„Harte Drogen sind weit verbreitet“
Auch in Südtirol zirkulieren immer mehr harte Drogen. Weil das Rauschgift leicht zu bekommen und auch billiger geworden ist, konsumieren immer mehr Jugendliche Kokain und Heroin.
TAGESZEITUNG Online: Frau Meraner, erleben harte Drogen in Südtirol ein Comeback, oder waren sie eigentlich nie weg?
Bettina Meraner (Dienst für Abhängigkeitserkrankungen Bozen): Harte Drogen waren eigentlich nie weg. Tragische Konsumunfälle richten das Augenmerk wieder sehr stark auf diese Thematik, aber tendenziell wird dieser Bereich noch immer sehr stark tabuisiert. Normal handelt es sich um ein Phänomen, welches im Untergrund angesiedelt ist, ein Phänomen, mit dem niemand allzu viel zu tun haben möchte, da es sich um illegale Substanzen handelt. Es hat vielleicht um die Jahre 2004 und 2005 einen leichten Rückgang gegeben, aber seit damals ist dieses Phänomen wieder im Steigen begriffen.
Von wie vielen Fällen bzw. welchen Drogen sprechen wir?
Bei uns melden sich hauptsächlich Personen, die Probleme mit dem Konsum von Opiaten haben, also hauptsächlich Heroinkonsumenten. Diese Menschen entwickeln eine starke körperliche Abhängigkeit und wünschen sich früher oder später eine Substitutionstherapie, weil sie ihren Konsum nicht mehr finanzieren können.
Welche anderen Substanzen werden in Südtirol konsumiert?
Am weitesten verbreitet sind neben Alkohol und Nikotin sicher Haschisch und Marihuana. Diese Substanzen sind nicht nur weit verbreitet, sondern mittlerweile leider auch gesellschaftlich ziemlich toleriert – obwohl es sich um illegale Substanzen handelt. An der Rechtslage hat sich zwar in den letzten Jahren nicht sonderlich viel verändert, aber die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Substanzen hat sich verändert. Ich befürchte, dass wie ein Rattenschwanz auch das Risiko des Konsums anderer Substanzen weitgehend unterschätzt wird. Was sich aber sicher auch verändert hat, ist das Konsumverhalten.
Wie meinen Sie das?
Sehr häufig wird nicht mehr nur eine Substanz konsumiert, sondern es werden in einer einzigen Konsumsituation verschiedene Substanzen vermischt bzw. Substanzen werden gemeinsam mit Alkohol konsumiert. Dies birgt sehr große Risiken, da die verschiedenen Substanzen Wechselwirkungen eingehen und niemand genau weiß, was dann passiert. Beim Konsum von illegalen Substanzen weiß man eigentlich nie, was man da zu sich nimmt, da die Substanz illegal und verschnitten ist. Daher birgt jeder Konsum Risiken – es gibt keinen risikofreien Konsum.
Wie viele Personen werden derzeit in Südtirol behandelt?
Der Suchtdienst in Bozen hat pro Jahr ungefähr mit 1.000 Personen Kontakt. In diese Rechnung fallen aber auch jene Personen, die von der Führerscheinstelle geschickt werden, da sie in Vergangenheit Probleme mit Drogen hatten oder die Meldungen des Regierungskommissariats.
Die Dunkelziffer wird aber wahrscheinlich viel höher sein…
Natürlich, die Dunkelziffer ist viel, viel höher. Der Großteil unserer Patienten, so ungefähr 500 Personen, hat eine Opiatabhängigkeit. Es mehren sich aber auch die Patienten, die Probleme mit einer Kokainabhängigkeit haben.
Kommen wir noch einmal auf Heroin zu sprechen. Wird Heroin heutzutage geraucht oder gespritzt?
Heroin wird als Einstieg häufig geraucht, aber es gibt natürlich noch immer viele Personen, die es spritzen – das ist immer noch weit verbreitet, mit allen Risiken, die eben damit zusammenhängen. Das heißt nicht, dass das Rauchen von Heroin weniger riskant ist, aber beim Spritzen kommen noch weitere Risiken dazu.
Heroin, Kokain und andere harte Drogen sind in Südtirol wieder auf dem Vormarsch. Kann man sagen, warum diese Substanzen wieder vermehrt konsumiert werden?
Sie sind wieder auf dem Markt. Das hängt mit verschiedenen Faktoren, unter anderem mit den Kriegshandlungen im Nahen Osten, zusammen. Das Angebot ist wieder gestiegen und die Tatsache, dass die Preise stark gesunken sind, führt ebenfalls dazu, dass der Konsum für Jugendliche erschwinglich ist.
