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Der Umwelt-„Taliban“

Andreas Schiebel (Foto: Wolfgang Schmidt)

Alexander Schiebel über sein Buch zum Spritzmittel-Einsatz in Südtirol und über die Plakataktion des Umweltinstituts München.

TAGESZEITUNG Online: Herr Schiebel, was fasziniert Sie so sehr an den Pestiziden?

Alexander Schiebel: Nichts. Meine Verwicklung mit diesem Thema hat begonnen, als die bindende Volksbefragung in Mals beiseite gefegt wurde. Mir ging es immer primär um Demokratie. Ich konnte nicht begreifen, wie man mit fadenscheinigen Begründungen den Wunsch des Wählers ignorieren kann.

Sie haben einen Film über den Spritzmittel-Einsatz in Südtirol gedreht und stellen diese Woche Ihr Buch „Das Wunder von Mals“ vor. Ist denn das Thema so ergiebig?

In Wirklichkeit habe ich zwei Filme über Mals gedreht: eine 30-minütige TV-Version für Arte, die am 21. September um 19.45 Uhr ausgestrahlt wird und eine längere Kinoversion, die Ende November Premiere feiert, und zwar in Mals und in etwa 100 Dörfern in Deutschland gleichzeitig. Das Buch habe ich in Angriff genommen, weil ich im Film aus dramaturgischen Gründen vieles nicht erzählen konnte, das ich gerne erzählen wollte.

In Südtirol ist man über Ihre publizistische Tätigkeit alles andere als begeistert. Haben Sie dafür Verständnis?

Ich lebe mittlerweile seit fünf Jahren in Südtirol und ich habe im Auftrag von IDM viele Filme über die Schönheit dieses Landes gedreht. Jetzt erlaube ich mir, auch einen Film über die weniger schönen Seiten zu machen. In Südtirol gibt es zum Thema Pestizide eine sehr starke Repression, und zwar bis in die höchsten Kreise hinein. Die Politik befindet sich in einer Art Schockstarre, aber auch in Südtirol gibt es eine große Menschenmenge, die nicht mehr erträgt, mit welcher Präpotenz hier gewisse Leute mit der Sprühwolke umgehen.

Finden Sie, dass andere Länder damit offener umgehen? Sprühwolken gibt es bekanntlich nicht nur hier…

Was mir in Südtirol fehlt ist die Gesprächskultur. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: wenn ich in einem Facebook-post auf das Schwinden der Schmetterlingspopulationen hinweise, dann erhalte ich darauf 600 Wortmeldungen. Niemand geht aber auf den Inhalt ein, sondern die meisten beschweren sich darüber wie unsachlich ich bin.

Auch das ist kein typisch Südtirolerisches Phänomen….

Diese emotionale und unsachliche Komponente finden Sie auf Facebook weltweit, das stimmt. Der Unterschied ist, dass dieses katastrophale Gesprächsklima sich hier nicht nur auf Facebook beschränkt.

Die Südtiroler Obstbauern fühlen sich großteils zu Unrecht an den Pranger gestellt. Sie tun das, was ihnen die Fachleute von Beratungsring und Laimburg empfehlen um am Ende das vom Baum zu pflücken, was der Konsument auf dem Tisch haben will: einen makellosen Apfel.

Die Bauern tun nicht, was sie wollen, das stimmt. Landwirtschaft ist ein Thema, das in Europa von den Staaten reguliert wird und hoch subventioniert ist. Die Frage ist aber eine andere: welche Landwirtschaft wollen wir? Die industrielle Landwirtschaft ist ein auslaufendes Modell aus den 1950er Jahren, unter international anerkannten Agrarexperten herrscht längst die Überzeugung, dass die Menschheit mittelfristig auf eine agrarökologische Landwirtschaft umstellen muss um die Umweltprobleme auszuschalten. Umso absurder ist gerade dieser Versuch, das Obere Vinschgau noch kurz vor dem Scheitern dieses alten Landwirtschaftsmodells zu zerstören. Es ist erschreckend zu sehen, wie wenig die Leute wissen: es geht nicht nur um die Pestizide, sondern um die umweltzerstörende Wirkung des Gesamtsystems.

Sind Sie ein Umwelt-Taliban?

Ich bin jemand, der von der extremen Wichtigkeit eines Anliegens überzeugt ist. Die Taliban sind von einem dummen Anliegen überzeugt, ich dagegen glaube, dass der Umweltschutz eines der bedeutsamsten Herausforderungen der nächsten 30 Jahre sein wird. Entweder wir lösen es, oder es löst uns.

Die Plakataktion „Pestizidtirol“ des Umweltinstitutes München hat für Polemiken gesorgt. Viele – darunter auch der Malser Bürgermeister Ulrich Veith – vermuten Sie als Drahtzieher hinter dieser Initiative. Was hatten Sie tatsächlich damit zu tun?

