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Verzockt

Vermasselte Verhandlungen mit der Lega, eine erfolglose Weiß-Stimmen-Kampagne und ein verpasster Sitz im  römischen Parlament: Warum die Freiheitlichen zu den großen Wahlverlierern gehören.

von Matthias Kofler

Präsident Roberto Bizzo eröffnet die Landtagssitzung mit den obligatorischen Glückwünschen für den nach Rom gewählten Dieter Steger. Mehrere Volksvertreter erheben sich von ihren Sitzen und begeben sich zum Platz des SVP-Fraktionssprechers. Die weiblichen Abgeordneten gratulieren Steger mit drei Küsschen auf die Wange, die Männer schütteln dem Neo-Senator artig die Hand. Als die Freiheitlichen an der Reihe sind, atmet Dieter Steger einmal tief durch und fängt an zu grinsen: „Ich danke euch, dass ihr nicht angetreten seid“, sagt der sichtlich erleichterte SVP-Politiker. Steger hat den Freiheitlichen (im nachhinein) viel zu verdanken. Denn wenn sich die Blauen bei der Vorbereitung der Parlamentswahlen nicht verzockt hätten, so wäre der Sitz im Palazzo Madama wohl nicht an den Bozner SVP-Politiker gegangen, sondern an einen Vertreter der Lega.

Die vermasselten Verhandlungen mit der Lega

2. Juni 2017: In der römischen Abgeordnetenkammer beginnt die Debatte um ein neues Wahlrecht für Italien. Einer, der am Entwurf maßgeblich mitgeschrieben hat, ist Senator Karl Zeller. Der SVP-Stratege weiß: Geht das Gesetz durch, dann sind der Volkspartei bei den nächsten Wahlen fünf bis sechs Mandate in Rom sicher. Doch auch die Opposition ist aus Zellers Sicht künftig nicht mehr chancenlos: „Sie braucht sich nur Verwandte auf nationaler oder provinzieller Ebene zu suchen und uns in den Ein-Mann-Wahlkreisen zu schlagen.“

Bei den Freiheitlichen denkt zu diesem Zeitpunkt noch keiner daran, die Parlamentswahlen zu „boykottieren“. So gering die Chancen auch sein mögen und so sehr das Gesetz der SVP auf den Leib geschneidert wurde: Man werde in jedem Fall antreten. „Wir sollten unbedingt kandidieren“, sagt F-Vizeobfrau Tamara Oberhofer. Auch Neo-Obmann Andreas Leiter Reber meint: „Wenn wir nicht kandidieren, dann zementiert sich das Alleinstellungsmerkmal der SVP. Es gebietet unsere Ehre und Kampfeslust, für die Wähler eine Alternative zu schaffen.“

Nach dem Scheitern der Wahlreform im Sommer 2017 wird das Thema Neuwahlen vorerst wieder auf Eis gelegt. Erst im November gelingt es dem römischen Parlament, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden. Aus Südtiroler Sicht ändert sich im Vergleich zum Gesetzesentwurf vom Juni wenig. Die Opposition hat nur dann eine reale Chance auf einen Sitz in Rom, wenn sie sich zusammenschließt. Freiheitliche, BürgerUnion und Süd-Tiroler Freiheit beginnen daher erste Gespräche, um die Möglichkeiten zur Schaffung einer rechte Wahl-Allianz in Südtirol auszuloten.

Im Dezember wird auch die Lega von Massimo Bessone zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Doch der Südtiroler Lega-Koordinator Massimo Bessone merkt rasch, dass die neue Freiheitlichen-Führung für die italienischen Parlamentswahlen kein besonderes Interesse zeigt. Es ist symptomatisch, dass Obmann Andreas Leiter Reber zum vereinbarten Termin nicht persönlich erscheint, sondern seinen Generalsekretär Florian von Ach hinschickt. Der Obmann lässt sich entschuldigen: Er müsse Unterschriften für die Bauernbund-Vorwahlen sammeln. Bis heute haben sich Andreas Leiter Reber und Massimo Bessone noch kein einziges Mal zu Sicht bekommen.

Bessone ruft nach dem Treffen den Vizepräsidenten des Senats, Roberto Calderoli, an, um diesen über die Absenz des Obmanns zu informieren. Calderoli spricht ein Machtwort: „Macht alleine weiter, die Freiheitlichen wollen gar nicht!“

Zwei Wochen später verschicken die Blauen eine Pressemitteilung. Die Botschaft: Die Parlamentswahlen finden ohne die Freiheitlichen statt. Ein Sitz in Rom sei „unter den minderheitenfeindlichen Rahmenbedingungen eher unwahrscheinlich”, heißt es aus der Partei. Sowohl der Freiheitliche Parteivorstand als auch der Hauptausschuss der Süd-Tiroler Freiheit haben sich gegen eine Kandidatur am 4. März ausgesprochen. Man wolle sich stattdessen voll auf die Landtagswahlen im Herbst konzentrieren. „Wir Freiheitliche geben uns nicht als demokratiepolitisches Feigenblatt her und werden uns auf die Landtagswahl konzentrieren“, so Andreas Leiter Reber.

