idee kommentieren.
Was halten Sie von der Doppelpass-Idee?
Sie ist problematisch in vielerlei Hinsicht. Erstens bringt der Doppelpass nur Symbolisches, also nichts Inhaltliches, abgesehen vom Wahlrecht, was noch zum innerösterreichischen Problem werden könnte. Zweitens: Eine bilaterale Autonomie lässt sich schwer vereinbaren mit einseitigen Maßnahmen. Aber der kritische Hauptpunkt für mich ist die Spaltung der Gesellschaft, die der Doppelpass mit sich bringt. Der Doppelpass würde nicht nur die Sprachgruppen, sondern die deutschsprachige Bevölkerung spalten.
Warum?
Erstens weiß man bis heute nicht, wie viele Leute den Doppelpass befürworten würden. Man geht immer davon aus, dass die Leute das wollen. Man schätzt, dass die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung den Doppelpass will. Hinzu kommt dann noch die politisch implizite Unterscheidung zwischen guten, tiroltreuen Südtirolern und den anderen, die die Verräter wären. Ich frage mich: Wozu das Ganze?
Eben, wozu?
Hinzu kommt, dass Italien den Doppelpass nicht als freundliche Maßnahme betrachtet. Man kann über alles nachdenken und über alles reden, aber man sollte abwägen, was es bringt. Das Element der Spaltung der deutschsprachigen Bevölkerung wurde in der Doppelpass-Diskussion bislang völlig unterschätzt.
Matteo Salvini bastelt an einer breiten rechten Allianz für die EU-Wahl 2019 mit der AfD, mit der FPÖ, mit Marine Le Pen. Könnte der Doppelpass ein Zugeständnis Salvinis an Strache sein?
Das müssten Sie Salvini fragen.
Wie würde sich eine rechte Allianz auf Südtirol auswirken?
Schwer zu sagen. Nationalisten sind in der Regel immer die Feinde von Minderheiten gewesen. Das ist prinzipiell kein gutes Omen, aber es kann auch ganz anders werden. Ich bin nicht von vornherein skeptisch, es muss nicht sein, dass so ein Bündnis auf ein delikates Umfeld, wie Südtirol es ist, negative Auswirkungen hat. Das Autonomiesystem ist in vielen Jahren ausgearbeitet und ausverhandelt worden. Deshalb sollte man es auch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen …
Sie meinen wieder den Doppelpass?
Ja, man muss sich fragen, ob es sich lohnt, aus dem Doppelpass ein so wichtiges Thema zu machen, wo es in Österreich ja bereits ein Gleichstellungsgesetz gibt. Das Autonomiesystem ist ein sehr empfindliches und komplexes System. Da kann schon die Änderung eines Beistriches gravierende Konsequenzen haben. Deswegen müssen wir auf dieses System sehr gut aufpassen und uns fragen, ob es sich lohnt, an einem sehr gut funktionierenden System zu rütteln und sich damit der Gefahr eines Rückschrittes auszusetzen. Man weiß immer nur, wo man beginnt, aber oft nicht, auf was es hinausläuft.
Theoretisch könnte sich bald folgende politisches Konstellation begeben: Die SVP geht in Südtirol ein Regierungsbündnis mit der Lega ein. Und nächstes Jahr sitzt dieselbe Lega in Brüssel mit Marine Le Pen und mit der AfD in ein und derselben Fraktion im EU-Parlament.
Man weiß nicht, mit wem die SVP in die EU-Wahl geht. Bislang ist sie mit dem PD gegangen. Ich würde grundsätzlich sagen, dass Südtirol die Auswirkungen der EU-Politik nur indirekt spüren wird. Südtirol hat viele Vorteile. Wir sind ein kleines, feines, nicht so relevantes Land. Wir sind nicht Katalonien oder Schottland. Außerdem bin ich mir nicht so sicher, dass es zu einer Koalition zwischen Lega und SVP kommt …
Nicht?
