„Eine bösartige Unterstellung“
Die Naturschutzorganisation WWF behauptet, dass die Notstandsfütterung des Wildes nur dazu diene, dass die Jäger im Frühjahr mehr zu schießen haben. Das macht Heinrich Aukenthaler, Direktor des Jagdverbandes, fuchsteufelswild.
von Heinrich Schwarz
Landesrat Arnold Schuler hat vor kurzem grünes Licht für die Notstandsfütterung von Reh- und Rotwild gegeben. Der Antrag zur Aufhebung des Fütterungsverbotes kam vom Südtiroler Jagdverband. Hintergrund sind die enormen Schneemengen: Die Wildtiere finden wenig Nahrung und verlieren in kurzer Zeit viel Energie, wenn sie im hohen Schnee flüchten müssen.
Im letzten Starkwinter vor neun Jahren wurden in Südtirol rund 3.000 Stück Fallwild – zwischen Rehen, Hirschen, Gämsen und Steinböcken – verzeichnet.
Inzwischen hat sich die Bozner Sektion der Natur- und Umweltschutzorganisation WWF zu Wort gemeldet. In einer Stellungnahme schreibt sie:
„Es erscheint wenig glaubwürdig, dass die Jäger am Wohlergehen der Wildtiere interessiert sind, wenn man bedenkt, dass die Schalenwild-Jagd im Vorjahr von Anfang Mai bis Mitte Dezember ausgeübt wurde – und dabei auch auf die weiblichen Tiere mit ihren Jungtieren und während der Fortpflanzungsphase. Es wurden rund 12.000 Stück zwischen Rehen und Hirschen erlegt. Die künstliche Fütterung, gefordert von der Jagdwelt, hat als einzigen Zweck das Überleben einer größeren Anzahl an Schalenwild während des Winters. Das erlaubt den Jägern, während der nächsten Jagdsaison eine größere Anzahl an Tieren töten zu können.“
Zur Fütterung des Schalenwildes habe das nationale Umweltinstitut ISPRA in einem Gutachten erklärt, dass sie zu vermeiden sei. Die winterliche Sterblichkeit der schwächsten Tiere, zitiert der WWF das Gutachten, stelle einen natürlichen Mechanismus dar, der die Populationsdichte im Gleichgewicht mit den von der Natur angebotenen Ressourcen halte. Die Fütterung verfälsche diesen Mechanismus künstlich.
Weiters: Die künstliche Fütterung des Schalenwildes führe häufig auch zu einer Zunahme der Forstschäden in den Fütterungszonen. Darüber hinaus führe die unnatürliche Konzentration von Tieren in den Fütterungszonen zu einem signifikanten Anstieg der Krankheitsübertragungen.
Die Aussagen des WWF, der die Winterfütterungen verbieten und das Wild den natürlichen Gegebenheiten überlassen will, sorgen beim Jagdverband für große Aufregung:
Tageszeitung: Herr Aukenthaler, was sagen Sie zur Aussage des WWF, dass die Notstandsfütterung nur dazu diene, dass die Jäger im Frühjahr mehr zu schießen haben?
Heinrich Aukenthaler: Es ist eine der bekannten Taktiken, das man den Charakter des Jägers in eine gewisse Ecke schieben will, um zu sagen „die Jäger wollen das Wild nur, damit sie es schießen können“. Wir können es aber nicht mitansehen, dass die Tiere leiden und an Hunger eingehen. Wir glauben, dass das Wild in besonderen Situationen besondere Maßnahmen braucht. Und das ist heuer nun mal der Fall.
In diesem Fall sind also die Jäger die Tierschützer?
Wir sehen uns für das Wild verantwortlich und tun für das Wild mehr als die meisten anderen Organisationen.
Die Jäger sprechen stets von Hege und Pflege durch Entnahmen. Jetzt würde es eine natürliche Auslese geben, indem die schwächsten Tiere nicht über den Winter kommen…
Klar wird man eine natürliche Auslese brauchen, aber es gibt außergewöhnliche Umstände wie heuer. Die Tiere leiden so offensichtlich, dass sie die Scheu vor den Menschen verlieren und in die Dörfer kommen. Man muss das gesehen haben. Ich war zuletzt im Vinschgau, wo auf 1.500 Metern über ein Meter Schnee liegt. Wir haben von einem Jagdaufseher ein Video bekommen, auf dem man sieht, wie sich die Tiere schwer tun, sich fortzubewegen. Es ist ein absoluter Notstand, gegen den man etwas tun muss. Wir schauen uns nicht an, wie die Rehe und Hirsche im Schnee steckenbleiben, sich nicht mehr fortbewegen können und dann qualvoll verenden.
Sie können die Tierschützer in diesem Fall also nicht verstehen?
