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„An die Grenzen gestoßen“

Herbert Dorfmann

Im Lichte des ungarischen Wahlergebnisses fordert EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann ein Umdenken in der europäischen Einwanderungspolitik. Die Wir-schaffen-es-Politik sei gescheitert.

TAGESZEITUNG Online: Herr Dorfmann, Viktor Orbán hat überraschend mit 48,8 Prozent der Stimmen überraschend klar die Wahlen in Ungarn gewonnen. Droht uns jetzt die Orbánisierung Europas?

Herbert Dorfmann: Was soll man sagen? Im Grunde sind wir da, wo wir vor den Wahlen standen. Ich stelle eher umgekehrt fest, dass es europaweit in ein mehreren Mitgliedsstaaten solche Entwicklungen gibt. Nehmen wir Italien: Wenn Sie die europakritischen Stimmen von Lega und 5-Sterne-Bewegung zusammenzählen, kommen wir auf den Wert von Orbán in Ungarn.

Orbán gewann die Wahl mit einem Programm gegen die Besatzer aus Brüssel, gegen arabische Migranten, die die gesamte Christenheit bedrohen. Und gegen Angela Merkel, die die halbe Welt nach Europa einlud. Warum vertrauen die Ungarn Orbán?

Gegenfrage: Wieso haben die Italiener denselben Botschaften getraut?

Sie sagen, die Stimmung ist halt so in Europa?

Man muss zur Kenntnis nehmen – und das sage ich ganz kritisch – dass die Zuwanderungspolitik, die die EU zu fahren versucht, bei der Bevölkerung nicht auf Zustimmung stößt. So ehrlich muss man sein. Die Menschen sind mit dieser Politik nicht einverstanden. Punkt.

Was bedeutet dies?

Solange es Demokratien gibt, muss man auch die Meinung der Menschen akzeptieren.

Welche ist die Meinung der Menschen?

Nicht jeder ist populistisch, der sagt, dass die Einwanderungspolitik in der EU nicht funktioniert. Viele Menschen erwarten sich eine deutlichere Politik. Sie erwarten sich von den großen und staatstragenden Parteien, dass die Außengrenzen der EU vernünftig abgesichert werden.

Die EU muss ihre Einwanderungspolitik überdenken?

Richtig: Wenn wir das Thema Zuwanderung nicht mit einem rechtsstaatlichen Ansatz bewältigen, kommen die Radikalinskis, die Europa abschotten und alle Grenzen dichtmachen wollen. Andererseits muss man ehrlicherweise sagen: Die Wir-schaffen-es-Politik ist an ihre Grenzen gestoßen. Punkt. Selbst in Deutschland, von wo aus diese Politik ausgegangen ist, wird sie nicht mehr akzeptiert.

Nur über Ungarn zu schimpfen …

Was viele Menschen nicht wissen: Nach Griechenland und Italien ist Ungarn das Land, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Ungarn ist nämlich das Land, das die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat. Man täte Orbán also unrecht, wenn man sagt, sein Land habe niemand aufgenommen.

Wie gefährlich ist Orbáns Flirt mit Wladimir Putin?

Grundsätzlich halte ich die russische Politik für nicht ungefährlich. Wir brauchen eine vernünftige Gesprächsbasis mit Russland, aber man muss sich dessen bewusst sein, dass Putin nichts Gutes für die EU will. Alles, was Putin tut, ist darauf angelegt, die EU in ihren Grundfesten zu zerstören, um den Nationalismus in Europa zu fördern. Putin weiß: Ein gespaltenes Europa ist leichter zu beherrschen, als ein geeintes Europa.

Zweitstärkste Partei in Ungarn ist die rechtsextreme Jobbik-Partei mit 20 Prozent der Stimmen. Das heißt: Ungarn wird von Rechtspopulisten regiert, die Alternative wären Rechtsradikale?

Leider ist es so. Dieses Wahlergebnis ist aus europäischer Sicht überhaupt kein Wunschprogramm. Jobbik kann keine Alternative sein. Diese Partei gibt sich jetzt als sehr gemäßigt, aber man muss sich im Klaren sein, dass diese Partei eine nazifaschistische Geschichte hat. Diese Entwicklung ist leider sinnbildlich für eine nationalistische Entwicklung in Europa, die mir sehr große Sorgen bereitet, auch aus Südtiroler Sicht.

