Der Rebell
Er war Olympia-Surfer, heute sucht er nach positiven Vibrationen: Wie der 29-jährige Kalterer Fabian Heidegger im Bozner Bahnhofspark Flüchtlingen hilft und dabei sein Reggae-Weltbild in die Tat umzusetzen versucht.
Von Caterina Heinmüller
Im Bahnhofspark kennt ihn fast jeder. „Hey Rasta“, hört man, wenn der großgewachsene Mann mit afrikanischer Kette um den Hals und einer Masse Dreadlocks unter der Strickmütze in den jamaikanischen Nationalfarben vorbeigeht. Die Leute, die ihn so rufen, nennt er „meine Schützlinge“. Es sind größtenteils Flüchtlinge.
„In der Rastafari-Kultur glaubt man, dass Weisheit und Stärke in den Haaren entsteht und dass Lebenserfahrungen darin gespeichert werden. Die Dreadlocks sollen als Antennen fungieren, die positive Vibrationen empfangen“, erklärt Fabian Heidegger etwas später im Bahnhofspark.
Im Hintergrund hört man Reggae-Musik, dazu hat er auch gleich etwas zu sagen: „Der Reggae hat für einen großen Teil zur Bildung meines Weltbildes beigetragen. Wenn man Tag ein Tag aus Lieder über die Ungerechtigkeit in der Welt hört, fängt man an sich selbst umzusehen und sich zu fragen, ob diese Texte der Wahrheit entsprechen. Es ist wahrhaftig so – wir leben in einer ungerechten Welt. Die Reisen im Rahmen meiner sportlichen Karriere haben dies bestätigt, überall herrschen die gleichen Bedingungen vor: Die einen nehmen sich soviel sie kriegen können, während den anderen nichts übrig bleibt. Solange diese Umstände gelten, werde ich mich dafür einsetzen, dass es mindestens in die Richtung der Gleichgerechtigkeit geht“.
Heidegger pflegt ein inniges Verhältnis zu den Männern, die am Rande unserer Gesellschaft stehen. „Ich habe Fabian viel zu verdanken. Er bringt uns Decken und Lebensmittel. Oft musizieren wir zusammen. Er ist ein echter Freund“, berichtet ein sechsundzwanzigjähriger Senegalese lachend. Auf die Frage wie es ihm ginge, antwortet er jedoch: „Ich bin müde und erschöpft, trotz gültiger Aufenthaltsgenehmigung finde ich weder Arbeit noch Wohnung. Ich schlafe mittlerweile seit neun Monaten auf der Straße.“ Der Mann zeigt eine Schusswunde an seinem linken Unterarm, die angeblich von einer AK47, mit der er auf der Flucht aus einem libyschen Gefängnis angeschossen wurde, stammt.
Fabian Heidegger war einmal Surf-Profi. 2008 nahm er als jüngster Teilnehmer am Wettbewerb bei der Olympiade in Peking teil. Er wurde 20. 2009 belegte er bei der WM in Großbritannien den 10. Platz, 2012 beendete er seine Karriere. Dann startete er eine zweite Karriere als Reggae-Musiker, sein Band heißt Myztic Lion. Inzwischen ist Fabian Heidegger 29 und oft im Bozner Bahnhofspark anzutreffen. Er betätigt sich als freiwilliger Flüchtlingshelfer.
Warum macht er das? Er kämpft für Gerechtigkeit. „Unsere Gesellschaft besteht mittlerweile aus einer Vielzahl von Nationalitäten. Hierbei gibt es keinen Platz für selbstsüchtige Egozentriker, die ihr eigenes Glück über das eines anderen stellen. Die Situation, in der wir uns befinden, wird sich so schnell nicht ändern. Die Flüchtlinge sind hier und sie werden hier bleiben, ob es die Hassprediger wollen oder nicht. Also wäre es besser, der Realität ins Auge zu sehen und eine Lösung für ein allgemeines Glück zu finden, anstatt weiterhin auf das eigene Wohl zu achten und den anderen ihr Glück zu verwehren“, doziert der Ex-Surfer, „der erste Schritt wäre, ein gewisses Mitgefühl zu entwickeln und sich selbst in die Situation eines Flüchtlings zu versetzten, hierbei muss man dessen Situation jedoch kennen. Dies kann ausschließlich erfolgen, wenn man sich mit den betroffenen Personen direkt auseinandersetzt. Da werden so manche Vorurteile abfallen.“
Fabian Heidegger, inzwischen auch Familienvater, wirkt deshalb auch als Kulturvermittler. Er will die Leute zusammenbringen. Beim letzten Konzert seiner Reggae-Band im Semirurali-Park waren im Publikum 25 verschiedene Nationen vertreten, wie Heidegger stolz berichtet.
Um gleich darauf seine Diagnose und seine Therapie auf den Punkt zu bringen: „Das Flüchtlingsbild unserer Gesellschaft kann man sich wie eine Spirale vorstellen. Diese Spirale tendiert, durch die lauten Hetzprediger und die sogenannten Fake News, die in Massen verbreitet werden, gerade zum Negativen. Nun brauchen wir Leute, die diese Spirale ins Positive bewegen, eben durch Aufklärung und sehr viel Kraft. Denn wie es uns die Weltgeschichte lehrt, ist jeder Querdenker anfangs auf Abneigung gestoßen, doch durch viel Kraft sind genau jene, die anfangs als verrückt bezeichnet wurden, in die Geschichte eingegangen.“
Am vergangenen Freitag war Heidegger auf der mit Spannung erwarteten Bürgerversammlung in Kaltern mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrätin Martha Stocker. Das Thema: Die Weigerung der Kalterer, am SPRAR-Programm teilzunehmen, also Flüchtlinge aufzunehmen. Heidegger erzählte dort die Geschichte eines 16-jährigen äthiopischen Flüchtlings, dessen Eltern ermordet wurden, weil sie sich gegen eine Kakaobohnen-Plantage gewehrt hatten.
Seine Aussagen standen der Wortmeldung eines weiteren Kalterers gegenüber, der in der Diskussion forderte, dass die Boote von Flüchtlinge auf hoher See versenkt werden sollten.
„Solche Aussagen zeugen von bodenloser Ignoranz“, sagt Heidegger, „doch im Großen und Ganzen überwogen die positiven Argumente haushoch wie die Aussagen eines Pakistaners, der in Kaltern lebt seit er neun Jahre alt ist, und der Ehefrau eines aus Gambia stammenden Mannes.“
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Kommentare (6)
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jennylein
Die Tageszeitung übernimmt hier eins zu eins seine version der Geschichte. Wer den jungen Herr kennt weiss, dass dieser erst mal lernen sollte auf eigenen Beinen durchs Leben zu gehen, bevor er sich als Weltverbesserer aufspielt.