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„Diese Schweinerei muss beendet werden“

Die Almverpachtungen an Provinzfremde: EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann über die Geldgeschenke an Nicht-Bauern, warum das Abkassieren weitergeht – und welche Lösung angepeilt wird.

von Heinrich Schwarz

In Südtirol sind inzwischen 23 Almen mit insgesamt 3.300 Hektar Fläche an Nicht-Provinzansässige – zumeist norditalienische Betriebe – verpachtet. Vor drei Jahren waren es erst 1.150 Hektar.

Die Pächter wollen die Almen aber nicht bewirtschaften (und lassen die Bauern deshalb weiter Vieh auftreiben), sondern sie brauchen die Fläche nur auf dem Papier, um hohe EU-Beiträge zu kassieren. Sie besitzen nämlich lukrative Prämienrechte von 250 bis über 1.000 Euro pro Hektar und müssen dafür lediglich Flächen nachweisen.

Die Südtiroler Almeigentümer lassen sich auf die Pachtverträge ein, weil sie dadurch mehr Geld verdienen als sie selbst an EU-Beiträgen bekommen würden.

Das Interview mit EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann zum brisanten Thema:

Tageszeitung: Herr Dorfmann, Sie sind seit Jahren auf EU-Ebene aktiv, um die Almverpachtungen zu verhindern. Warum ist das noch immer nicht gelungen?

Herbert Dorfmann: Man kann das Problem erst mit der nächsten Reform hoffentlich halbwegs in den Griff kriegen. Mich ärgert, dass die verpachteten Flächen in Südtirol immer noch ansteigen. Wir glaubten nämlich, dass es durch die letzte Reform nach unten geht. Heute ist es nämlich so, dass unsere ganzen Almflächen auch im Prämiensystem drin sind. Wenn unsere Alminteressentschaften selbst die Almen behalten, kriegen sie auch Geld. Mich wundert also schon, dass sich die Leute immer noch ködern lassen. Ich war kürzlich Berichterstatter im EU-Parlament zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), wo ich sehr scharf zu diesem Thema war und dem EU-Kommissar die Liste gab. Diese Verpachtungen sind eines der gravierendsten Beispiele dafür, dass die GAP eigentlich nicht funktioniert. Es gibt reine Nutznießer, die mit Landwirtschaft nichts mehr am Hut haben und trotzdem Geld kriegen. Geld, das eigentlich den Bauern zustehen würde. Und leider spielen unsere Alminteressentschaften dieses Spiel mit.

Sie sagten schon vor zwei Jahren, dass die Almflächen inzwischen prämienberechtigte Flächen sind und man sich die Prämienrechte jetzt sichern sollte, um später nicht nur die Finger zu schauen. Sind die Prämien aber weiterhin so niedrig, dass sich eine Verpachtung immer noch auszahlt?

Natürlich sind diese Prämienansätze noch niedriger als die Zahlungsansprüche der Pächter. Aber die Pächter geben ja nur einen kleinen Teil ihrer Zahlungsansprüche an die Verpächter weiter. Dass sich eine Verpachtung noch auszahlt, kommt mir komisch vor. Ich glaube, dass sich ein paar Interessentschaften nicht genau informieren – sonst gibt es das nicht. Einige wären heute wohl schon besser dran, wenn sie selber ansuchen würden. Dahinter steht aber ein Grundproblem.

Und zwar?

Es geht nicht nur um die Almen. Das Phänomen ist weit verbreitet und hat im Appenin oder in Belluno ganz andere Dimensionen. Das Grundproblem ist, dass wir immer noch ein historisches System haben, wo diese Leute Prämienansprüche haben, die sie verlegen können. Die Mitgliedsstaaten hätten die Möglichkeit gehabt, aus diesem System auszusteigen. Italien ist diesen Weg aber nie oder nur teilweise gegangen. In meinem Vorschlag für die Reform habe ich sehr deutlich gesagt: Entweder man macht so schnell wie möglich die interne Konvergenz oder sonst fährt das ganze System gegen die Wand. Ich bin jedem Medium dankbar, das diese Schweinereien aufdeckt und dafür sorgt, dass endlich ein öffentlicher Druck entsteht. Das Ganze ist nämlich nicht im Sinne der Bauern, sondern nur von Leuten, die mal das Glück hatten, diese Prämienrechte zu kriegen. Wenn ich mir diese Pächter anschaue, dann haben sie zum größten Teil nichts mehr mit Landwirtschaft am Hut, aber kassieren einen Haufen Geld. Das kann es nicht sein.

Mit diesen Prämienrechten erhalten die italienischen Betriebe mehr Geld, wenn sie weitere Flächen vorweisen?

Nicht ganz. Also die Prämienrechte kriegten sie im Jahr 2007 bis 2008. Nehmen wir einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Poebene her, der damals 100 Hektar in Eigentum oder Pacht hatte: Dieser Bauer kriegte 100 Prämienrechte mit einem bestimmten Wert, zum Beispiel je 400 Euro. Diese Prämienrechte kann er irgendwo auf seinem Betrieb aktivieren. Viele Betriebe haben die damaligen Pachtflächen oder zum Teil sogar ihr Eigentum heute aber nicht mehr – und im Grunde auch keinen Betrieb mehr –, aktivieren ihre Prämienrechte jedoch auf unseren Almen.

Sie können also ihr eigenes Eigentum verkaufen und einfach irgendwelche andere gepachtete Flächen vorweisen, die sie gar nicht bewirtschaften?