Was tun dagegen?

In Brüssel muss man sich die Frage stellen, woher diese gefährliche Entwicklung kommt. Ich war immer der Meinung, dass es nicht die Aufgabe der EU ist zu entscheiden, was ein gutes oder ein schlechtes Wahlergebnis in einem Mitgliedsstaat ist. Darüber entscheiden in einer Demokratie aber die Bürger. Europa muss diese Entscheidungen zur Kenntnis nehmen.

In der EU wird jetzt befürchtet, dass Ungarn noch selbstbewusster auftreten und, beispielsweise, die Polen mitziehen werde.

Man muss jetzt abwarten, was es mit den Vorwürfen der Veruntreuung von EU-Geldern durch Ungarn auf sich hat. Unser Kontrollausschuss war bereits dort und schaut genau nach, ob EU-Gelder in irgendwelche Kanäle versickert sind. Wenn dem so wäre, dass Ungarn der EU dies und jenes vorwirft und dann selbst großzügig mit EU-Geldern umgegangen sein sollte, dann müsste dies harte Konsequenzen nach sich ziehen.

Interview: Artur Oberhofer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (23)

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  • criticus

    Herr Dorfmann, zu ihren Aussagen (wenn sie von Ihnen so wiedergegeben worden sind):
    1) Die Politik der EU ist seit Jahren nicht mehr verständlich, nicht nur bei der Einwanderungspolitik. Sie hat sich vom Bürger entfernt.
    2) Wegen Veruntreuung von Geldern brauchen wir nicht nach Ungarn zun schauen, da wäre es besser wir schauen in Italien, wo EU-Gelder immer noch haufenweise verschwinden. Angefangene und nicht vollendete Projekte im Süden zeugen davon. Und niemand im italienischen Parlament wagt die Stimme dagegen zu erheben. Weil nach Falcone und Borsellino die Mafia längst schon die Politik fest in der Hand hat.
    3) Es ist die Politik der EU, die ihre Bürger immer mehr nach rechts schiebt. Ein fauler, überbezahlter, schwerfälliger Beamtenapparat der die Interessen der Bürger leider nicht immer vertretet.
    4) Und man sieht, stehen wieder einmal Wahlen vor der Tür..
    Guten Morgen Herr Dorfmann!!

  • tiroler

    Herr Dirfmann, haben sie die die letzten 3 jahre geschlafen? Sie sind reichlich spät dran mit ihren weisheiten. Sie sind doch im eu parlament. Was machen sie dort? Was haben sie dort geleistet und erreicht?

  • criticus

    Herr Dorfmann, zu ihren Aussagen (wenn sie von Ihnen so wiedergegeben worden sind):
    1) Die Politik der EU ist seit Jahren nicht mehr verständlich, nicht nur bei der Einwanderungspolitik. Sie hat sich vom Bürger entfernt.
    2) Wegen Veruntreuung von Geldern brauchen wir nicht nach Ungarn zun schauen, da wäre es besser wir schauen in Italien, wo EU-Gelder immer noch haufenweise verschwinden. Angefangene und nicht vollendete Projekte im Süden zeugen davon. Und niemand im italienischen Parlament wagt die Stimme dagegen zu erheben. Weil nach Falcone und Borsellino die Mafia längst schon die Politik fest in der Hand hat.
    3) Es ist die Politik der EU, die ihre Bürger immer mehr nach rechts schiebt. Ein fauler, überbezahlter, schwerfälliger Beamtenapparat der die Interessen der Bürger leider nicht immer vertretet.
    4) Und man sieht, stehen wieder einmal Wahlen vor der Tür..
    Guten Morgen Herr Dorfmann!!

  • morgenstern

    Alle die bisher diesen Einwanderungs- Wahnsinn in Frage stellten hat man als Populisten abgestempelt. Frage: Ist Herr Dorfmann jetzt auch ein Populist?

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