In der Landtagsfraktion nimmt man die Entscheidung der Parteiführung mit Erstaunen zur Kenntnis: „Wir sind alle überrascht“, sagt ein Abgeordneter und fügt ergänzend hinzu, dass er „Bauchweh mit dieser Entscheidung“ habe. Immerhin überlasse man das Feld nun ganz der SVP und den Grünen.

Auch Ehrenobmann Pius Leitner soll die Entscheidung, nicht zu kadidieren, nicht goutiert haben. Offiziell sagt er aber: „Funktionäre müssen die ersten sein, die demokratisch gefasste Beschlüsse nach außen hin verteidigen.”

Der Sitz für die Sekretärin

Zu den Europawahlen 2014 sind die Freiheitlichen und die Lega erstmals in einer gemeinsamen Koalition angetreten. Pius Leitner scheiterte damals klar an seinem Vorhaben, einen Sitz im Brüsseler Parlament zu ergattern. Es war die Hochphase des Politikerrenten-Skandals. Der „Neo-Millionär“ Leitner litt unter einem enormen Vertrauensverlust.

Ein Listenbündnis aus Lega und Freiheitlichen ist auch bei den Parlamentswahlen im März 2018 eine reale Option. Das Problem: Die Kandidaten der Blauen müssen unter dem Listenzeichen des „Carroccio“ antreten. Gleichzeitig wären sie auch Teil der nationalen Mitterechts-Koalition von Silvio Berlusconi, Matteo Salvini und Giorgia Meloni.

Bündnisse basieren in der Regel auf Geben und Nehmen: Die Lega ist ihrerseits bereit, die Freiheitlichen mit dem zweiten Platz auf ihrer proportionalen Kammer-Liste zu „entschädigen“.

Doch die Verhandlungen scheitern.

Am 4. März werden zwei Lega-Politiker übers regionale Verhältniswahlrecht nach Rom gewählt: Diego Binelli und Stefania Segnana.
Stefania Segnana ist die Sekretärin des Trentiner Lega-Kommissars Maurizio Fugatti. Sie hat den zweiten Platz auf der Proporzliste der Lega erhalten, jenen Platz also, für den ursprünglich die Freiheitlichen vorgesehen waren.

Stefania Segnana und Maurizio Fugatti wurden vom eigenen Wahlerfolg überrascht. Sie haben nicht damit gerechnet, dass die Lega so stark abschneiden und zwei Sitze über das Verhältniswahlrecht ergattern würde. Die Freiheitlichen auch nicht. Denn ansonsten würde heute nicht Stefania Segnana im Parlament sitzen, sondern ein Blauer (höchstwahrscheinlich der Pusterer Bezirksobmann Lois Taibon).

Ein Vertreter im römischen Parlament, das hieße klingelnde Parteikassen: Die Freiheitlichen würden nicht nur von den Parteiabgaben ihres Vertreters in Rom profitieren, sondern könnten auch die gesamtstaatliche Wahlkampfkostenrückerstattung in Anspruch nehmen. Zudem sind nur jene Parteien für die Zwei-Promille-Regelung und für Parteispenden zugelassen, die im römischen Parlament vertreten sind.

Die Weiß-Stimmen-Kampagne geht in die Hose

Die Freiheitlichen starten im Vorfeld der Parlamentswahlen einen Aufruf zum Weißwählen. Da keine zur Wahl stehende Partei ihre Interessen vertrete, sollten die Wähler am 4. März einen weißen Stimmzettel in die Urne schmeißen. Nur etwa fünf Prozent der Südtiroler folgen der Empfehlung der Blauen und der Süd-Tiroler Freiheit. Die meisten Bürger, die zur Wahl gehen und nicht der SVP die Stimme schenken wollen, kreuzen andere Parteien an: Viele davon machen ihr Kreuz beim „Carroccio“ der Lega. Auch in Gemeinden, in denen fast keine Italiener leben. Die Lega ist neben der SVP die einzige Partei, die in allen 116 Südtiroler Gemeinden gewählt wird. Sie erreicht landesweit 24.000 Stimmen bzw. fast zehn Prozent der Wählerstimmen.

„Wir haben in jedem Ort doppelt so viele Stimmen wie Forza Italia“, freut sich Massimo Bessone. „Und dort, wo es nicht doppelt so viele Stimmen sind, ist es das Dreifache.“ Im Trentino kommt die Lega gar auf über 70.000 Stimmen, sie wird praktisch zur neuen Volkspartei mit ausgezeichneten Chancen, den neuen Landeshauptmann zu stellen.

