„Südtirol über alles“
Was denken die italienischen Abgeordneten über die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler? Und: Würden sie selbst um den Rot-Weiß-Rot-Pass ansuchen, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen? Teil 2
Riccardo Dello Sbarba (Grüne): Das Recht auf eine doppelte Staatsbürgerschaft, über das gerade in Südtirol diskutiert wird, würde nur für einen Teil der Bürgerinnen und Bürger gelten: für diejenigen, die Vorfahren aufweisen, die vor 1918 in der Provinz Bozen gelebt haben. Es handelt sich um ein Konzept, das die Italiener ausschließt, aber auch viele Personen der deutschen Sprachgruppe, die erst später nach Südtirol gekommen sind. Der Doppelpass wird die Südtiroler Gesellschaft spalten zwischen „echte Südtiroler“, „Nicht-Südtiroler“ und „Südtiroler Verräter“ (weil sie trotz entsprechender Möglichkeit nicht um die doppelte Staatsbürgerschaft angesucht haben). Diese Differenzierung ist Gift für das Zusammenleben. Eine so strenge Anwendung des „ius sanguinis” gibt es in keinem anderen Teil Europas. Im Gegenteil: Überall in Europa gilt das Prinzip, wonach diejenigen, die im Territorium geboren sind, früher oder später die Möglichkeit erhalten, Staatsbürger zu werden, auch wenn sie ausländische Eltern haben: in Italien zum Beispiel mit 18 Jahren. Um diese doppelte Staatsbürgerschaft „made in Südtirol“, kann hingegen nicht einmal meine Tochter ansuchen, die in Bozen geboren ist und hier die Schule besucht hat – heute nicht und auch nicht in Zukunft! Es handelt sich mehr um ein Geburts- und Abstammungsrecht, ähnlich einem monarchischen System (zum Beispiel dem Adelsrecht durch die Geburt), als einem demokratischen und offenen System. Letztlich wird die Vergabe des Doppelpasses aber auch die Autonomie in Frage stellen, weil diese gerade auf dem Schutz einer sprachlichen Minderheit innerhalb des italienischen Staates basiert. Wenn morgen ein Teil der Bevölkerung auch österreichische Staatsbürger sind, dann kann Rom sagen, dass diese Bürger, die sich nicht Italien zugehörig führen, durch die österreichische Staatsbürgerschaft geschützt würden. Die restlichen Bürger wären hingegen einfache italienische Bürger, die „nicht nach Österreich zurückkehren wollen“. Die Folgen für unsere Autonomie wären unvorhersehbar. Deshalb bevorzuge ich die Entwicklung einer europäischen Staatsbürgerschaft, die es zwar schon gibt, die aber in Grenzregionen wie der unseren noch verstärkter ausgeübt werden sollte.
Christian Tommasini (PD): Ich sage: Doppelpass für alle! Ich glaube, dass die Frage nach der doppelten Staatsbürgerschaft eine komplexe Geschichte ist. Das Thema ist schon Jahre alt und wird oft benutzt, um ein bisschen Bewegung zu machen. Für viele ist es ein politisches Zugpferd. Ich finde positiv, dass man in der Frage nach dem Doppelpass auch das Thema der europäischen Staatsbürgerschaft anspricht und das Ziel verfolgt, die Beziehungen zwischen Nord und Süd zu stärken. Deshalb bin ich durchaus dazu bereit, darüber zu diskutieren und nicht a priori dagegen. Um mir eine endgültige Meinung zu bilden, muss ich aber noch Vieles besser verstehen. Zum Beispiel ist mir unklar, wer um den vorgeschlagenen Doppelpass ansuchen kann und unter welchen Voraussetzungen. Wenn das Recht für alle gilt, dann wäre der Doppelpass auch eine Möglichkeit, um unsere mehrsprachige und vielfältige kulturelle Identität in Südtirol zu bewahren. Wenn die Möglichkeit hingegen nur begrenzt für einige gilt, könnte der Doppelpass zu einer zusätzlichen Trennung in unserer Gesellschaft führen. Ich habe momentan mehr Fragen als Antworten, das Thema ist sehr delikat. Ich bin aber neugierig auf die Antworten. Was die Frage betrifft, ob ich selber um den Doppelpass ansuchen würde: Ein solcher Pass wäre sicher bequemer. Ich würde aber dennoch lieber einen europäischen Pass bekommen.
Michaela Biancofiore (Forza Italia): Ich bin stolz darauf, Bürgerin Italiens zu sein – und eine doppelte Staatsbürgerschaft haben wir bereits, auch wenn das in den Köpfen einiger deutschsprachiger Lokalpolitiker nicht hineingehen will: die europäische Staatsbürgerschaft. Die europäischen Regelungen untersagen Doppelstaatsbürgerschaften innerhalb von Mitgliedsstaaten, weil diese in den Grenzgebieten zu enormen Zerwürfnissen führen würden. Seit der Zeit von Schüssel verlangen SVP und Co. den Doppelpass – und Österreich gibt ihnen immer wieder einen Korb. Diejenigen, die den Appell unterzeichnet haben, sollen offen sagen, dass sie lieber über die Grenze gehen wollen. Jetzt, wo der katalanische Traum verblasst, will man doppelgleisig fahren: einerseits vom österreichischen Steuersystem profitieren und sich andererseits durch die von Italien gewährte Autonomie absichern. Man schraubt die Messlatte immer weiter nach oben, bis Italien irgendwann Österreich darum bittet, Südtirol wieder zurück zu nehmen. Italien wird aber Schadenersatz einfordern, weil es verantwortlich ist für den Wohlstand und den Reichtum in unserem Land. Das ist der übliche Mythos: Südtirol über alles! Ein Mythos, der immer mehr das Ansehen unseres Landes zerstört.
Umfrage: Matthias Kofler
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Kommentare (14)
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tiroler
Dello Sparba scheint nicht zu wissen, dass wir nicht freiwillig zu Italien gehören und dass uns die Österreichische Staatsbürgerschaft entzogen wurde.
vintschger
Dello Sbarba sagt: „Deshalb bevorzuge ich die Entwicklung einer europäischen Staatsbürgerschaft, die es zwar schon gibt, die aber in Grenzregionen wie der unseren noch verstärkter ausgeübt werden sollte.“
Ok, Riccardo. In Staatskunde nicht aufgepasst. Setzen, fünf!
criticus
Liebe Schlaumeier von Politiker, was nutzt mir der „europäische Pass“, wenn ich das Heizöl nicht in Deutschland oder Österreich kaufen darf, sondern im überteuerten Italien?
Die Italiener sind sicherlich ein herzliches Volk, haben aber den Nachteil, dass sie die korruptesten, teuersten und ältesten Politiker der Welt haben. Und das noch zu viele.