Spannung vor dem Urteil
In Italien ist bisher kein Verbandsarzt wegen Beihilfe zum Doping verurteilt und mit Berufsverbot belegt worden. Doch genau das droht Alex Schwazers früheren Ärzten Pierluigi Fiorella und Giuseppe Fischetto im Bozner Prozess, der am Mittwoch in seine entscheidende Phase geht.
Von Thomas Vikoler
Im Jahre 1999 verabschiedete das italienische Parlament ein Gesetz, das in seiner Art als eines der ersten und bis heute schärfsten weltweit gilt: Das Anti-Dopinggesetz, das seit nunmehr 17 Jahren in Kraft ist. Dutzende Sportler, insbesondere Bodybuilder, wurden seitdem auf der Grundlage von Gesetz 376/2000 zu Haftstrafe verurteilt.
Aber bisher in den seltensten Fälle Personen, welche vermeintlich Beihilfe zum Doping geleistet hatten. Darunter zwei in Südtirol: Der ehemalige Antholzer Biathlon-Funktionär Gottlieb Taschler und der Ferrareser Sportarzt Michele Ferrari wurden am Landesgericht schuldig befunden, dem Athleten Daniel Taschler beim EPO-Doping geholfen zu haben. Anfang November vor dem Oberlandesgericht die Berufungsverhandlung statt.
Verbandsärzte blieben bisher italienweit von Schuldsprüchen verschont. Doch das könnte sich bald ändern: Am heutigen Mittwoch beginnen am Bozner Landesgericht die Plädoyers in einem Prozess von Präzedenz-Charakter: Das Folgeverfahren zum positiven Dopingtest von Geh-Olympiasieger Alex Schwazer vor London 2012, in dem der Chefarzt des Leichtathletikverbandes FIDAL und IAAF-Funktionär Giuseppe Fischetto, der FIDAL-Sportarzt Pierluigi Fiorella und die ehemalige Verbands-Funktionärin Rita Botteglieri Behilfe zum Doping (Schwazers) vorgeworfen wird.
Kurz: Sie hätten von der EPO-Einnahme des Gehers aus Kalch nichts gewusst und nichts dagegen unternommen.
Das fällt – wie in der Causa Taschler – unter Artikel 9 des Anti-Doping-Gesetzes, welches jene bestraft, „die Dopingmittel beschaffen, verabreichen oder deren Verwendung begünstigen“. Die Begünstigung bestünde im Falle der beiden Verbandsärzte in einer unterlassenen Meldung an die zuständigen Stellen, etwa die italienische Antidoping-Staatsanwaltschaft oder die Antidoping-Agentur WADA.
Alex Schwazer, der selbst einen gerichtlichen Vergleich über acht Monate Haft abgeschlossen hatte, erhob bei seinen Zeugenaussagen im Prozess im November und Dezember 2015 schwere Vorwürfe gegen Fischetto und Fiorella. Er ist der große Belastungszeuge und bei weitem nicht das einzige Beweismittel der Anklage.
Richterin Carla Scheidle, die voraussichtlich am 25. November ihr Urteil sprechen wird, liegen umfangreiche Abhörprotokolle vor, aber auch die detaillierten Ermittlungsergebnisse der Carabinieri-Sondereinheit NAS aus Florenz.
Fischetto hatte sich in Telefonaten im Jahre 2013 wiederholt abfällig gegen Schwazer geäußert, der in jenem Jahr begonnen hatte, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten: „Questo crucco…“. Fischetto, der mutmaßlich bei der Anordnung des Dopingtests bei Schwazer am 1. Jänner 2016 eine Rolle spielte, ärgert sich am Telefon über die Beschlagnahme eines Computers mit den Daten von hunderten Athleten. Auch von Russen.
Bei seiner Zeugenaussage am 16. Dezember 2015 warf Schwazer dem FIDAL-Chefarzt vor, von seinen auffälligen Blutwerten im biologischen Pass (die digitale Adams-Kartei) gewusst zu haben. Zusatz: „Wer weiß und nichts tut, ist auch schuldig“.
Wesentlich prekärer ist die prozessuale Situation von Mittelstrecken-Betreuer Pierluigi Fiorella, der bei allen Verhandlungen am Bozner Landesgericht anwesend war. Allein die abgehörten Gespräche, die er mit Schwazer im Vorfeld der Olympiade von London führte, lassen darauf schließen, dass er von dessen Doping-Praxis wusste.
Richterin Scheidle muss auch entscheiden, welchen Wahrheitswert sie der Aussage Schwazers zu einem angeblichen Treffen mit Fiorella in einem Café eines Einkaufszentrums bei Parma im April 2012 beimisst. Dort hatte ihm der Südtiroler Athlet laut eigenem Bekenntnis die EPO-Einnahme inklusive die Beschaffungs-Reise in die Türkei gestanden.
Fiorella bzw. dessen Anwälte haben dies stets abgestritten.
Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante, der in diesem Fall die Anklage vertritt, wird am Ende seines heutigen Plädoyers die Strafanträge für die drei Angeklagten verlesen. Auf Verstöße gegen das Anti-Dopinggesetz stehen von drei Monaten bis drei Jahre Haft, die Zugehörigkeit zu einem dem Nationalen Olympischen Komitee angeschlossenen Verband erhöht im Falle eines Schuldspruchs das Strafmaß. Sollte es zu einem solchen kommen, ist weniger die Höhe der Haft- oder Geldstrafe ausschlaggebend, als die damit verbundenen Nebenstrafen.
„Wenn die Straftat von einem Arzt begangen wird, folgt darauf die zeitweilige Sperre der Berufsausübung“, heißt es in Gesetz 376/2000.
Die beiden angeklagten Ärzte – Fiorella und Fischetto – müssen also damit rechnen, dass sie bei einem rechtskräftigen Schuldspruchs für einige Zeit nicht mehr als Ärzte praktizieren können. Weder im Auftrag des Verbandes noch im eigenen.
Es lässt sich bereits jetzt sagen, dass sich die beiden Ärzte im Falles Schuldspruchs am Landesgericht Bozen mit allen Mittel dagegen wehren werden, dass dieser in Rechtskraft erwächst. Also sichere Anfechtung und eventuell Gang vor die Kassation.
Die Verteidiger der beiden FIDAL-Ärzte setzen vor allem darauf, dass im Anti-Dopinggesetz nicht ausdrücklich von einer unterlassenen Meldung von Dopingvergehen von Athleten die Rede ist.
Das Plädoyers des Anklägers flankieren wird heute Stefano Borella, der Anwalt der internationalen Antidoping-Agentur WADA, die sich als Zivilpartei in das Verfahren eingelassen hat. Am 25. November haben dann die Verteidiger das Wort.
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