Warum man impfen soll
Nach den Diskussionen um das neue Impfdekret ist auch in Südtirol ein Glaubenskrieg entbrannt. Die Tageszeitung hat den Münchner Uni-Professor und Tropenmediziner Thomas Löscher gefragt, wie Eltern ihre Kinder am besten schützen können.
TAGESZEITUNG Online: Herr Professor, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der strengen Impflicht in Italien gehört haben?
Thomas Löscher: Als jemand, der seit 40 Jahren Impfungen und Impfstoffprüfungen durchführt, bin ich natürlich dafür, dass sinnvolle Impfungen möglichst breit durchgeführt werden. Andererseits sehe ich Pflicht- oder Zwangsimpfungen auch problematisch.
Aus welchem Grund?
Ich finde Impfungen sollten im Idealfall freiwillig erfolgen. Mit einem Zwang provoziert man bei Gegnern oder Skeptikern, dass ihre negative Haltung meist noch verstärkt wird. Man erreicht häufig das Gegenteil, weil diese Gegner ihrer Linie noch weiter verhärten. Man geht damit zudem das Risiko ein, dass diese Impfpflicht von den Gegnern unterwandert wird und genau das könnte jetzt auch in Italien passieren.
Dass die Gegner mobil machen und sich trotz Impfpflicht nicht impfen lassen wollen?
Das italienische Impfdekret sieht in einem Passus vor, dass wenn ein Kinderarzt oder ein Allgemeinarzt bestätigen, dass gewisse Impfungen für das Kind gesundheitsgefährdend sind, diese dann nicht gemacht werden müssen. Es gibt natürlich auch bei den Ärzten impfkritische Personen, Gegner oder Ärzte, die zum Teil im Waldorf- oder Montessori-Umfeld anzusiedeln sind und die derartige Atteste ausstellen würden und werden – auch wenn sie im Einzelfall vielleicht nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Impfgegner werden in Italien alles dafür tun, um so ein Attest zu bekommen, welches zeigt, dass bei ihrem Kind diese Impfungen nicht gemacht werden können. Damit ist die Wirksamkeit einer Zwangsimpfung letztendlich auch wieder abgeschwächt. Das gab es beispielweise in Deutschland und anderen Ländern schon mal so ähnlich während der Pocken-Impfpflicht.
Kernargument der Impfpflicht sind die niedrigen Durchimpfungsraten. Wie wichtig sind hohe Durchimpfungsraten und wie kann man diese erreichen, wenn nicht über eine Pflicht? Auf freiwilliger Basis scheint es ja nicht zu funktionieren.
Mir ist nicht ganz klar, warum in Italien die Impfraten teilweise so schlecht sind. Ich weiß, dass es einige wissenschaftskritische und impfgegnerische Bewegungen vor allem in Norditalien gibt, aber ich verstehe nicht, warum z.B. in Süditalien die Impfraten etwa bei Masern so niedrig sind obwohl es dort schon vor Jahren zu großen Masernausbrüchen gekommen ist und der Anteil der Impfgegner eher klein ist. Man hat damals festgestellt, dass die Durchimpfungsraten einfach schlecht sind – bei den Masern beispielsweise teilweise nur 60 Prozent. Da muss man sich dann nicht wundern, wenn eine Krankheit ausbricht.
Viele Menschen kritisieren nicht die Impfpflicht an sich, sondern das Paket mit zwölf Pflichtimpfungen. Was sagen Sie als Experte zu diesen Impfungen?
Ich habe mir das Paket angeschaut und man muss sagen, dass Impfungen dabei sind, die nicht ganz unumstritten sind. Einerseits die Impfung gegen Windpocken und andererseits die Meningokokken B-Impfung, die in Deutschland derzeit noch nicht offiziell empfohlen wird, weil die Datenlage noch nicht so umfassend ist. Es gibt bisher keine Placebo-kontrollierten Studien, die zeigen, wie gut der Schutz wirklich ist. Ich persönlich wäre aber schon dafür, Kinder gegen B-Meningokokken zu impfen, da der Wirkstoff gut verträglich ist und es sich um eine sehr schwere Erkrankung handelt, die zumindest teilweise durch die Impfung verhindert wird.
Bei welchen dieser zwölf Pflichtimpfungen würden Sie sagen, dass es mittlerweile überhaupt keine Diskussion mehr geben dürfte?