Also konsumieren auch immer mehr Jugendliche harte Drogen…
Wir beobachten nur jene Personen, die sich an unsere Dienststelle wenden und sehen dort aber vermehrt Jugendliche. Das muss nicht zwingend heißen, dass Jugendliche auch mehr konsumieren, sondern nur, dass sie eben bei uns behandelt werden. Man kann aber sagen, dass der Konsum von illegalen Substanzen bei Jugendlichen ein großes Thema und das Phänomen im Steigen begriffen ist.
Sind sich die Jugendlichen der Gefahren bewusst?
Nicht unbedingt. Bei Jugendlichen ist es häufig problematisch, weil sie kein Problem mit ihrem Konsum haben. Entweder die Eltern sind besorgt, die Leistungen in der Schule passen nicht mehr oder das Unternehmen meldet einen Leistungsabfall bei der Arbeit. Erst wenn die ersten Folgen des Konsums sichtbar werden, entwickeln auch die Betroffenen ein Problembewusstsein. Aber in einem frühen Stadion ist den Jugendlichen oft nicht bewusst, dass das, was sie machen, riskant ist. Die Jugendlichen befinden sich noch in einer Entwicklung und Substanzen, die im Gehirn wirken, beeinträchtigen auch die Gehirnentwicklung. Die Jugendlichen erleben hingegen nur die positiven Entwicklungen und sind sich dadurch nicht bewusst, welchen Schaden sie sich zufügen.
Sie haben vorhin bereits erwähnt, dass der Preis ein großer Faktor beim Konsum von illegalen Substanzen ist. Ist es auch einfacher geworden, an illegale Substanzen zu kommen?
Ja, auch weil Jugendliche illegale Substanzen zum Teil untereinander weitergeben und handeln. Es ist sicher so, dass Drogen viel weiter verbreitet sind und zum Teil – was Haschisch und Marihuana angelangt – von der Gesellschaftteilweise toleriert werden.
Einerseits wird über die Legalisierung von leichten Drogen diskutiert, andererseits gibt es viel, was im Dunkeln passiert. Werden auch harte Drogen durch derartige Diskussionen bagatellisiert?
Das ist sicher ein Risiko. Einerseits kommen Jugendliche, die Haschisch oder Marihuana konsumieren, in Kontakt mit illegalen Kreisen, wo vielleicht auch andere Sachen konsumiert werden und irgendwann probieren sie dann vielleicht auch noch etwas anderes aus. Bei Jugendlichen ist es mittlerweile nämlich die Regel, dass sie nicht nur eine Substanz konsumieren, sondern viele verschiedene Substanzen. Zudem finde ich es problematisch, dass die Diskussionen beispielsweise um cannabishaltige Medikamente mit Drogen vermischt werden. Cannabis wird teilweise als Mittel für und gegen alles gehandelt, wobei es aber wenig solide Forschung in diesem Bereich gibt. Wir beobachten zudem ein ähnliches Phänomen wie beim Alkohol, was das Verhalten vieler Eltern betrifft.
Dass man die Gefahr unterschätzt?
Manche Eltern unterschätzen das Risiko, welches durchs Kiffen entsteht – vielleicht auch, weil sie selbst Erfahrungen mit Marihuana gemacht haben. Sie wissen aber nicht, dass ihre Kinder teilweise andere Substanzen konsumieren und sich auch Haschisch und Marihuana im Vergleich zu vor 20 Jahren stark verändert haben.
Wie sieht es eigentlich mit neuen Drogen aus? Findet man in Südtirol auch LSD, Ecstasy oder andere Partydrogen?
Ja. Es ist immer schwer abzuschätzen, wie stark bestimmte Substanzen konsumiert werden, weil es keine offiziellen Daten gibt. Wir haben Datenmaterial über die beschlagnahmten Drogen, über die Anzahl der betreuten Personen und über Anzeigen beim Regierungskommissariat. Wir wissen was und wie viel beschlagnahmt wurde, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir bewegen uns in einem illegalen Bereich und daher ist es schwer, Phänomene mit Daten zu unterlegen. Ich würde mit wünschen, dass man offen über dieses Thema sprechen kann, ohne gleich zu alarmieren und die Jugendlichen irgendwo hin zu schleppen. Es darf aber auch nicht Weggeschaut werden, mit der Begründung, dass das schon von alleine aufhören wird.
Interview: Lisi Lang
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