„Chance für Italien“
Der Landtagsabgeordnete der Fünf-Sterne-Bewegung, Paul Köllensperger, blickt voller Vorfreude auf die „autonomiefreundlichste Regierung in der Geschichte Italiens“. Und er empfiehlt der SVP: „Hört auf, Matteo Renzi nachzutrauern!“
Tageszeitung: Herr Köllensperger, der Movimento 5 Stelle und die Lega konnten sich nach zähen Verhandlungen auf ein gemeinsames 39-Seiten-Programm einigen. Was ist Ihr erster Eindruck?
Paul Köllensperger: Der Regierungsvertrag ist eine Chance für Italien und ein klarer Systembruch! Klarerweise beinhaltet jeder Bruch sowohl Chancen als auch Risiken, und es gefällt mir auch nicht alles am Vertrag. Doch die Perfektion gibt es nicht! Insgesamt erachte ich es für positiv, dass die Regierung aus Movimento 5 Stelle und Lega die Dinge grundsätzlich neu angehen will, und deshalb habe ich in unserer Online-Abstimmung auch für den Vertrag gestimmt. Eine autonomiefreundliche Ausrichtung und liberales Gedankengut sind klar zu erkennen. Auch die sozialen Elemente, welche die Fünf-Sterne-Bewegung auszeichnen, sind im Vertrag gut vertreten.
Sie haben keine Bauchschmerzen, was die Zusammenarbeit mit der Lega betrifft?
Nein! Die Zusammenarbeit mit einer Partei grundsätzlich auszuschließen, halte ich für falsch. Es geht um die Inhalte und nicht um die Farben, die das Regierungsprogramm zieren. Ich hatte mich schon damals gemeinsam mit Riccardo Fraccaro intern dafür eingesetzt, dass die Regierungskoalition M5S-Lega in Leifers zugelassen wurde. Ich glaube, dass auch die Zusammenarbeit auf nationaler Ebene klappen wird und hoffe, dass Matteo Salvini nicht im letzten Moment noch „Tanz“ macht, weil er weiterhin am Gängelband von Silvio Berlusconi hängt.
Bei welchen Punkten im Programm haben Sie Bedenken?
Es gibt Programmpunkte, dessen Auswirkungen noch besser studiert werden müssen, etwa die Flat Tax. Diese ist eine sehr charmante Idee. Allerdings muss man erst sehen, welchen Schichten sie zugute kommt: jene Schichten, die Erleichterungen brauchen, oder nur die Bessergestellten.
In einem ursprünglichen Entwurf war auch die Option eines Euro-Austritts enthalten, was die Märkte in Aufregung versetzt hat. Der Passus wurde umgehend gestrichen. Wie können Sie sich einen solchen Lapsus erklären?
Im Internet kursierten fünf, sechs verschiedene und teils auch sehr widersprüchliche Entwürfe. Fakt ist, dass im endgültigen Programmvorschlag alle europafeindlichen Thesen der Lega entschärft werden konnten. Interessant ist, dass der Movimento 5 Stelle in den Verhandlungen insgesamt als der überlegtere Partner aufgetreten ist.
Trotzdem blickt man in Europa mit Argusaugen auf die neue Regierung …
Wir sind sicherlich nicht der Traumpartner Europas, weil wir im Gegensatz zu den Regierungen Renzi und Monti nicht einfach nur das ausführen werden, was die Finanzelite von Italien verlangt. Es läuft derzeit nicht alles im Sinne Europas, sondern es gibt Bereiche, die zu reformieren sind. Wir vertreten aber sicher nicht den Standpunkt, dass Italien aus der Eurozone austreten müsse oder Europa zu zerstören sei.
Die SVP-Vertreter bemängeln, dass die Sonderautonomien bzw. deren weiterer Ausbau nicht im Vertrag erwähnt würden. Ein Manko?
