Gestürmte Berge
Seit Wochen sind viele Schutzhütten in Südtirol ausgebucht. Warum es immer mehr Menschen in die Berge zieht. Welchen Luxus Schutzhäuser heute bieten. Und mit welchen Schwierigkeiten das verbunden ist.
von Silke Hinterwaldner
Eine Schutzhütte muss vieles sein: Wanderziel, Stützpunkt, Unterkunft und Restaurant. Was die letzten beiden Punkte betrifft, haben sich die Ansprüche der Gäste in den vergangenen Jahren grundlegend geändert.
Bergsteiger, die auf den Hütten übernachten, wollen längst nicht mehr in einem überfüllten Lager nächtigen. Sie bevorzugen Zwei-Bett-Zimmer, gern auch mit Dusche und WC. Diesen Wünschen der Gäste versuchen die Hüttenwirte nachzukommen. Wer die Möglichkeit hat, baut um und schafft so mehr Platz für komfortable Betten in kleinen Zimmern. Durchaus denkbar, dass der Run auf die Schutzhäuser mit dieser Trendwende begonnen hat.
Denn heute, so lässt sich nach einem Rundruf bei den Schutzhütten leicht feststellen, findet sich kaum noch ein freies Platzl auf einer der Schutzhütten des Landes, besonders gefragt sind die Häuser in den Dolomiten, die neue Hütte am Schwarzenstein, die Edelrauthütte oder andere Unterkünfte, die entweder an einer viel bewanderten Route liegen oder sich einen guten Ruf erarbeitet haben. Dort bekommt man am Telefon nicht selten die Auskunft: „Schon seit zwei oder drei Monaten ausgebucht, besonders an den Wochenenden.“
Aber was bedeutet dies für die wanderbegeisterten Südtiroler? Denn während die Gäste ihren Urlaub meist von langer Hand planen und nicht selten bereits ein Jahr im Voraus einen Platz in der Hütte buchen, sind die Einheimischen weit spontaner. Nur: Wer am Freitag anruft, wird an einem Samstag im Hochsommer kaum mehr einen Platz bekommen. Nicht einmal im Matratzenlager. Höchstens einer der Fernwanderer hat doch noch kurzfristig absagen müssen.
Fest steht: Je weiter oben am Berg sie liegen, desto eigentümlicher ist das Flair der Hütten – das mag für immer mehr Menschen den Ausschlag geben, in einer solchen Unterkunft übernachten zu wollen. Hütten in tieferen Lagen sind meist heute schon ausgestattet wie kleine Hotels. Aber auch das scheint den Besuchern – vor allem den nicht ganz so trittsicheren – zu gefallen.
„Wir hatten letztes Jahr bereits einen guten Sommer. Heuer wird bestimmt auch sehr gut, aber das hängt jetzt freilich auch noch vom Wetter ab.“ Stefan Perathoner ist Vorsitzender in der Vereinigung privater Schutzhütten und vertritt damit immerhin 35 Häuser am Berg. Er selbst arbeitet seit vielen Jahren oben am Tierser Alpl und hat so schon jede Menge Erfahrung mit den Wünschen und Forderungen der Gäste gesammelt. „Kaum tauchen die ersten Wolken auf“, sagt er, „dann sitzen wir hier nur noch am Telefon.“ Dann wird abgesagt oder umgebucht, Betten werden frei und müssen neu belegt werden. Auch für einen Hüttenwirt ist das Arbeiten mittlerweile auf gewisse Weise komplizierter geworden. Die vielen Buchungen im Voraus haben auch zur Folge, dass oft etwas dazwischen kommen kann.
Freizeitgestaltung hat immer auch mit Trends zu tun. Schon länger hat auch Stefan Perathoner festgestellt, dass das organisierte Wandern beliebter wird. Die Bergsteiger schließen sich einer Gruppe an, der Bergführer geht vor und hat bereits auch die Plätze in der Hütte reserviert. Stärker als früher vertreten ist auch das internationale Publikum, ganz besonders in den Dolomiten. Das mag ein positiver Effekt der Ausweisung zum Weltnaturerbe sein. Offiziell heißt es, dass dadurch die Zahl der Gäste um 30 Prozent zugenommen habe.
Während sich in anderen Ländern längst ein neuer Wandertourismus am Berg etabliert hat – mehr Luxus, weniger Schlafplätze und gesalzene Preise – versuchen in Südtirol die allermeistern Schutzhäuser bodenständig zu bleiben. „Die Hütten werden leistbar bleiben“, sagt Perathoner, „und die Zimmer werden ganz bestimmt nicht an den Meistbietenden versteigert werden.“ Das entspricht auch dem Credo des Alpenvereins. Dem AVS gehören insgesamt 17 Hütten und Biwaks in Südtirol, auch dort hat Martin Niedrist festgestellt, dass gerade an den gut frequentierten Höhenwegen sehr viel Betrieb herrscht. Niedrist ist beim Alpenverein zuständig für den Bereich Schutzhütten und hat bemerkt, dass es einen Trend hin zu mehr Tourismus und mehr Bewegung am Berg gibt. „Aber“, gibt er zu bedenken, „heute sind viele Menschen auch sehr fit am Berg und verzichten deshalb oft auch auf eine Übernachtung im Matratzenlager.“ Und trotzdem ist es auf beliebten Hütten heute für den gesamten Sommer schier unmöglich noch einen Schlafplatz zu bekommen. „Aber deshalb die Hütten ausbauen?“, fragt Martin Niedrist, „was soll das bringen? Zu Stoßzeiten ist jede Hütte zu klein und außerhalb davon stehen viele der Häuser leer.“
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