Die prügelnde Mutter
Meist sind es Männer, die wegen Misshandlung in der Familie strafrechtlich belangt werden. In diesem Fall war es eine Frau, die – bei laufender versteckter Kamera – ihre drei Kinder systematisch verletzte. Nun erhielt sie dafür ein Jahr Haft.
Von Thomas Vikoler
Eltern sind oft überfordert mit der Erziehung ihrer Kinder. Die Nerven liegen blank, sie schreien, sie verpassen ihnen Ohrfeigen oder setzen sie psychisch unter Druck. Alles hinter den verschlossenen Türen einer Familienwohnung. Und dann kommt die Beziehungskrise dazu, ein Elternteil will ausziehen bzw. sich scheiden lassen.
Meistens der Anlass dafür, dass Misshandlungen in der Familie buchstäblich nach außen dringen. Mit einer Strafanzeige eines Ehepartners – eine bekannte „Waffe“ im Trennungsverfahren und im Unterhaltsstreit.
Das war auch in diesem Fall einer vermeintlich „normalen“ Südtiroler Familie so. Die Ehefrau kündigte im Herbst 2015 über ihre Anwältin an, ausziehen zu wollen, um – mit den drei Kindern – an einen anderen Ort zu ziehen. Dann war die Rede von einem vierten Kind, um die Ehe zu retten, die angespannte Situation eskalierte.
Der Ehemann wusste, so schreibt er in der Strafanzeige gegen seine Frau vom Jänner 2016, dass diese ihre drei gemeinsamen minderjährigen Kinder schlecht behandelte: Regelmäßige körperliche Gewalt, Ohrfeigen ins Gesicht, Wegschubsen, mehrstündiges Einsperren, Drohungen und Beleidigungen. „Wenn die Kinder nicht essen wollen, drückt sie ihr Gesicht in den vor ihnen stehenden Teller“, schreibt er in Anzeige.
Doch für diese schweren Vorwürfe gab es keine stichhaltigen Beweise, allenfalls Zeugenaussagen aus dem Familienumfeld des Ehemanns. Und Nachweise von Krankenhausbesuchen der Kinder, die angeblich mit Gewaltattacken seitens der Mutter zusammenhingen.
Weil der Ehemann schließlich selbst einen Scheidungsantrag bei Gericht einbringen will, entschließt er sich, Beweise gegen seine Frau zu sammeln. Mit Hilfe einer Videokamera.
Im November 2015 montiert er verstecktere Kameras in den Aufenthaltsräumen der Familienwohnung.
In rund eineinhalb Monaten sammelt er auf diese Weise nicht weniger als 113 Videos, die später der Strafanzeige beigelegt werden. Dort gibt der Ehemann zu Protokoll: „Vorher war es nicht anders“.
Die Frage: Wieso hat er nicht früher etwas unternommen?
Die Videoaufnahmen zeigen jedenfalls mehr als deutlich, dass die Ehefrau ihren elterlichen Aufgaben nicht gewachsen ist. Sie wird handgreiflich und ausfällig gegen ihre Kinder, benutzt einen Wortschatz, den man schwerlich als kinderfreundlich bezeichnen kann.
Misshandlung in der Familie und von Kindern besteht nach gängiger Rechtsprechung zu Strafrechtsartikel 572 in körperlicher und psychischer Gewalt. Also gehören auch wiederholte Drohungen, Beleidigungen und Herabwürdigungen dazu.
Von diesen finden sich in den 113 Video-Dokumenten zahlreiche: Die Kinder werden wiederholt als „Arschloch“, „Wichser“, „Vollidiot“, „Hure“, „Sauhunde“, „Arschficker“, „Behinderte“, „Krüppel“ oder „freche Sau“ bezeichnet.
Und dann die wiederholten Drohungen, die man auch als Todesdrohungen einstufen könnte: „I schlog enk o“. In einer anderen Szene: „Ich schlage dir die Füße“. Und dann wieder: „Das nächste Mal bring ich dich um“.
Auch physische Gewalt ist auf den Videos mehrmals dokumentiert. Die Mutter ohrfeigt eines der Kinder, dann bewirft sie es mit einer Lernmappe oder einem Buch. Ein anderes wird zu Boden gestoßen, ein weiteres packt sie an den Haaren und schlägt ihm mehrmals mit der Hand ins Gesicht.
Alle diese Episoden werden zu unwiderlegbaren Beweismitteln in einem Strafverfahren, das die Staatsanwaltschaft Anfang 2016 gegen die Mutter der drei Kinder einleitet. Im März 2016 spricht Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen die Frau ein Annäherungsverbot aus. Sie darf sich ihren Kindern bis zu einem Abstand von höchstens 500 Metern nähern. Der Richter wertet auch die Berichte aus dem Krankenhaus als belastende Elemente: Hämatome, Beinbrüche, Rissquetsch-Wunden. „All diese Ereignisse weisen verdächtige Bescheinigungen auf das gewalttätige Verhalten der Mutter auf“, heißt es in der richterlichen Verfügung, „es besteht aktuelle Wiederholungsgefahr“.
Das Strafverfahren nimmt seinen Lauf und wurde vor einigen Monaten mit einer Strafzumessung abgeschlossen, die darin verhängte Strafe ist inzwischen rechtskräftig. Die Mutter stimmt vor Vorverhandlungsrichter Andrea Pappalardo einem gerichtlichen Vergleich über ein Jahr Haft auf Bewährung wegen Misshandlung ihrer Kinder zu. „Aufgrund der Beweiselemente besteht kein Zweifel bezüglich der strafrechtlichen Verantwortung der Angeklagten“, schreibt Richter Pappalardo in seinem Urteil.
Simon Tschager, der Richter im Scheidungsverfahren, erlaubt später von Sozialassistenten begleitete Zusammentreffen (zuerst alle zwei Wochen, dann jede Woche) der Mutter mit ihren Kindern in den Räumlichkeiten des Sozialdienstes. Nachdem die Kinder sich nach und nach weigern, an den Besuchen teilzunehmen, setzt sie Richter Tschager aus.
Statistisch gesehen ist es in der Mehrzahl der Strafverfahren wegen Misshandlung in der Familie, geschlechterspezifisch gesehen, genau umgekehrt: Die Täter sind Männer.
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