Flucht der klugen Köpfe
Seit Jahren steigt die Abwanderung von qualifizierten Akademikern in Italien an. Wohin die schlauen Köpfe gehen und wie es in Südtirol aussieht.
von Julian Righetti
Der italienische Staat erlebt in den letzten Jahren eine regelrechte Flucht der Akademiker – das beweisen die letzten ISTAT-Statistiken. Von den insgesamt 147.000 ausgewanderten Italienern im Jahr 2015 sind rund 73.000 über 24 Jahre alt. Davon besitzen fast 23.000 Personen – also 31 Prozent – einen Universitätsabschluss. Im Vergleich zum Vorjahr sind rund 7.000 Akademiker, also knapp 13 Prozent, mehr ausgewandert. Einen Anstieg dieser Zahlen beobachtet das italienische Statistikinstitut ISTAT bereits seit 2007.
Aber wohin verschlägt es die klugen Köpfe? Die Daten der ISTAT aus dem Jahr 2015 zeigen, dass das Vereinigte Königreich mit fast 4.000 italienischen Akademikern das beliebteste Auswanderungsland ist. Es folgen Deutschland mit über 3.000, die Schweiz mit mehr als 2.500, Frankreich mit gut 2.000 und schließlich die USA mit rund 1.300 Universitätsabsolventen aus Italien.
Im Verhältnis dazu wandern nur ungefähr 7.500 ausländische Akademiker in Italien ein. Die Differenz aus Zu- und Abwanderung von klugen Köpfen zeigt also deutlich, dass mehr Akademiker verloren gehen, als dazukommen.
Nicht nur die ISTAT-Daten halten diese „Flucht der Akademiker“ fest. Auch die Studie „Graduate Migration Out of Italy: Predictors and Pay-Offs“ des Sozialwissenschaftlers Ettore Recchi in Zusammenarbeit mit Carlo Barone und Giulia Assirelli zeigt, dass sich die Anzahl an auswandernden Akademikern in den Jahren von 2007 bis 2011 verdoppelt hat.
In Südtirol sieht die Situation, allein was die Zu- und Abwanderung angeht, positiv aus: Laut dem Landesstatistikinstitut ASTAT gibt es seit Anfang der 90er-Jahre einen positiven Wanderungssaldo. Aus den letzten verfügbaren Daten von 2016 geht hervor, dass rund 17.000 Personen in Südtiroler Gemeinden eingetragen und fast 15.000 Menschen meldeamtlich gestrichen wurden. Ins Ausland ausgewandert sind 2016 insgesamt 1.790 Südtiroler. Italienweit gesehen, liegt Südtirols Auswanderungsquote 2015 im höchsten Feld von 1,89 bis 3,42 Auswanderer pro 1.000 Einwohner.
Wie viele Studierende im Ausland sind und wie viele Akademiker ins Ausland ziehen oder dort bleiben, ist momentan in Südtirol zahlenmäßig unbekannt. Das betont auch die Südtiroler Hochschülerschaft SH-ASUS auf Nachfrage der Tageszeitung: „Wir fordern das Land schon seit einiger Zeit dazu auf, statistisch festzuhalten, wie viele Studierende im Ausland sind und wie viele letztendlich dort bleiben. Es bräuchte dazu eine statistische Erhebung. Leider haben wir aktuell keine spezifischen Daten dazu.“ Auf Nachfrage hatte auch das Landesstatistikinstitut ASTAT keine aktuellen statistischen Daten oder Studien zur Abwanderung von Akademikern auf Lager.
Die letzte Studie zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 2008 und entstand durch die Zusammenarbeit des Arbeitsförderungsinstituts (AFI) und des Landesstatistikinstituts ASTAT: Jungakademiker wurden gefragt, wo sie sich in ein bis zwei Jahren, in drei bis fünf Jahren und in sechs oder mehr Jahren sehen. Das Ergebnis war, dass sich 33 Prozent der Befragten in naher Zukunft außerhalb Südtirols sahen, in drei bis fünf Jahren waren es 30 Prozent und in sechs Jahren immerhin noch 13 Prozent. Je weiter sie in die Zukunft schauten, desto unentschlossener waren die Jungakademiker und desto wahrscheinlicher wurde ihre mögliche Rückkehr nach Südtirol.
Des Weiteren geht aus einer Umfrage des AFI, die im letzten Jahr durchgeführt wurde, hervor, wohin die Studenten der Universität Bozen nach ihrem Studium möchten. Dabei wurden die Studierenden im Uni-Praktikum befragt: Von ihnen wollen rund 59,2 Prozent in Italien nach einer Anstellung suchen, 31,4 Prozent wollen ins Ausland – besonders in den deutschsprachigen Raum – und 9,4 Prozent sind bereits berufstätig. Diese Umfrage des AFI lässt also eine ähnliche Schlussfolgerung zu, wie die Daten des ISTAT auf nationaler Ebene: Rund 30 Prozent der Akademiker verlassen unser Land.
Für AFI-Direktor Stefan Perini ist es durchaus positiv, dass Jungakademiker für ein paar Jahre ins Ausland gehen: „Sie sammeln Erfahrungen und bringen neues Know-How zurück nach Südtirol. Problematisch ist es jedoch, wenn diese Akademiker nicht mehr zurückkehren, denn das wäre Zeugnis eines unattraktiven lokalen Arbeitsmarktes“, erklärt Stefan Perini. „Der Staat investiert viele Ressourcen in die Ausbildung der jungen Leute. Es ist ein Verlust von Humankapital, wenn diese in großen Massen, vielleicht aufgrund von weniger Arbeitsmöglichkeiten und schlechterer Bezahlung, abwandern. Man muss allerdings das Wanderungssaldo betrachten, um zu überprüfen, ob auch qualifiziertes Personal zuwandert“, betont der AFI-Direktor.
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Kommentare (11)
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morgenstern
Die klugen Köpfe wandern aus und die Deppen müssen wir dann durchfüttern und genau deshalb ist Italien EU Schlusslicht bei Innovation, Produktivität und Wirtschaftswachstum.
tirol
da muss ich dir teilweise recht geben, habe jahrelang in Entwicklungszentren und Forschungszentren in D und AU gearbeitet…..dann kam die Entscheidung wieder in die alte Heimat zu ziehen.
Bei der Jobvergabe wird wenig objektiv auf die Leistungen wert gelegt, teilweise sind die Führungskräfte heillos überfordert….und die Bedingungen (Gehalt, Boni, Kinderbetreuung usw.) ist hier auch miserabel……