Ich würde mein Geld nicht darauf verwetten. In der SVP gibt es verschiedene Flügel. Die SVP ist eine sehr bunte Partei. Es gibt die, die eher nach rechts schauen, es gibt andere, die sich eher sozialdemokratisch orientieren und die große Probleme damit hätten, mit der Lega zu regieren. Die Sache ist meiner Meinung nach noch nicht gegessen. Aber selbst wenn es zu einer Koalition zwischen der Lega und der SVP kommen sollte: was sollte sich groß ändern?
Es würde sich nichts ändern?
Die SVP würde einen Rechtskurs eingehen, okay, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Bezug auf die Autonomie oder auf den Minderheitenschutz große Umwälzungen geben würde.
Die Regierung Conte schneidet in den jüngsten Umfragen hervorragend ab. Über 60 Prozent der Bürger bewerten die Regierung positiv. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung teilt den Kurs der Regierung in der Einwanderungsfrage …
… das ist auch der einzige Punkt.
Ist Italien eine rechte Republik geworden?
Nein, Italien war immer eine konservative Republik. Die Bevölkerung hat sich nicht geändert. Der Unterschied besteht nur darin, dass es salonfähig geworden ist, gegen die Immigration zu schimpfen. Vorher war es genauso, man hat sich nur geschämt, dies öffentlich zu sagen. Der Konsens für die Regierung hat ausschließlich mit der Einwanderungspolitik zu tun, was problematisch ist. Sollte auch die Landesregierung nach rechts rücken, dann wäre dies nicht für die Deutschen, die Italiener oder die Ladiner im Lande ein Problem, sondern für die Einwanderer und für die anderen diskriminierten Kategorien.
Zurück zum Thema Doppelpass: Wie könnten Rom und Wien die Differenzen beseitigen?
Es ist für Südtirol wichtig, gute Partner in Rom zu haben. Gleichzeitig muss man immer vorsichtig sein mit den Forderungen. Bestimmte Sachen brauchen mehr Zeit. Gerade beim Doppelpass habe ich den Eindruck, dass die Südtiroler Politik oft zu kurzsichtig und zu provinziell ist. Man denkt, bestimmte Sachen wären selbstverständlich. Aber gerade beim Thema Doppelpass fehlen Weisheit und Weitsicht. Deswegen bin ich auch eher besorgt.
Interview: Artur Oberhofer
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Kommentare (14)
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andreas
Dieser Unsinn, immer das Wort bilateral zu verwenden, scheint in der Politik Mode geworden zu sein. Eine Beziehung oder Verhältnis ist immer bilateral und Gespräche sowieso, sonst wäre es ein Monolog.
Und danke an die Wähler der derzeitigen Regierung, welche den Zuständigen des Finanzministeriums droht, sie zu entlassen, wenn sie die Finanzmittel für die Träumereien der Regierung nicht freigeben und von „vendetta“ schwadronieren.
So bescheuert, mit Ansage in den Abgrund zu springen und 60% finden das auch noch gut, ist auch nicht jeder. Die 60% sollten schon mal ihr Geld herrichten, damit sie es Italien leihen können, Zinsen bekommen sie gewiss reichlich….
leser
Ach amdreas
Hast wieder alles verstanden was palermo meinte
Der pöbel darf jetzt aus den löchern kriechen und frei auf ein ofer draufhauen dank der aufforderung von rechten schreiern
Dass der mop die wahren probleme nicht erkennt wird da zur nebensache
Dass man das durch neuverschuldung finanziert ist dasresultat der kranken finanzpolitik und der narrenfreiheit der banken zu verdanken, das die europäische politik aufgebaut hat
Allein da musste das lager des mops europafreundlichsein aber nichteinmal das erkennt er
tiroler
HERR SVPD PALERMO, LESESTOFF AUCH FÜR SIE:
Zum Thema verweise ich auf die treffende #Sonntagsmeinung von Herrn Georg Lezuo in der Tageszeitung von gestern, Samstag22 September. Lesenswert vor allem für Möchtegerngutmenschen und Weltverbesserern vor allem aus dem grün linken Südtiroler #Lager
Dem Artikel ist nichts hinzuzufügen.
leser
Aber trotzdem überflüssiger schmarrn