Die Weiß-Stimmen-Kampagne der Freiheitlichen scheitert. Am Tag nach der Wahl rudert Obmann Andreas Leiter Reber zurück: Er sei von den Medien „falsch interpretiert“ worden. Eine solche Kampagne habe es nie gegeben.

Andreas Pöder, der – anders als die Freiheitlichen – zur Wahl der Lega aufgerufen hat, kann sich einen hämischen Kommentar in Richtung von Andreas Leiter Reber, Sven Knoll und Co. nicht verkneifen: „Die STF und die Freiheitlichen freuen sich noch darüber, dass die Wahlbeteiligung etwas gesunken ist. Damit hatten SVP und PD bei uns leichtes Spiel und wir sind mehr oder weniger die letzte Provinz Italiens, in der noch die rote PD-SVP-Koalition gewonnen hat.“

Auch Massimo Bessone kritisiert am Donnerstag auf einer Pressekonferenz den (De-Facto-)Wahlboykott der Freiheitlichen: „Wir sind vom Verhalten der Freiheitlichen enttäuscht, die dazu aufgerufen haben, weiß zu wählen. Umso mehr sind wir dem Kollegen Pöder dankbar, mit dem wir uns eine weitere Zusammenarbeit durchaus vorstellen können.“

Kritik kommt auch aus der F-Fraktion im Landtag: „Wir kommen bei den Manövern des Vorstands schon lange nicht mehr mit.”

Stegers Dusel

Laut neuem Wahlgesetz wird in der Region Trentino-Südtirol ein Senatssitz übers Verhältniswahlrecht vergeben: Diesen erhält jene Partei, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann. Die SVP-PATT-Liste erhielt am Sonntag auf regionaler Ebene 128.000 Stimmen, so viele, wie keine andere Partei. Die Lega kommt auf 98.000 Stimmen – und landet auf den zweiten Platz.

Der Sitz im Palazzo Madama geht somit an den bisherigen SVP-Fraktionssprecher im Landtag, Dieter Steger, der den Freiheitlichen zum Dank verpflichtet ist. Steger weiß: Ein Teil der WählerInnen (wenn auch nicht so viele) sind dem Aufruf der Freiheitlichen gefolgt und haben weiß bzw. ungültig gewählt. Unterm Strich sind 32.000 der 543.481 in Trentino-Südtirol abgegebenen Stimmzettel ungültig. Gleichzeitig ist die Wahlbeteiligung in Südtirol im Vergleich zu den Wahlen von 2008 und 2013 heuer um über zehn Prozent gesunken. In absoluten Zahlen ausgedrückt sind fast 40.000 Südtiroler mehr zu Hause geblieben als bei den vergangenen beiden Urnengängen. 2013 kamen die Freiheitlichen auf 48.000 Stimmen.

Wenn am Sonntag ein paar Wähler, die mangels Auswahl die SVP angekreuzt haben, für das Bündnis aus Lega und Freiheitlichen votiert hätten; wenn ein paar Wähler, die am Sonntag weiß bzw. ungültig gewählt haben, das Bündnis aus Lega und Freiheitlichen angekreuzt hätten; und wenn ein paar Südtiroler, die am Sonntag zu Hause geblieben sind, dem Bündnis aus Lega und Freiheitlichen ihre Stimme geschenkt hätten: Ja dann säße heute nicht Dieter Steger in Rom, sondern ein Vertreter des Bündnisses der Blauen mit dem „Carroccio“.

Das weiß Dieter Steger, das weiß die Lega – und das wissen auch die Freiheitlichen, um die es seit Sonntag auffällig ruhig geworden ist.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • erich

    Ja das ist das Ergebnis wenn man wie die Ulli nur auf andere los geht und selbst keine Visionen hat. Erst treffen sie sich etliche male in Verona bei Bauli mit Calderoli dann wenns drauf an kommt fehlt der Mut, das ist den Freiheitlichen schon zum zweiten mal passiert. Die Tür zu der Lega wird nun wohl endgültig zu bleiben.

  • george

    Ja und über die Grünen schimpfen und sie boykottieren, die den Mut hatten, trotz geringer Chance, anzutreten. Das habt ihr alle gekonnt, anstatt mindestens hierin kohärent zu sein. Und hintennach auch noch raunzen.

  • tiroler

    Wann begreifen die Freiheirlichen endlich, dass sie intern aufräumen müssen? Leitner und Mair sind auszusortieren, die 2 haben total versagt. Jahrelang als Hauptthema die Politikereinkünfte bekämpfen und sobald die Chance da war alles auffliegen zu lassen schweigen, schlimmer als die SVP. 2 Heuchler sind das.
    Wenn die F nicht schnellstens aus den Fehlern lernen und sich sofort neu aufstellen mit kompetenten Leuten, dann kommen sie nicht weit bei den Landtagswahlen

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