Die Zivilpoesie
33. Literaturtage Lana: „Politische Grammatik. Zur Geistesgegenwart der Dichtung.“
Was politisches Schreiben heißt, fragen in diesem Jahr die traditionsreichen Literaturtage Lana. Wo Literatur ihren Blick zur Gegenwart nicht politisch propagiert, sondern poetisch verhandelt und verwandelt, ist die Frage auf die Form dichterischer Sprache gerichtet. Darin wird ein politisches Bekenntnis nicht als Absicht laut, sondern ist eingeschrieben als Grunderkenntnis und Haltung.
Der chinesische Schriftsteller und Friedenspreisträger Liao Yiwu, der zu den starken literarischen Stimmen gegen Unterdrückung und Verfolgung gehört, eröffnet am 20. August die Literaturtage Lana im Schallerhof in der Vill.
Der unbestechliche Chronist seines Landes, verfolgt und im Gefängnis schwer misshandelt, schreibt über die Zustände seines Heimatlandes, das mit allen Schikanen die Verletzung menschlicher Rechte und Würde ungebrochen vorantreibt. Zwischen Dokumentation und leuchtender Erzählkunst entwirft Liao Yiwu ein literarisches Bild, dessen groteske und phantastische Wirklichkeit sich der grotesken und phantastischen Wirklichkeit der Welt zur Seite stellt.
Dem Dichter, Romanautor, Filmemacher und Theatermann Thomas Brasch, seiner poetischen Rage und politischen Leidenschaft, ist am 21. August eine Hommage gewidmet. Brasch mutierte nach seiner Ausreise in den Westen 1977 von den Medien zum Vorzeigedichter der DDR. Dennoch ließ er sich vor keinen ideologischen Karren spannen und blieb gegenüber jedweder Vereinnahmung immun. Angela Winkler, deren Gesicht aus Filmen von Volker Schlöndorff oder Margarethe von Trotta und von großen Theaterbühnen her bekannt ist, liest aus dem Werk ihres verstorbenen Freundes und Zeitgenossen.
Wie Thomas Brasch gehört auch Volker Braun zu den Schriftstellern, die die Geschichte Deutschlands vor und nach der Wende so empört wie heiter und scharfsinnig begleitet haben. Den Blick für die großen gesellschaftlichen Fragen hat Braun im sozialistischen Osten nie ideologisch verbrämt und im kapitalistischen Westen nie eingebüßt. In Lana liest er aus seinen Tagebüchern und dem letzten Gedichtband.
Wie eine „Zivilpoesie“ Instrument der Analyse einer Gegenwart wird, das nach den Gebrauchs- und Produktionsspuren kultureller Einrichtungen ebenso fragt wie es die poetischen und politischen Bedingungen eigenen Schreibens reflektiert, zeigt Sergio Raimondi, einer der großen Erneuerern der argentinischen Lyrik.
Während Sergio Raimondi, an Brecht und Pasolini geschult, mit einer Zivilpoesie an der Literatur des politischen Engagements festhält, brechen Tomasz Różycki aus Polen und Julian Tânase aus Rumänien mit Erwartungen und Wertungen, die einem politischen Schreiben Aktualitäten und Appelle abverlangen. Bei Różycki verlegt sich literarisches Sprechen auf die Reflexion düsterer Vergangenheiten und geschichtlichen Wandels, in der die Skepsis nicht Methode, sondern stille Betrachtung ist. Einen durchwegs kritischen, doch nie verurteilenden Weltbezug stellt Julian Tânase im heiter surrealen, im vergnüglich paradoxalen Durchspielen des Traums, der an der Umkehrung gewohnter Ordnungen die Verlängerung geschichtlichen Wandels irritierend vorwegnimmt.
Über das Verhältnis von Poesie und Moral jener Dichtung, die experimentell genannt wird und sich dem Vorurteil der Realitätsverweigerung aussetzen muss, spricht der Dichter Ulf Stolterfoht und ebenso über die politische Dimension des Unverständlichen, über die der prominente Vertreter experimenteller Lyriktradition Oskar Pastior sagte: „Wer nicht spielt, weiß nichts vom Widerstand.“ Sonja vom Brocke trägt die Frage nach dem politischen Gedicht an das Situative und Leibliche heran und verknüpft das Gedicht mit einem lebenslänglichen Verwickeltsein, das auch eine körperliche Ungeschütztheit mit sich trägt.
Die Literatur, die also beim diesjährigen Festival von Lana zu Wort und ins Gespräch kommt, nimmt sich aus den Verhältnissen nicht aus. Sie übernimmt Verantwortung im Wortsinn und sucht Veränderung im Unfertigen. Und wo sie nicht Ja sagt zur Zeit (Volker Braun), pflegt sie unnachgiebig die subversive Kraft des Wünschens.
33. Literaturtage Lana: „Politische Grammatik. Zur Geistesgegenwart der Dichtung“
20. – 23. August 2018
Schallerhof in der Vill, Raffeinweg 2, Lana
www.literaturlana.com
PROGRAMM
Mo, 20. August 2018: Eröffnung
20.00: Begrüßung: LR Philipp Achammer, BM Dr. Harald Stauder, Prof. Elmar Locher
Theresia Prammer und Christine Vescoli (Kuratorinnen)
Liao Yiwu: „Die Wiedergeburt der Ameisen“ (Aus dem Chinesischen von Karin Betz, S. Fischer Verlag 2016)
Lesung und Gespräch mit Karin Betz
Di, 21. August 2018
„Vom Lieben und vom Lassen“. Der Dichter Thomas Brasch
17.00 Einführung: Martina Hanf, Hermann Wündrich
18.00: „Ein Buch mit unsichtbaren Zeichen “. Annäherungen und Gespräche.
Mit Volker Braun, Martina Hanf und Hermann Wündrich
20.00: Angela Winkler: „Wer durch mein Leben will, muß durch mein Zimmer“. Lesung aus Texten von Thomas Brasch. Zusammenstellung: Hermann Wündrich
22.30: Film: „Domino“ (Thomas Brasch, D, 1982)
Mi, 22. August 2018
18.00: Sonja vom Brocke: „Hier und dort. Zum verwickelten Gedicht“
19.00: Ulf Stolterfoht: „Regel und Verantwortung – über ein vermeintliches Problem der experimentellen Lyrik“
Gespräch mit Sonja vom Brocke und Ulf Stolterfoht
20.30: Sergio Raimondi: „Zivilpoesie“ und „Für ein kommentiertes Wörterbuch“ (Aus dem Argentinischen von Timo Berger, Berenberg 2012)
Einführung und Gespräch: Ulf Stolterfoht
Do, 23. August 2018
18.00: Julian Tânase: „Abgrunde“ (Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner, Brüterisch Press 2018)
Einführung und Gespräch: Ulf Stolterfoht
19.00: Tomasz Różycki: Zwischen uns und der Welt
Einführung und Übersetzung: Marlena Breuer
20.00: Volker Braun: „Handbibliothek der Unbehausten“ (Neue Gedichte. Suhrkamp Verlag 2017)
Einführung und Gespräch: Katrin Hillgruber
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