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Die Chaos-SVP

Ex-SVP-Obmann Siegfried Brugger sieht in der Überdemokratisierung der SVP den Grund für das peinliche Kandidaten-Chaos. Und jetzt krampfhaft die rechte Flanke abdecken zu wollen, sei nicht zielführend.

TAGESZEITUNG Online: Herr Brugger, die SVP versinkt immer tiefer im Kandidaten-Chaos. Was läuft falsch in der Partei, der Sie 12 Jahre lange vorgestanden haben?

Siegfried Brugger: Das was derzeit geschieht, ist bedauerlich. Eine moderne Partei kann sich eine so schwerfällige Kandidatensuche nicht mehr leisten! Eine große, stolze Partei wie die SVP hat sich das nicht verdient..

Die Partei ist Ihnen zu basisdemokratisch geworden?

Man kann heute nicht mehr – wie noch vor 50 Jahren – die Interessen aller berücksichtigen. Angefangen hat alles mit den allgemeinen Vorwahlen. Die Überdemokratisierung ist kein guter Ratgeber. Als Obmann muss ich irgendwann entscheiden, ob die unteren Chargen in der Partei die Kandidaten bestimmen, oder ob man selbst Verantwortung übernimmt, um eine gute Liste zu machen.

Das war früher so?

Früher war es schon auch so, dass die Bezirke und die verschiedenen Organisationen Kandidaten gesucht haben. Aber die Priorität war damals nicht, eine Liste mit 35 Kandidaten zu haben, sondern wir sind auch mit 24 Kandidaten ausgekommen. Die Bezirke und die Organisationen haben die Kandidaten vorgeschlagen, die Parteiführung hat dann entschieden. Zuerst die Bezirke über die Kandidaten entscheiden zu lassen und dann die Landesliste mit den zehn Kandidaten zu erstellen, war keine gute Idee.

Wäre es besser gewesen, zuerst die 10er-Liste zu erstellen?

Wennschon wäre dies besser gewesen, ja. Früher haben wir das sehr viel flexibler und unkomplizierter gehandhabt. Es ist völlig unsinnig, dass man sich – so wie es jetzt geschieht – gegenseitig Junktims macht.

Sie treten für eine Entmachtung der Bezirke und der Ortsgruppen ein?

Das starre Parteigefüge ist kein Vorteil für die SVP. Die Ortsgruppen und deren Vernetzung mit der Mutterpartei sind wichtig, man sollte ihnen aber mehr beratendes als entscheidendes Gewicht geben.

Wie sollte eine moderne SVP denn aussehen?

Sie sollte eine Bewegung mit einer guten Verankerung vor Ort sein, nicht so starr strukturiert.

Ist Philipp Achammer als Obmann zu schwach?

Ich bin dem Obmann sehr wohlgesonnen, weil ich weiß, wie schwierig es ist, so eine Partei zu führen. Ich habe erst kürzlich mit Achammer einen Ratscher gemacht. Ich weiß, dass er von allen Seiten geschubst und gezerrt wird. Und wenn er versucht, Entscheidungen durchzubringen, werden ihm Prügel in den Weg gelegt. Er hat es also nicht leicht. Der zweite Punkt sind politische Entscheidungen, die der SVP einen großen Schaden zugefügt haben …

Nämlich?

Der allerletzte Fall war der Fall Puglisi. Der war so überflüssig wie ein Kropf. Und davor hat es die gewaltigen Spannungen bei der Aufstellung der Kandidaten für die Parlamentswahlen gegeben. Jeder wusste, dass der PD im besten aller Fälle schlecht, im schlimmsten Fall desaströs abschneiden würde. Dennoch hat man Gianclaudio Bressa und vor allem Maria Elena Boschi in die Wahlkreise gesetzt. Das war sehr, sehr unklug! Das Bündnis mit dem PD im Voraus zu machen, war ebenfalls nicht klug. Der Obmann ist da leider in der Parteileitung überstimmt worden …

Noch einmal die Frage: Ist Achammer zu schwach?

(lacht) Er schaut derzeit schlecht aus! Scherz beiseite: Ich glaube nicht, dass er zu schwach ist, man macht es ihm schwer. Er ist sehr, sehr motiviert. Wenn alle in der Partei so herwärts schauen würden wie er, gäbe es weniger Probleme. Daher fände ich es ungerecht, wenn man jetzt alles an ihm festmachen würde. Auch ich war Obmann unter einem starken Landeshauptmann Durnwalder und unter einem Ehrenobmann Magnago. Man hat sich damals zusammengesetzt und sich, manchmal, auch gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Aber man hatte immer ein gemeinsames Ziel vor Augen: die Wahlen zu gewinnen. Mir kommt manchmal vor, dass viele Leute in der SPV noch lange nicht im Wahlmodus, sondern immerzu im Streitmodus sind.

Man hat den Eindruck, dass es zwischen LH und Obmann nicht rund läuft?

Philipp Achammer

Das kann sein. Auch ich habe nicht den Eindruck, dass zwischen LH und Obmann die große Harmonie herrscht. Die Harmonie gab es auch in meiner Zeit nicht. Aber es gab damals eine klare Rollenverteilung. Dies kann man an den vielen guten Wahlergebnissen ablesen.

Wie müssen denn die Rollen richtig verteilt sein?