Es schmerzt uns der Vorwurf, dass das alles nur aus einem Selbstzweck passiere. Das ist einfach eine bösartige Unterstellung. Man versucht, in die Jägerschaft grundsätzlich einen schlechten Charakterzug hineinzuinterpretieren. Wie kann man sich so etwas erlauben? Man glaubt, dass die Jäger das Wild durchpäppeln, damit sie es dann im Frühjahr schießen können. So eine Unterstellung finde ich einfach absurd.
WWF zitiert ein Gutachten der ISPRA, wonach die Fütterung zu vermeiden sei. Neben dem natürlichen Gleichgewicht argumentiert die ISPRA mit verstärkten Forstschäden und Krankheitsübertragungen in den Fütterungszonen…
So eine Stellungnahme ist aus klimatischen Gründen verständlich. Italien ist nun mal ein Land, in dem die Fütterung in den allermeisten Teilen nicht notwendig ist. Ein dünner Streifen am Alpenhauptkamm – und unser Land liegt nun einmal darin – ist die Ausnahme. Wie ist es sonst erklärlich, dass ab der Grenze, ab der Wasserscheide des Alpenbogens die Fütterung vorgeschrieben ist. Wir brauchen nur einen Schritt über den Brenner machen: Dort ist die Fütterung vorgeschrieben. Warum sollte sie bei uns nicht notwendig sein? Im Nordalpen-Bereich gibt es sehr hohe Schneemengen. Da ist die Fütterung etwas unbedingt Notwendiges, um zu vermeiden, dass die Tiere in Gebiete hinkommen, wo sie keinen Platz haben.
Inwiefern?
Sie kommen in besiedelte Gebiete und unter die Räder von Autos. Deshalb werden sie zurückgehalten. Wir glauben auch, dass die Tiere dank einer umsichtigen Fütterung in einer kurzen Zeit, in der sie ihre Wintereinstände verlassen würden, dort zurückgehalten werden können. Dadurch können sie überleben und es gibt weniger Gefahrensituationen – auch für den Menschen, da die Tiere auf die Straßen kommen würden. Auch würden die Tiere in die Kulturen eindringen. Wir hatten heuer schon alles: Wenn im Vinschgau nicht gefüttert würde, würden die Hirsche in die Obstkulturen abgedrängt, wo sie enorme Schäden verursachen. Diese Schäden sollen dann die Jäger zahlen. Die zahlt ja nicht der WWF.
Wie sieht es mit Krankheitsübertragungen aus?
Das ist alles eine Frage der Sorgfalt und der Professionalität. Man kann Füttern, ohne ein Risiko einzugehen. Und Rotwild und Gämsen etwa leben ja ohnehin in Rudeln. Wenn die Tiere ansteckende Krankheiten haben, werden sie diese auch übertragen. Wir wissen allerdings auch, dass es Übertragungen von Haustieren auf das Wild gibt. Hier tun wir alles, um dies zu vermeiden. Wir glauben, dass wir davon etwas verstehen und mit diesem Sachverstand solche Gefahren ausschließen können.
Wie ist heuer die Zwischenbilanz, nachdem es ja schon sehr früh viel geschneit hat?
Wir haben die Zwischenbilanz noch nicht bekommen, aber wir hören ständig, dass vermehrt Fallwild aufgefunden wird und sich die Jäger bemühen, um zu vermeiden, dass es noch mehr Fallwild gibt. Jetzt wird der Winter hoffentlich nicht mehr lange dauern, sodass sich die Situation rasch entschärfen wird.
Im Starkwinter 2008/2009 wurden 3.000 Stück Fallwild verzeichnet…
Das ist viel. Ich weiß nicht, wie Organisationen das vertreten können, dass man tausende Stück Wild verhungern lässt. Beispiel Nationalpark Stilfser Joch: Vor etlichen Jahrzehnten wurden im Rabbital 500 Stück Rotwild tot aufgefunden – verhungert, weil man entschieden hatte, nicht zu füttern. Wir finden so eine Haltung nicht tragbar und sagen, man muss in besonderen Situationen besondere Maßnahmen ergreifen. Grundsätzlich wird das Rotwild ja nicht gefüttert. Aber heuer muss es das.
Ist heuer wieder mit 3.000 Stück Fallwild zu rechnen?
Ich glaube nicht, dass es so viele sein werden. Allerdings kann man erst im Frühjahr nach dem Ausapern schauen, wie viele Stück eingegangen sind.
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Kommentare (11)
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robby
Rehe, Gämsen und Hirsche setzen sich auch nicht zur Wehr. Deshalb mögen die Jäger die Bären nicht. Denn die können sich auch zur Wehr setzen. Ziemlich sogar.
Wenn den Jägern wirklich so viel am Überleben der Tiere liegt und sie sich so missverstanden fühlen dann sollen sie doch einfach während der nächsten Jagdsaison auf alle Abschüsse dieser Tiere verzichten und sie am Leben lassen. Dann, und nur dann glaube ich ihren Beteuerungen.