Die Impfung gegen Kinderlähmung dürfe eigentlich nicht mehr zur Debatte stehen. Auch wenn es in Europa seit längerem keine Polio mehr gibt, müssen wir alle geimpft sein, vor allem jetzt, wo Flüchtlinge beispielsweise aus Gebieten zu uns kommen, wo diese Krankheit durchaus noch vorkommt. Die Impfung gegen Kinderlähmung ist einfach notwendig, um ein Wiederauftreten zu verhindern. Die Masern sollte man auch ausrotten und das kann man nur erreichen, wenn die Impfraten besonders hoch sind. Mumps und Röteln würde ich in diesem Zusammenhang auch noch unbedingt nennen. Röteln-Infektionen während einer Schwangerschaft können schwerste Folgen auf das ungeborene Kind haben. Auch gegen Hepatitis B sollten wir alle geimpft sein, damit wir diese Krankheit endlich eliminieren. Andere Impfungen wie beispielsweise Tetanus sind sicher auch ganz wichtig, dienen in erster Linie aber dem Selbstschutz. Ob andere gegen Tetanus geimpft sind, spielt eigentlich keine Rolle, da es allein um den eigenen Schutz geht – wenn man erkrankt, kann Tetanus tödlich sein, aber es betrifft nur den Einzelnen.
Und wie sieht es mit Diphterie und Keuchhusten aus?
Bei Diphterie spielt die Impfung eine entscheidende Rolle, damit sich diese Krankheit nicht wieder ausbreitet. Und auch gegen Keuchhusten ist eine hohe Impfrate wünschenswert. Man muss aber immer beachten, wie lange eine Impfung schützt und ansonsten an die Auffrischungen denken, damit der Schutz bleibt. Zwölf Pflichtimpfungen sehe ich aber schon eher kritisch, weil gegen eine so hohe Anzahl an Pflichtimpfungen natürlich noch mehr Gegenwind kommt und die Gegner dann alle zu Ärzten rennen, die ihnen bescheinigen, dass ihre Kinder gegen alle oder einen Teil dieser Impfungen nicht geimpft werden können, weil sie gefährdet sind.
Wie sehen die Impfdiskussionen in Deutschland aus?
In Deutschland wurde ebenfalls darüber gestritten, ob eine Impfpflicht eingeführt werden soll, aber man hat sich darauf geeinigt, dass die Eltern bei einem Kita-, Kindergarten- oder Schulbesuch ihrer Kinder eine Bescheinigung vorlegen müssen, dass eine Impfberatung durch den Kinderarzt durchgeführt wurde. Dies müssen sie schriftlich nachweisen, ansonsten werden sie nicht aufgenommen. Es gibt aber bei uns auch Schulen oder Kindergärten, wo die Eltern – zu Recht – sagen, dass sie nicht möchten, dass diesen Kindergarten oder diese Schule auch Kinder besuchen, die gegen die wichtigsten Krankheiten nicht geimpft wurden. Und da wird es schwierig: Hat der Kindergarten oder die Schule das Recht eine Impfung zu verlangen? In Deutschland gab es Gerichtsurteile, dass diese Entscheidung vollständig private Institute treffen können. Sobald diese aber staatliche Unterstützungen erhalten, können sie ungeimpften Kindern den Schul- oder Kindergartenbesuch nicht mehr verwehren. Das ist aber eine reine Rechtssprechungssache, die sich jederzeit ändern kann, da es hierzu keine eindeutigen gesetzlichen Grundlagen gibt.
Glauben Sie, dass eine Impfpflicht wie jene in Italien auch in Deutschland auf umsetzbar wäre?
In Deutschland wurde schon mehrmals eine Impfpflicht überlegt und sehr viele Leute, die mit Impfungen zu tun haben, verlangen Pflichtimpfungen. Im Prinzip sind alle zwölf Impfungen, die in Italien verpflichtend eingeführt wurden, sinnvolle Impfungen. Ich habe aber meine Zweifel, ob man Impfgegner mit so einer Pflicht wirklich bekehren kann. Man sollte niemanden mit Polizeigewalt zu einer Impfung zwingen – das würde den Impfgedanken beschädigen.
Was sagen Sie zu den hohen Strafen von bis zu 7.500 Euro. Sind diese auch kontraproduktiv?
Diese hohen Strafen sehe ich ebenfalls kritisch. Man sollte immer versuchen positiv zu motivieren und zu überzeugen.
