„ … wie mit dem Sex“
Der Partschinser Biobauer Sigmund Kripp fordert die Wein- und Obstwirtschaft auf, den Konsumenten endlich reinen Wein einzuschenken. Und LR Arnold Schuler solle ein Signal setzen – und auch auf Bio umstellen.
TAGESZEITUNG Online: Herr Kripp, was sagen Sie zur Pestizid-Provokation der Münchner Umweltaktivisten?
Sigmund Kripp: Es ist grundsätzlich wichtig, Dinge kritisch zu hinterfragen, erst recht wenn es um unsere Lebensmittel geht. Das Umweltinstitut München ist letztlich eine Verbraucherschutzorganisation. Der Konsument hat ein Recht zu wissen, welches Produkt er kauft.
Viele SüdtirolerInnen empfinden das Plakat als Frechheit. Das Bild, das einen Biobetrieb zeigt, war gestohlen. Auf dem Foto ist ein Weinberg und keine Obstanlage zu sehen. Kann man vor diesem Hintergrund von einer seriösen Aktion sprechen?
Das Wichtige ist die Provokation! Über die Details würde ich nicht diskutieren, es ist sekundär, ob auf dem Bild ein Biobetrieb zu sehen ist. Auch Biobetriebe bringen Pestizide aus.
Sie haben in einem Beitrag im Netz gefordert, man solle den Konsumenten in Sachen Pestizide reinen Wein einschenken, die Wahrheit sagen. Wie lautet denn Ihre Wahrheit?
Die Wahrheit ist das, was man tut. Man kann nicht immer nur mit Strahlebildern kommunizieren und die Sprüher einfach weglassen. Wir sind jetzt so weit, dass Kunden sagen, sie wollen keine Äpfel mehr aus Südtirol …
So schlimm ist es bereits?
Wir haben sieben Millionen Gäste pro Jahr, die schauen sich an, was vor ihrem Hotel passiert. Wenn ich eine Weinprobe mache, dann werde ich vom Kunden gefragt: Was spritzen Sie? In Südtirol wird darüber nicht geredet. Es ist ähnlich wie mit dem Sex und der Katholischen Kirche: Alle machen es, niemand redet darüber.
Die Touristen werden in Sachen Pestizide immer sensibler?
Die Gäste stehen auf dem Balkon ihres Hotels und sehen fünf Sprüher in den Obstwiesen herumfahren. Natürlich stellen sie Fragen. Und diese Fragen müssen beantwortet werden.
Welche ist die Pestizid-Wahrheit?
Diese Wahrheit steht im Spritzbuch. Wer sich an die Agrios-Regeln hält, ist in Ordnung. Aber nicht alles, was gesetzlich möglich ist, tut uns gut. Die Produzenten verstecken hinter dem gesetzlich Möglichen, hinter der Legitimität. Wir Südtiroler Obst- und Weinbauern sind top nach rein produktionswirtschaftlichen Kriterien, aber wir produzieren chemisch-synthetisch …
Das machen andere auch …
Das stimmt, aber die stehen ja auch in der Kritik, etwa die Anbauer am Bodensee. Wir arbeiten chemisch-synthetisch seit dem Zweiten Weltkrieg. Die große Frage ist, warum die Landesregierung nicht früher Bio als positiv angesehen hat.
Bio ist in Südtirol immer mehr im Kommen …
Wir sind erst bei ca. 6 oder 7 Prozent. In Österreich beträgt der Wert ca. 18 Prozent. Wir sind in Sachen Bio also auf einem verhältnismäßig niedrigem Niveau. Es ist leider so, dass Südtirol unter der Ära Durnwalder den Anschluss an Bio verloren hat. Es war eine Bauerngilde an der Macht, die gesagt hat: Die Grünen sind die Roten, die Kommunisten, das sind Spinner! Das war eine politische Haltung.
Bio war verpönt?
Bio wurde nicht ernstgenommen von den allerhöchsten Stellen. Für Bio wurde nichts getan.
Warum?
Weil wir konservative und katholische Bauern und Bauernpolitiker hatten und haben. Für Katholiken sind Kommunisten und Grüne Sünder.
