Das unsichtbare Motorrad
Der 22-jährige Mirsian Nerjioni prallte auf der Bozner Reschenbrücke mit seinem Motorrad gegen einen Betonmischer und starb. Dessen Fahrer wurde nun am Landesgericht freigesprochen.
Von Thomas Vikoler
Die Berechnungen der Gutachter von Anklage und Verteidigung fielen unterschiedlich aus: Antonio Pietrini, Sachverständiger der Staatsanwaltschaft, kam auf eine Geschwindigkeit von 129 Stundenkilometer. Nicola Dinon, Sachverständiger der Verteidigung auf 140 bis 150 Kilometern pro Stunde. Die Stadtpolizei war anfangs von 100 Stundenkilometern ausgegangen.
Es geht um die Geschwindigkeit, mit der der 22-jährige Mirsian Nerjioni mit seinem schweren Motorrad am 21. September 2015 über die Bozner Reschenbrücke brauste. An der Abfahrt zur Eisackuferstraße prallte das Motorrad gegen einen abbiegenden Betonmischer der Firma Transbeton.
Mirsian Nerjioni war auf der Stelle tot, seine damals 22-jährige Freundin, die hinter ihm auf dem Motorrad saß, wurde schwer verletzt.
Wenige Monate später erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den 46-jährigen Fahrer des Betonmischers, G.T., einem gebürtigen Mazedonier. Der Vorwurf: Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr und fahrlässige Körperverletzung.
G.T. verließ am Freitag sichtlich erleichtert, in Begleitung seiner Anwälte Alberto Valenti und Andreas Tscholl, eine Vorverhandlung am Bozner Landesgericht.
Richter Emilio Schönsberg hatte ihn soeben in einem verkürzten Verfahren freigesprochen, wenn auch mit der Zweifelsformel.
Für Richter Schönsberg ist es sehr wahrscheinlich, dass der Fahrer des Betonmischer das heranbrausende Motorrad Nerjionis nicht sehen konnte, als er nach links abbog. Einmal weil die Brücke gekrümmt ist, vor allem aber wegen der hohen Geschwindigkeit des Motorrads. Laut Berechnungen der Gutachter benötigte es gerade fünf Sekunden, um die 200 Meter von der Ampel in der Reschenstraße bis zum Unfallort zurückzulegen.
Für G.T. war ein möglicher Zusammenstoß also nicht voraussehbar. Die Straßenverkehrsordnung sieht bekanntlich vor, dass Verkehrsteilnehmer derart vorsichtig fahren müssen, dass auf ein Fehlverhalten anderer reagiert werden kann. Das war demnach in diesem Fall nicht möglich. Weil das Motorrad vor dem Abbiegen nicht sichtbar war.
Die Staatsanwaltschaft war von einer Mitschuld des Motorradfahrers und einer Fahrlässigkeit des LKW-Lenkers ausgegangen und beantragte gestern acht Monate Haft für G.T.
Dieser kann nach dem Freispruch weiter seinem Fahrer-Beruf nachgehen, nach dem Unfall war ihm der Führerschein kurzzeitig entzogen werden.
Zivilrechtlich war der Fall bereits vor der Verhandlung abgeschlossen worden. Die Versicherung von Transbeton hat Schmerzensgeld bezahlt.
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Kommentare (3)
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robby
Zumindest eine Entschädigung für das entgangene Einkommen als führerscheinloser Berufsfahrer.