Wellis allein zu Haus
Zwei Wellensittiche, die in einem kleinen Käfig auf dem Balkon eines Kondominiums hocken – die Besitzer im Urlaub, um die Vögel kümmert sich niemand. Weil die Behörden nicht einschreiten wollten, wurde das Artenschutzzentrum St. Georgen selbst aktiv, um die Tiere vor dem sicheren Tod zu retten.
von Silke Hinterwaldner
Tierdrama im Pustertal: Ein aufmerksamer Beobachter hatte vor einer Woche zwei Wellensittiche in einem klitzekleinen Käfig, abgestellt auf dem Balkon eines Kondominiums entdeckt, um die sich offensichtlich niemand kümmerte. Die Besitzer von Wohnung und Vögeln zeigten sich nie.
Ein klarer Fall für Petra Steiner und das Artenschutzzentrum in St. Georgen. Nachdem der besorgte Beobachter sich am Mittwoch gemeldet und geschildert hatte, was vor sich geht, setzte sich Petra Steiner mit dem zuständigen Amtstierarzt in Verbindung. Dieser rückte auch gleich an und sondierte die Lage. Der Kondominiumsverwalter wurde kontaktiert, um sich zusammen mit dem Tierarzt Zutritt zur Wohnung verschaffen zu können – aber dieser weigerte sich, die Türe in Abwesenheit der Bewohner zu öffnen. Der Tierarzt setzte sich schließlich mit den Carabinieri in Verbindung, um die rechtlichen Möglichkeiten abzuwägen: Darf man in eine private Wohnung eindringen, wenn das Leben von Tieren offensichtlich bedroht ist? Die Carabinieri gaben auf diese Frage eine klare Antwort: Lieber nicht. Schließlich handle es sich bei den Tieren „nur“ um zwei Wellensittiche. Bei größeren Tieren könne man von Amts wegen einschreiten, aber bei zwei Vögeln nicht.
Damit nicht genug: Um abklären zu können, ob sich tatsächlich niemand um die Wellensittiche kümmert und wo die Verantwortlichen sich gerade aufhalten, stellte der Tierarzt einen telefonischen Kontakt zu den Besitzern her. Die ernüchternde, knappe Antwort am Telefon: Man befinde sich gerade im Urlaub, könne noch nicht genau sagen, für welchen Tag die Rückkehr geplant ist – aber man habe den Vögeln genügend Wasser und Futter in den Käfig getan.
Dass dies eine fatale Fehleinschätzung war, zeigte sich allerspätestens beim Besuch eines Teams des Artenschutzzentrums. Weil von behördlicher Seite keine Hilfe zu erwarten war, hatten Freiwillige kurzerhand eine Leiter aufgestellt, um sich so Zutritt zum Balkon auf etwa fünf Metern Höhe zu verschaffen. „Wir können doch nicht zuschauen, wie diese Tiere armselig verrecken“, sagt Petra Steiner. Sie weiß zwar, dass man sich durch eine solche Aktion strafbar machen kann, aber das hält sie nicht davon ab, etwas zu unternehmen. „Im Zweifelsfall“, sagt sie beherzt, „geht das Leben der Tiere vor. Das sollte jedem einleuchten.“
Was man am Freitag, zwei Tage nach der ersten Meldung, auf dem Balkon entdeckte, war in der Tat mehr als beunruhigend. Die beiden Wellensittiche hatten das Futter beinahe zur Gänze vertilgt und das Wasser im Trinkgefäß war grünlich, schleimig und stank fürchterlich. Kein Vogel würde so etwas trinken können. Die freiwilligen Tierretter versorgten die beiden Wellensittliche mit frischem Wasser und mit neuem Futter – und sie gaben die Hoffnung nicht auf, dass die Besitzer bald zurückkehren würden. Aber weit gefehlt. Nachdem am Montag immer noch niemand sich um die Wellensittiche kümmerte, zog das Team des Artenschutzzentrums noch einmal mit der Leiter los, um die beiden kleinen Vögel im kleinen Käfig auf dem Balkon mit frischem Wasser und Futter zu versorgen.
„Streng genommen“, sagt Petra Steiner Kopf schüttelnd, „müssten die Vögel zwei Mal am Tag mit frischem Wasser versorgt werden. Diese beiden wären auf jeden Fall jämmerlich verendet, wenn wir nicht eingeschritten wären.“ Jetzt hofft sie weiter, dass die Besitzer der Vögel schnell zurückkommen, um sich um ihre Tiere zu kümmern. Sie ist aber nicht nur von den Besitzern enttäuscht – auch die Tatenlosigkeit der Behörden erschreckt sie.
Im Artenschutzzentrum muss sie immer wieder die Erfahrung machen, dass sich gerade um Vögel in der Obhut von Menschen oft niemand richtig kümmert. Aber ein so dramatischer Fall von Vernachlässigung ist ihr noch nicht untergekommen. „Dabei“, sagt Steiner, „wissen wir freilich nicht wirklich, was sich andernorts innerhalb der Wohnungen abspielt.“
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