Sie haben Ihren Betrieb 1998 auf Bio umgestellt …
Ja, und wissen Sie, was passiert ist? Als erstes habe ich vom Obmann der Partschinser Genossenschaft einen Anschiss bekommen. Er fragte, ob ich meine, dass meine Äpfel besser sind. Er fand es gar nicht toll, dass ein größerer Betrieb auf Bio umstellt. Das war die Haltung damals.
Die Umstellung wurde als Verrat empfunden?
Als etwas Ungeheuerliches! Ich habe damals dem Bauernbund geschrieben und gefragt, ob man das Thema Bio nicht in der Bauernbund-Zeitung positiver darstellen und vertiefen könnte. Die Antwort war mehr oder minder: Was sollen wir dann den Konventionellen sagen? Sollen wir ihnen sagen, dass die Bio-Bauern alles falsch machen? Anstatt die Bauern mit Förderungen dazu zu animieren, auf Bio umzustellen, machte man Bio lächerlich.
Dennoch konnte Bio in Südtirol Fuß fassen, und es werden auch hohe Preise erzielt. Hat Bio den Durchbruch geschafft?
Ich würde sagen, dass die Politik und der Bauernbund eine gezwungen positive Haltung gegenüber Bio einnehmen. Einerseits kann man heutzutage nicht mehr öffentlich gegen Bio argumentieren. Wir sind die größten Bio-Apfel-Produzenten Europas. Aber die, die Bio machen, waren bis jetzt die Deppen. Jetzt schmückt man sich mit uns Deppen.
Die neue Landesregierung hat mehr Verständnis für die Anliegen der Biobauern?
Die Haltung ist nicht viel anders als früher. Landesrat Arnold Schuler wäre persönlich dem Thema Bio nicht abgeneigt. Er könnte ja seinen eigenen Betrieb auf Bio umstellen. Das wäre ein Signal!
In Südtirol haben insbesondere die großen Betriebe auf Bio umgestellt …
Ja, aus Imagegründen. Nach uns haben Betriebe wie Lageder und Manincor umgestellt, auch aus einer ethischen Konsequenz heraus.
Warum stellen so wenige Kleinbetriebe auf Bio um?
Das Problem ist folgendes: Der Apfelbauer erfüllt ganz brav seine Agrios-Normen. Sein Kunde ist die Genossenschaft, die ihm das ganze Jahr über im Nacken sitzt und aufpasst, dass er alles richtig macht. Der Bauer ist eh schon dauernd gequält durch Kontrollen, Auflagen, Untersuchungen. Auch seiner Sicht her hat er alles richtig gemacht, wenn er die Äpfel abgeliefert hat. Aber …
Aber?
Der wirkliche Kunde ist nicht die Genossenschaft, sondern der Konsument in Köln oder Hamburg. Diesen Konsumenten bekommt der Bauer nie zu Gesicht. Wenn nun dieser Konsument in Gestalt des Umweltinstituts München sagt: Lieber Bauer, das machst du falsch, dann explodiert der Bauer. Bis vor kurzem hat es den Effekt einer so großräumigen Rückwirkung – wie im Fall des Plakats am Karlsplatz – nicht gegeben. Entsprechend brachial sind die Reaktionen der Bauern, die sagen, die bösen Piefke sollten sich doch gefälligst um ihren Dreck kümmern.
Sie können die Reaktionen verstehen?
Jetzt wachen die Leute auf. Wir selbstvermarktende Weinbauern schauen dem Kunden täglich in die Augen, wir haben viel früher gespürt, dass die Konsumenten Fragen haben und Fragen stellen. Wir haben täglich Rückmeldungen am Verkaufsbudel.
Was wird die Pestizid-Provokation bewirken?
Letztlich ist die Provokation positiv. Auf Verwaltungs- und politischer Ebene kann hoffentlich ein Richtungswechsel beginnen.
Sie träumen von einem Bioland Südtirol?
Mir würde schon genügen, wenn man Bio fördern und die Förderungen im konventionellen Anbau zurückfahren könnte. Wer Bio macht, sollte mehr kriegen als der, der konventionell anbaut. Das wäre gesetzlich ganz leicht zu bewerkstelligen.
