„Endlich ein Tatbestand“
Der ehemalige Südtirol-Aktivist Josef Fontana hat miterlebt, wie Mithäftlinge gefoltert wurden. Für ihn ist die Einführung des Strafbestandes der Folter ein Fortschritt.
TAGESZEITUNG Online: Herr Fontana, als damaliger Südtirol-Aktivist wurden Sie zusammen mit mehreren Kameraden verhaftet. Etliche von ihnen wurden gefoltert, Sie selbst nicht. Wie haben Sie die Geschehnisse bei den Verhören in den Kasernen und im Gefängnis erlebt?
Josef Fontana: Nun, ich wurde im Mai 1961 verhaftet, Anfang Juli hatten die Carabinieri dann eine Spur zum Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) gefunden und das Foltern begann. Ich selbst wurde zum Glück nicht gefoltert, doch meine Kameraden schilderten mir beim Zusammenkommen im Kasernenhof, wie sie behandelt wurden: Sie mussten stundenlang die Arme nach oben halten, wer nachließ, bekam Schläge mit dem Gewehrkolben auf die Zehen – Ohrfeigen und Fausthiebe gab es nacheinander. Ganz schlimm war die sogenannte Cassetta-Methode, die die Carabinieri von den Mafiaverhören übernommen hatten: Dabei hat man den Opfern Säure in den Rachen geschüttet und in die Magengrube geschlagen, sodass sie dem Ersticken nahe waren. Nebenbei lag man auf einem Tisch in einer Art Trog, so lang wie der Rumpf eines Menschen, sodass die Arme und Beine runtergebogen werden konnten. Ein oder zwei Stunden hielt ein mancher das vielleicht aus, aber danach brach der Widerstandswille. Noch dazu kamen die ganzen schlaflosen Nächte – Nerven aufreibend und ermüdend. Die Häftlinge sollten gebrochen werden. Ereignet hat sich dieses Foltern in den Carabinieri-Kasernen in Bozen, Brixen, Meran, Eppan und Neumarkt. In beiden Letzteren wurde am meisten und am brutalsten gefoltert.
Nach ihrer Haft haben die gefolterten Häftlinge Anzeige erstattet. Wie lief der dazugehörige Prozess gegen die Carabinieri in Trient ab?
Es war ein schwieriger Weg bis zum Prozess. Einige Häftlinge haben auf Anraten der Rechtsanwälte Anzeige erstattet. Doch es sah danach aus, als wäre das völlig umsonst, denn die italienische Presse stellte die Behauptungen als Lügen dar und die Gerichtsbehörde unternahm überhaupt nichts – mit einer Ausnahme: Ein Bezirksrichter in Neumarkt sah bei der Vernehmung der Verhafteten, wie diese zugerichtet waren. Als er erfuhr, was den Angeklagten widerfahren war, erklärte er ihnen, dass sie gegen die Carabinieri Anzeige erstatten konnten, dabei aber mit einer Gegenanzeige der Beamten rechnen müssten. Zusätzlich ließ er diese Häftlinge von zwei Medizinern untersuchen, die ärztliche Zeugnisse ausstellten, in denen die Spuren der Folter festgehalten wurden. Allerdings kam es erst eine Woche nach der Folter zu den ärztlichen Untersuchungen. Trotzdem waren diese Dokumente beim Prozess in Trient von großem Nutzen.
Wie kam es dann zum Prozess?
Zu diesem Carabinieri-Prozess kam es aus zwei ausschlaggebenden Gründen. Erstens, der Tod Franz Höflers: Im November 1961 starb der damals 28-jährige Häftling Franz Höfler an einer Embolie. Wahrscheinlich kam es dazu, weil einer seiner Zehennägel durch die Stöße der Gewehrkolben in Meran eingewachsen war – er hat es mir selbst noch im Kasernenhof gezeigt. Die italienischen Medien schafften es aber wieder, das als Lüge darzustellen. Obwohl es gerichtlich aufgearbeitet werden sollte, unternahm die Gerichtsbehörde gar nichts. Zweiter Grund, der Tod Anton Gostners: Am 7. Januar 1962 verstarb plötzlich Anton Gostner – eigentlich eine reine Randfigur –, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde und in die Kaserne nach Eppan kam. Dort wurde er entsetzlich gefoltert. Seinem Anwalt schickte er einen Brief über seinen Aufenthalt, der anschließend vor Gericht verwendet wurde. Diese zwei Todesopfer zusammen mit Gostners Brief sorgten im ganzen süddeutschen Raum für Empörung. Dadurch wurde der Druck auf die italienische Gerichtsbehörde immer größer, sodass ein Untersuchungsverfahren veranlasst wurde. So kam es schließlich 1963 zum Carabinieri-Prozess in Trient. Obwohl dort die Verteidiger der Polizisten und die Staatsanwaltschaft alles bagatellisierten, gab es zwei Anhaltspunkte, die zur Verurteilung zweier Beamter führten: Die ärztlichen Zeugnisse und die Aussage des Häftlings Franz Egger während der Gerichtsverhandlung. Besagter Häftling erklärte, dass er beobachtet hatte, wie ein anderer Häftling in Neumarkt von den Carabinieri gefoltert worden war. Daraufhin wurde ein Lokalaugenschein durchgeführt, der Eggers Aussage bestätigte. Letztendlich wurden dann Oberleutnant Rotellini und Brigadier D’Andrea wegen Körperverletzung verurteilt, aber gleichzeitig auch wieder amnestiert. Besonders empörend war, dass alle angeklagten Carabinieri befördert und ausgezeichnet wurden.
Letztlich haben die Anzeigen nichts gebracht?
Doch – wenn auch nur symbolisch. Denn immerhin wurde gerichtlich anerkannt, dass zwei Beamte tatsächlich gefoltert haben. Außerdem sorgte das Verfahren für internationale Aufmerksamkeit, die die italienischen Behörden schlecht dastehen ließ.
Was halten sie vom neuen Gesetz, das Folter in Italien unter Strafe stellt? Lassen sich damit Folterungen tatsächlich verhindern?
Naja, ganz sicher kann man sich nie sein. Aber die Beamten werden sicherlich vorsichtiger im Umgang mit Verdächtigen sein. Beim damaligen Carabinieri-Prozess sprach man nur von Körperverletzung, was ein relativ vager Begriff ist. Immerhin ist Folter jetzt endlich als ein Tatbestand vorhanden.
Interview: Julian Righetti
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