Genau. Das Ganze kann man nur in Griff kriegen, indem man sagt, dass man für alle Flächen gleich viel Geld kriegt. Dann zahlen sich solche Verpachtungen nicht mehr aus. Oder man geht wie Österreich einen anderen Weg, den ich als vernünftiger erachte, auch wenn er nicht ganz im Südtiroler Sinne ist: Man macht Prämienrechte mit zwei Werten – mit einem deutlich niedrigeren Wert für Almen als für Nicht-Almen. Dann ist eine Wiese im Pustertal gleich viel wert wie eine in der Poebene, und eine Alm in Südtirol gleich viel wie eine in Belluno. Damit wäre das Spiel mit dem Verschieben fertig. Aber solange ich hochwertige Prämienrechte irgendwo aktivieren kann, wo eigentlich eine sehr extensive landwirtschaftliche Tätigkeit stattfindet, wird diese Schweinerei nie aufhören.

Warum erhielten die italienischen Großbauern überhaupt so hohe Prämienrechte im Vergleich zu Südtiroler Bergbauern?

Da muss man in die tiefen Abgründe der GAP gehen. Früher kriegten die Bauern bestimmtes Geld für bestimmte Produktionen. 2007 unter Kommissar Fischler wurde dann eine sogenannte Koppelung gemacht: Jeder Betrieb zählte für sich die ganzen Prämien zusammen und berechnete den Schnitt pro Hektar. Daraus entstanden die Prämienrechte. Nun gab es für den Ackerbau – wie in der Poebene – damals aber deutlich höhere Zahlungen als für die Grünlandgebiete, wie wir sie in Südtirol haben. Österreich und Deutschland haben inzwischen eine Angleichung gemacht. Damit ist dort das Geld von Ackerbau- zu Grünlandgebieten gewandert. In Südtirol konnten wir die sogenannte 1. Säule der GAP in den letzten Jahren zwar verdreifachen, aber wir sind immer noch nicht da, wo die anderen sind.

Da müsste Italien handeln?

Ja, aber ich mache mir da wenig Illusionen. Es braucht von Brüssel die ganz klare Vorgabe, dass die Staaten das System ändern müssen. Sonst wird die Lobby der Großbauern in Italien immer stark genug sein, um das zu verhindern, weil genug Leute daran verdienen.

Gibt es eine Aussicht, dass sich auf EU-Ebene etwas tut?

Mich hat es sogar gewundert, dass mein Bericht, in den ich hineinschrieb, dass wir mit dem historischen System aufräumen müssen, bei der Abstimmung im Parlament eine breite Mehrheit fand. Mal schauen. Wir müssen jedenfalls jetzt handeln, weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist. Das vorhandene Geld müssen wir dort hintun, wo effektiv landwirtschaftliche Tätigkeit passiert, anstatt es irgendjemand anderem einfach zu schenken.

Von welchem Jahr sprechen wir frühestens?

2020 bis 2021.

Kritisieren Sie die Verpächter in Südtirol oder können Sie diese auch verstehen, wenn sie auf die Pachtverträge eingehen?

Ich verstehe die einzelnen Alminteressentschaften natürlich irgendwie, weil Geld ist Geld. Aber der Sache insgesamt macht man damit keinen Gefallen. Ich glaube auch, dass es langfristig interessanter ist, die Prämienrechte selbst zu aktivieren, weil man heute ordentliches Geld dafür kriegt. Oft sollte man sich einfach nicht von den zehn Euro mehr locken lassen, die einem die Pächter geben.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (30)

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  • criticus

    Was soll in der EU schon weitergehen? Selten haben die Herren da oben Probleme gelöst. Und schon gar nicht die Alkoholprobleme, oder Herr Junker?

  • andreas

    Die Regelung ist wie sie ist, da kann Dorfmann noch so sozialromantisch daherreden.
    10 Euro je ha mehr wären 33.000 Euro, welche die Bauern bekommen und gleichzeitig die Alm selbst nutzen können, also keinen Nachteil haben.
    Und gerade von EU Politikern, welche Privilegien geniessen, von welchen andere nur träumen können, habe ich noch nie gehört, dass einer aus Idealismus auch nur auf einen Euro verzichtet hat.

    „fatta la legge trovato l’inganno“ und dies gilt nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa, wobei die Verpachtung der Bauern gar nicht mal rechtswidrig ist.

  • pingoballino1955

    Warum prangert man diesen Zustand erst 5 Minuten vor den Wahlen an Herr Dorfmann?????Hatte man vorher keine Zeit??????

  • george

    Heuchler! Bauern wie Politiker, die dieses System Jahre lang unterstützt haben und es noch heute tun. Heuchler auch ‚andreas‘ u. co., die immer wieder solche Heucheleien und Schwindeleien befürworten.

  • guyfawkes

    „…Herbert Dorfmann über die Geldgeschenke an Nicht-Bauern…“

    SKANDAL: „Nicht-Bauern“ erhalten Geldgschenke! Es sollte doch wohl klar sein dass ausschliesslich Bauern Geldgeschenke erhalten dürfen.

    *** Ironie OFF ***

  • andreas

    @kurtl+george+ahaa
    Ihr 3 solltet mal googeln was ein Heuchler ist.

    Ich finde es aber immer wieder lustig euch mit 2 Sätzen auf die Palme zu bringen, wobei das wohl euer übliches Habitat ist.

    PS. Wisst ihr bitte, wie man auf dieser Seite das Bild von 3 Schimpansen einfügen kann? 🙂

  • morgenstern

    Ich kotz im Strahl……, wenn irgendwas über die Bauern bzw. die Landwirtschaft geschrieben bzw. berichtet wird geht es immer nur um Beiträge. Als Steuerzahler frage ich mir schon langsam wie lange wir uns diese, den Rachen nicht voll kriegende, steuerbefreite Spezies überhaupt noch leisten können.

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