Ich habe mit Ulrich Veith über dieses Statement geredet und er hat mir versichert, er habe das nicht in dieser Form gesagt. Veith hat sich jedoch sehr wohl von der Plakataktion distanziert, die ihm stilistisch nicht gefällt. Das steht ihm frei.

Sie hatten keinerlei Kontakte?

Viele sehen in mir den bösen Wolf oder den Problembären. Im Zusammenhang mit dieser Plakataktion kann ich aber beruhigen: ich bin nicht allmächtig. Dieses so genannte selbsternannte Institut hat sich in Deutschland große Meriten erworben. Es ist die größte Umweltorganisation Deutschlands, der niemand souffliert, was sie tun soll. Ich habe zwar die Kontakte hergestellt, aber was die dann daraus machen, kann ich nicht beeinflussen und das ist gut so.

Aber die Bezeichnung „Pestizidtirol“ geht auf Ihre Kappe?

„Pestizidtirol“ war ein Witz meinerseits auf Facebook vor zwei Jahren. Damals hat die Südtirol-Werbung sämtliche Verträge mit mir gekündigt.

Es gibt nicht wenige Leute, die sagen: der Schiebel spielt sich hier als Experte auf, hinterlässt verbrannte Erde und zieht dann weiter. Was sagen Sie dazu?

Das sehe ich nicht so. Schauen Sie sich den Glykolwein-Skandal in Österreich an, in dessen Folge kluge Köpfe einen neuen Weg eingeschlagen haben. Sie sind weg von dieser Monokultur und haben langfristig sogar einen wirtschaftlichen Vorteil daraus gezogen. Ich bin nicht der Allwissende, ich stilisiere mich nicht als solcher hoch und ich mache in meinem Buch allen klar, dass ich kein Experte bin. Außerdem stört mich dieses Prädikat Südtiroler/Nicht-Südtiroler: Ich lebe seit 5 Jahren hier in Südtirol, ich denke, dass ich mir dadurch das Rederecht in diesem Land erworben habe. Ich kann ebenso gut über die Kinderarbeit in Bangladesh schreiben oder filmen wie über den Apfelanbau vor meiner Haustür.

In den sozialen Medien wird Ihnen auch häufig persönliche Profilierungssucht vorgeworfen. Eine böse Unterstellung?

Wer tatsächlich glaubt, dass man im Dokumentarfilm-Geschäft oder mit der Veröffentlichung von Büchern Geld verdienen kann, der hat keine Ahnung. Man müsste da schon einen Bestseller schreiben, aber dafür gibt es in Südtirol nicht den Markt.

Aber in Deutschland schon.

Ja, dort schon. Aber ob ich hier in Südtirol provoziere oder nicht, das bringt mir gar nichts. Es gibt bessere Formen um sich zu profilieren, als sich in diesem Land alleine auf die Bühne zu stellen und sich beschimpfen zu lassen. Darauf kann ich gerne verzichten.

Für einen Teil der Südtiroler Öffentlichkeit stehen Sie nach der Umweltinstitut-Geschichte als der Buhmann da. Wie erleben Sie das im Alltag?

Persönlich erlebe ich das so, dass Aggressivität immer nur eine medial vermittelte ist. Im persönlichen Gespräch spüren diese „Gegner“ dann sofort, dass dieses Feindbild, das sie konstruiert haben, nicht stimmig ist.

Sie leben seit eineinhalb Jahren mit Ihrer Familie in Mals. Werden Sie Südtirol verlassen, wenn Buch und Film veröffentlicht sind?

Ich bin nicht aus Jux und Tollerei hierhergekommen. Ich möchte in Ruhe hier leben und meine vier Kinder nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen.

Wie reagiert Mals auf Ihre publizistische Tätigkeit?

Die Aktien bewegen sich auf und ab. Als ich ankam, stand ich hoch im Kurs und war sehr respektiert. Aber am Ende geht es nicht um den Applaus, sondern darum sich treu zu bleiben.

Sie fühlen sich im Regen stehen gelassen?

Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen von Leuten, die mir geholfen haben, die Geldmittel für meinen Film zu sammeln und die das Pestizid-Problem verstehen, sich in der Öffentlichkeit jedoch von mir abwenden. Darunter sind recht prominente Namen, und ich hoffe, dass diese betreffenden Personen dieses Interview jetzt lesen. Ja, manchmal fühle ich mich schon allein gelassen, aber das ist eine Erfahrung, mit der ich gut umgehen kann.

Ihr Buch erscheint im Oekom-Verlag. Stimmt es, dass es bereits Hunderte von Bestellungen gibt?

Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass die Medien sehr interessiert sind und dass große deutsche Zeitschriften wie FAZ oder Spiegel Rezensionsexemplare angefordert haben.

 

Interview: Karin Gamper

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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