Jeder muss zurückstecken können, ohne das Gesicht zu verlieren.

Geht es zwischen Kompatscher und Achammer um Eitelkeiten und persönliche Befindlichkeiten?

(lacht) In der Politik geht es immer um Eitelkeiten und Befindlichkeiten! Wer das Gegenteil sagt, sagt nicht die Wahrheit. Beide, Achammer und Kompatscher, sind ultrasensibel. Der derzeitige LH tendiert dazu, alles sehr persönlich zu nehmen.

Wäre es besser gewesen, dass nur der Obmann die Kandidaten für die 10er-Liste aussucht?

So wie die Suche nach den zehn Kandidaten der sogenannten Landesliste gelaufen ist, war für die Partei nicht gut. Wenn man sieht, dass gute Kandidaten wie ein Christian Tschurtschenthaler das Handtuch geworfen haben, dann ist das kontraproduktiv.

Wenn Sie sich die bislang bekannten 33 Gesichter auf der SVP-Liste anschauen, kommen Sie da zum Schluss, dass es eine starke Liste ist?

Eine normale Liste.

Besonders der LH legt darauf Wert, dass auch ein Kandidat aus dem volkstumspolitischen Lager auf der Liste steht. Warum ist der SVP diese Flanke eigentlich weggebrochen?

Ich halte es nicht für sehr zielführend, im letzten Moment krampfhaft zu versuchen, die volkstumspolitische Flanke abzudecken. Das ist nicht sehr glaubwürdig. Wenn man einen eigenen Flügel in der SVP haben will, dann hätte man vor ein paar Jahren damit beginnen sollen, eine Gruppe aufzubauen. Die ganze Geschichte scheint mit zu sehr „telefoniert“ …

Also nur eine Feigenblatt-Aktion?

Wenn man jetzt versucht, diesen Flügel zu stärken, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass man dies in den vergangenen Jahren nicht gemacht hat. Allerdings bietet man jetzt den Parteien, die in diesem Lager fischen, ein gutes Wahlkampfargument …

Nämlich?

Die werden sagen: Die SVP braucht diese Kräfte nur für den Wahlkampf, wenn sie es ernst nehmen würde, hätte sie die Geschichte schon viel früher angekurbelt.

Wie wird sich der Regierungswechsel in Rom auf Südtirol und auf die SVP-Politik auswirken?

Das ist schwer zu sagen. Ich habe noch kein klares Bild von dieser Regierung. Allerdings – und ich habe dies zu ganz unverdächtigen Zeit gesagt – hätte sich die SVP niemals vor den Wahlen auf den PD festlegen sollen. Eine Minderheitenpartei sollte sich nicht im Voraus binden, es sei denn, man hat ein ganz bestimmtes Programm abzuarbeiten.

Warum hat man es trotzdem getan?

Aus falsch verstandener Dankbarkeit, würde ich sagen. Die Tatsache, dass die SVP aus falsch verstandener Dankbarkeit Leute wie Boschi und Bressa nachzieht und dann auch noch Bressas Lebensgefährtin in Szene setzt, kann sich für die SVP als Handicap erweisen, wenn es darum geht, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. Denn diese Regierung wird immer davon ausgehen, dass die SVP eigentlich mit einer anderen Kraft zusammenarbeiten wollte.

Also wird es schwierig werden für die SVP?

Die neue Regierung wäre zu Südtirol vielleicht neutraler als einige Vorgängerregierungen, deswegen hätte man im Vorfeld nicht so viel Porzellan zerschlagen sollen.

Zu welcher Kräfteverschiebung wird es im Herbst bei den Landtagswahlen kommen?

Im italienischen Lager wird die Lega ganz stark punkten. Bei der 5-Sterne-Bewegung ist zu schauen, welche Liste sie zusammenstellen. Ich bin sicher, dass Paul Köllensperger nicht mehr allein im Landtag sitzen wird. Die Grünen sehe ich nicht stark, sie werden sicher nicht zu-, sondern eher abnehmen. Die Freiheitlichen und die STF werden ihre Positionen halten, aber sicher nicht durchmarschieren.

Das heißt?

Das heißt, dass die SVP gute Chancen hat, viele Mandate zu machen …

Die SVP kann die Absolute schaffen?

Ich glaube persönlich nicht, dass sie die absolute Mehrheit schafft. Aber das hängt mehr von den anderen Parteien ab als von der SVP selbst. Wenn die Oppositionsparteien sich nicht besser aufstellen, profitiert die SVP. Das ist für die SVP sehr angenehm (lacht). Allerdings überdeckt dies nur ein Problem. Irgendwann wird man in der Partei ganz intensiv miteinander reden müssen.

Wie werden der LH und der Obmann bei den Wahlen abschneiden?

Der LH wird als Listenführer gut abschneiden …

… auch wenn es immer wieder heißt, dass Kompatscher durch seinen eher volksfernen Stil Stimmen verlieren könnte?

Ich glaube nicht, dass er so viel verlieren wird. Ein LH hat immer einen Bonus. Bei der ersten Wahl bekommt er einen Vertrauensvorschuss, bei der zweiten Wahl bekommt er die berühmte zwei teChance. Auch der Parteiobmann wird gut abschneiden.

Interview: Artur Oberhofer

 

 

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