Das blaue Wunder
Die berühmteste blaue Pille der Welt feiert ihren 20. Geburtstag. Wie Viagra die Männerwelt verändert hat und warum Männer Viagra auch als Livestyle-Medikament einnehmen.
Tageszeitung: Herr Jenny, am 27. März hat die berühmteste blaue Pille der Welt ihren 20. Geburtstag gefeiert. Wie hat Viagra die Männerwelt verändert?
Egmond Jenny: Für uns als Urologen hat die Einführung einer Tablette sicher einen ganz wesentlichen Beitrag zur Behandlung von Erektionsproblemen geleistet. Vor der Entdeckung von Viagra hatten wir eigentlich keine Therapiemöglichkeiten, um den Männern zu helfen. Durch die Einführung der Tablette und die damit verbundene Diskussion ist es zudem gelungen, einen gesellschaftlichen Diskurs über Erektionsstörungen zu führen und das Thema zu enttabuisieren. Die Männer konnten offener darüber sprechen, wissend dass es eine Therapie gibt.
Und wie tabu ist das Thema Erektionsstörungen 20 Jahre nach diesem Durchbruch noch?
Ich glaube schon, dass die Einführung von Viagra und die damit verbundene Diskussion wesentlich zur Enttabuisierung des Themas beigetragen haben. Es ist aber sicher immer noch ein sehr heikles Thema. Die Männer kommen zur Abklärung ihres Problems zu uns Urologen – nur meist kommen sie relativ spät. Viele hoffen, dass sich das Problem von alleine löst und daher kommen sie erst, sobald der Leidensdruck schon relativ hoch ist.
Viagra entstand eigentlich zufällig…
Ursprünglich wollte man lediglich ein Medikament gegen Bluthochdruck und Herzschwäche auf den Markt bringen. Die Probanden der Testreihe hatten dann aber plötzlich auch eine verbesserte Erektionsqualität und erst dann hat man den Mechanismus verstanden, der zu dieser verbesserten Erektionsqualität geführt hat.
Das Sexualleben der Männer wurde durch diese Entdeckung maßgeblich verändert. Auch der älteren Herren…
In erster Linie muss man sagen, dass das Sexualleben überhaupt nichts mit dem Alter zu tun hat – das ist auch erst im Zuge dieser Diskussion herausgekommen. Es ist nicht selten, dass ein 70- oder 80- Jähriger ein gutes Sexualleben hat. Sicher ist die Qualität anders, als bei einem 20-Jährigen, aber er hat subjektiv ein zufriedenstellendes Sexualleben, wenn er eben die körperlichen und gesundheitlichen Voraussetzungen hat.
Wer nimmt Viagra ein oder für wen ist die blaue Pille eigentlich gedacht?
Es gibt eigentlich zwei Indikationen: Einerseits sind es Patienten, die durch eine Grunderkrankung eine körperlich bedingte Ursache für eine Erektionsstörung haben. Das sind typischerweise Männer mit Diabetes – das ist die Hauptrisikogruppe, Patienten mit Bluthochdruck, Männer mit erhöhten Blutfettwerten und Raucher. Das sind die Risikogruppen, die das Medikament zur Behandlung der Grundstörung brauchen. Die zweite große Gruppe nimmt Viagra als Livestyle-Medikament ein. Diese Männer nehmen das Medikament gelegentlich ein, beispielsweise wenn sie gestresst oder müde sind, um die Qualität ihres und des Sexuallebens ihrer Partnerin zu verbessern.
Inwieweit hat Viagra den Druck im Bereich des Sexuallebens für Männer erhöht?
Der Leistungsdruck war immer vorhanden, wobei man aber ganz ehrlich sagen muss, dass sich die Männer diesen Druck selbst machen, weil sie denken, omnipotent sein zu müssen. Dies führt zu Versagensängsten und manche Patienten verunsichern sich so sehr, dass psychogene Probleme entstehen können, die wiederum zu Impotenz führen können.
Nehmen viele Männer Viagra als Livestyle-Medikament ein? Auch junge Männer?
Junge Männer nehmen sicher kaum Viagra ein, aber ab einem bestimmten Alter nimmt ein hoher Prozentsatz diese Tablette bei Bedarf ein. Und die Dunkelziffer ist sicher noch höher.
Man hat auch für Frauen versucht ein ähnliches Produkt auf den Markt zu bringen. Der Erfolg des „Pink Viagra“ blieb allerdings aus…
Die Idee war theoretisch vollkommen richtig: man wollte eine Verbesserung der Durchblutung der Vaginalschleimhaut erreichen. Allerdings ist dieses Medikament nie auf den Markt gekommen.
Interview: Lisi Lang
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