Wie erklären Sie einem Laien den Unterschied zwischen konventionellem Anbau und Bio?
Eine ganz schnelle Erklärung? Es ist wie mit den alten Hausmitteln und Antibiotika. Wenn ich Halsweh habe, kann ich das ganze Leben lang Antibiotika schlucken, bis ich eine Resistenzbombe werde. Oder ich kann die Halsschmerzen mit Salbeitee bekämpfen, was im weitesten Sinne auch eine Medizin ist.
Sie spritzen Salbeitee?
Wir spritzen auch Pestizide, aber natürliche, nicht kanzerogene Mittel. In der Toxizität sind diese Mittel um ein x-faches besser. Ich lagere in meinem Betrieb kein Gift. Unser Hauptmittel ist der Schwefel, der in der Natur vorkommt. Schwefel ist auch in Eiern enthalten, das merken wir am Geruch, der hinten rauskommt (lacht).
Welche Qualitätsunterschiede gibt es bei Bio und im konventionellen Anbau?
Das mit der Qualität ist auch so eine Sache. Viele glauben, man könnte einfach aufhören zu spritzen. Das ist leider nicht möglich, weil wir Schädlinge haben, die nicht aus Europa kommen, sondern die wir mit der Handelsschifffahrt nach Europa importiert haben. Mehltau, Apfelschorf, Feuerbrand, Peronospora … Gegen Peronospora hat man 1856 zu spritzen begonnen. Einen Vorwurf muss man an die Laimburg machen: Warum haben wir in Südtirol nicht früher mit Resistenzzüchtungen begonnen?
Warum nicht?
Südtirol hat in diese Richtung nichts getan, weil die Politik das nicht wollte.
Sind Bioprodukte besser als Produkte aus dem konventionellen Anbau?
Im Sinne von Freiheit von Schadstoffen ja. Geschmacklich will ich das nicht unbedingt sagen. Da mögen die chemisch-synthetischen durchaus gleich gut sein. Den makellosen Apfel ohne Spritzen gibt es nicht.
Interview: Artur Oberhofer
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Kommentare (18)
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erich
Typisch deutsche Mentalität, nun helfen Bio Bauern wie Kripp mit, eine Lavine loszutreten. Wenn er glaubt, dass diese einmal in Fahrt vor den Bio Bauern halt macht, dann soll Herr Kripp weiterträumen.
andreas
Es sollte jedem Bauer frei stehen seinen Betrieb so zu führen, wie er es für richtig hält. Diese Hysterie, dass jeder der 3 Tage im Vinschgau verbringt tot umfällt, ist unangebracht.
Wenn sogar Kripp zugibt, dass chemisch kein Unterschied zwischen konventionellen und Bioäpfel besteht, kann man dies als Täuschung des Konsumenten werten, außer man meint, dass man beim Erwerb eines Kilos Bioäpfel ein Lebensgefühl mitkauft, soll es ja auch geben.
sigmundkripp
@andreas: Sie haben den Satz nicht richtig gelesen:Im Sinne der Schadstofffreiheit besteht sehr wohl ein Unterschied. Nur der Geschmack ist durchaus ähnlich. Aber wenn zwei Äpfel gleich gut schmecken: warum soll ich dann jenen nehmen, der chemisch behandelt wurde?
andreas
Weil er billiger ist.
Chemisch kann man meines Wissens z.B. bei Salat keinen Unterschied nachweisen.
sigmundkripp
in jedem konventionell erzeugten Lebensmittel sind Reste von chemisch-synthetischen Spritzmitteln enthalten, die grundsätzlich nicht zum menschlichen Verzehr geeignet sind.
sigmundkripp
Sie würden also aus Kostengründen bewusst das ernährungstechnisch schlechtere Produkt kaufen?
andreas
Aber natürlich, wobei „ernährungstechnisch schlechter“ wohl teilweise mehr ideologisch als wissenschaftlich nachweisbar ist.
Wenn die Mehrheit nicht so wäre, wären die Bioabteilungen grundsätzlich ausverkauft und die Produkte, welche konventionell hergestellt wurden, würden in den Regalen vergammeln.
Sorry, wenn sie auf diese Fangfrage eine andere Antwort erwartet haben. 🙂