Hat denn der PD irgendwann einmal in eines seiner Regierungsprogramme explizit geschrieben, dass die Südtirol-Autonomie auszubauen wäre? Die Lega tritt seit jeher für ein föderalistisches System ein. Im Regierungsprogramm steht Schwarz auf Weiß, dass wir die Autonomien aller Regionen stärken wollen. Von diesem Prinzip kann Südtirol nur profitieren. Diese Regierung wird die autonomiefreundlichste in der Geschichte Italiens sein. Die SVP soll endlich damit aufhören, Matteo Renzi nachzutrauern, sondern die einzigartige Möglichkeit am Schopf packen, die sich Südtirol mit dieser Regierung bietet.
Wird die SVP über ihren Schatten springen und der neuen Regierung das Vertrauen aussprechen?
Keine Ahnung! Das müssen Sie die SVP fragen. Klar ist, dass die SVP als Voraussetzung für ihre Zustimmung eine autonomiefreundliche Haltung der neuen Regierung ausgegeben hat. Diese Autonomiefreundlichkeit ist zweifelsohne gegeben. Dass die SVP, wie in der Vergangenheit, in Rom Geschenke abholen kann, wird im Regierungsvertrag aber sicher nicht stehen.
Welchen Eindruck haben Sie vom neuen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte?
Giuseppe Conte hat ein ausgezeichnetes Kurrikulum. Trotzdem ist er eine „Kompromisslösung“ zwischen 5 Sterne und Lega. Besser wäre es gewesen, wenn Luigi di Maio Premierminister geworden wäre und Matteo Salvini sein Stellvertreter. Das ging aber nicht, weil Salvini es den eigenen Leuten nicht verkaufen konnte. Conte ist aber ein ausgezeichneter Mann, der die nötige Durchsetzungskraft hat. Conte stammt zwar von di Maios Liste, aber ich glaube, dass beide Parteien gut damit leben können, weil er ein politisch unbeschriebenes Blatt ist. Den frischen Wind bringen muss die Regierung. Es ist eine politische Regierung mit politischen Ministern. Das Regierungsprogramm macht einen klaren Bruch mit der Vergangenheit und ich glaube, das ist frischer Wind genug.
Stichwort Landtagswahlen: Ist es für Sie persönlich ein Vorteil, dass der Movimento 5 Stelle nun in eine Regierung eintritt? Oder wäre eine technische Regierung inklusive vorgezogene Neuwahlen besser gewesen?
Eine Regierung ist auf jeden Fall die bessere Lösung. Diese ist vielleicht nicht die beste, aber die einzig mögliche Koalition. Auch wenn der Movimento 5 Stelle im Vergleich zu den anderen Parteien mit dieser Koalition das größte Risiko eingeht, weil eine Nicht-Beteiligung, rein parteipolitisch gesehen, sicherlich der einfachere Weg gewesen wäre. Doch Neuwahlen mit dem gleichen Wahlgesetz würden niemandem etwas bringen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Mehrheit in unserer Bewegung dem Vertrag auch zustimmen wird.
Die meisten SVP-Politiker blicken mit Respekt und teils auch neidisch auf Ihre Arbeit im Landtag. Sind Sie bei den Wahlen im Herbst der größte Konkurrent der Volkspartei?
Keine Ahnung, das weiß ich nicht! Unser Ziel ist es, bei den Landtagswahlen im Herbst die politische Monokultur im Lande zu zerschlagen. Von größerer Vielfalt würde ganz Südtirol profitieren. Wir werden im Herbst auf jeden Fall den Wählern eine seriöse und glaubwürdige Alternative anbieten, die den Anspruch hat, in Südtirol mitentscheiden zu wollen. Dann liegt es beim Wähler.
Interview: Matthias Kofler
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Kommentare (12)
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erich
Das Bündnis Zeller – Boschi war schneller beendet als gedacht, nun können sie gemeinsam Urlaub machen. Die Hinterbliebenen machen schon Angebote die an Prostitution grenzen.
andreas
Diese Koalition ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, da die Programme dieser Parteien zu unterschiedlich sind und sie die dazu nötigen Gesetze nicht durchbringen, da es gewiss in beiden Parteien Abweichler gibt. Loyalität ist nicht die Stärke italienischer Politiker.
Nebenbei ist dieses „wünsch dir was“ Programm auf seriösem Weg nicht finanzierbar.