Sie haben bereits angedeutet, dass Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen sind. Wie groß ist das Risiko einen Impfschaden zu erleiden, wenn man sein Kind impft im Gegensatz zum Risiko an einer dieser Krankheiten erkranken, weil man nicht impft?
In erster Linie muss man zwischen üblichen Nebenwirkungen und Impfschäden unterscheiden. Es gibt natürlich bei jeder Impfung die Möglichkeit von vorübergehenden Nebenwirkungen, wie Schmerzen, Rötung und Schwellung an der Einstichstelle. Bei diesen zwölf Impfungen ist das Risiko eines Impfschadens aber minimal – bei Masern sprechen wir beispielsweise von einem Risiko eines Impfschadens von weniger als einem Fall bei einer Million Impfungen. Impfschäden sind bei diesen Impfungen eine Rarität. Es gibt natürlich Kinder, die man nicht impfen kann, weil sie beispielsweise eine ausgeprägte, angeborene oder erworbene Abwehrschwäche haben und daher bestimmte Impfungen ein Risiko darstellen bzw. kontraindiziert sind. Aber man muss dazusagen, dass auch diese Kinder davon profitieren, wenn alle anderen Kinder geimpft sind, weil dadurch auch für sie das Risiko sinkt sich mit einer dieser Krankheiten anzustecken.
Die Impfstoffe haben sich in den letzten Jahren ja auch weiterentwickelt…
Heute verwenden wir überwiegend Kultur- und Zellkultur-Impfstoffe. Diese Methoden sind mittlerweile so gut, dass man kaum noch Antibiotika oder andere Stabilisierungsmedikamente braucht, die früher oft für Impfreaktionen verantwortlich waren. Im Vergleich zu anderen Medikamenten, die wir viel häufiger einnehmen, wie beispielsweise Aspirin, sind Impfstoffe ausgezeichnet verträglich.
Herr Professor, eine persönliche Frage: Haben Sie Ihre Kinder geimpft?
Ja. Meine Kinder waren in einer Waldorfschule, wo manche Eltern und Ärzte Impfungen und insbesondere der Masernimpfung kritisch gegenüberstehen, aber ich habe immer wieder versucht mit diesen Eltern das Gespräch zu suchen, um zu verdeutlichen, wie wichtig Impfungen sind. Meine Kinder sind eigentlich gegen alle wichtigen Krankheiten geimpft, sogar gegen Tropenkrankheiten, weil wir beruflich immer wieder mit ihnen unterwegs waren.
Was sagen Sie Impfgegnern, die als Argument Verschwörungstheorien und Geschichten anführen, dass die Pharmaindustrie und deren Geldgier hinter den Pflichtimpfungen steckt?
Man muss vielleicht einmal aufzeigen, dass die Impfstoffe nicht einmal drei Prozent der gesamten Arzneimittelkosten in den europäischen Ländern ausmachen. Mittlerweile ist es so, dass das Interesse an Impfstoffen bei den großen Arzneimittelfirmen deutlich abgenommen hat, da der Verdienst daran eher gering ist und Impfstoffe aus Kostengründen zunehmend in Indien und anderen Ländern produziert werden. Das ist also kein großes Argument wenn man Vergleicht, was Impfstoffe im Verhältnis zu anderen Medikamenten kosten.
Warum aber diese krasse, schon fast fundamentalistische Haltung der Impfgegner?
Es gibt auch Leute, die eine behandelbare Krebserkrankung haben und Globuli schlucken oder sich auf Akkupunktur verlassen, anstatt die Schulmedizin zuzulassen. Das ist jedem seine Angelegenheit. Bei Infektionen geht es aber nicht nur um den Einzelnen – auch andere Menschen sind betroffen. Die Bedeutung einer Impfung geht über den Einzelnen hinaus und damit trägt jeder der sich impfen lässt auch zur Gesamtgesundheit der Gesellschaft bei.
Ist Impfverweigerung also fahrlässig gegenüber jenen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können?
Impfverweigerung ist fahrlässig sich selbst gegenüber und natürlich auch gegenüber den anderen und der Gesellschaft. Bei Masern reicht beispielsweise ein kleiner Anteil an ungeimpften Kindern aus – fünf bis zehn Prozent – und es kann zu einem großen Ausbruch kommen.
Interview: Lisi Lang
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