Du befindest dich hier: Home » Kultur » Humorlose Feministin

Humorlose Feministin

Marlene Streeruwitz (Foto: Marija Kanizaj)

Marlene Streeruwitz ist eine streitbare Schriftstellerin. Sie war eine der prominentesten Gegnerinnen der schwarz-blauen Regierung, die Salzburger Festspiele bezeichnet sie als „faschistoides Spektakel“. Ein Gespräch über den Kanzlerkandidaten Sebastian Kurz, grauslichen Humor, Eliten-Beschimpfung, feministisches Schreiben und das Ende der Liebe.

TAGESZEITUNG Online: Frau Streeruwitz, wenn nicht alles täuscht, bekommt Österreich im Herbst einen feschen jungen Kanzler namens Sebastian Kurz. Können Sie uns diesen jungen Herren erklären?

Marlene Streeruwitz: Nein, das kann ich nicht, das kann niemand. Wir wissen nichts über ihn, er hat eine sehr glatte Außenfläche, sehr embryonale Züge, nichts Lebendiges, sondern sehr puppenhaft. Meine Theorie ist, dass er eine sehr gute Besetzung für den Leutnant Gustl von Arthur Schnitzler wäre.

Ein bisschen wie Macron?

Ja, aber Macron hat wenigstens diese Frau an seiner Seite, von Kurz wissen wir gar nichts. Das erinnert mich schon an einen Führertyp, der gar keine Sexualität hatte und mit der Macht verheiratet war. Wir wollen keinen Namen nennen, aber das ist eine Strategie von Macht. Ich glaube schon, dass es eine Erinnerung an die 30er-Jahre ist, die wir hier vor uns haben. Ich bereite gerade einen Twitterroman vor, in dem ich genau das herausarbeiten werde. Jeden Tag um 4 Uhr in der Früh twittere ich einen Satz aus dem Roman hinaus. Jeden Tag einen Satz. Vielleicht sollte ich es Kurzgeschichte nennen, weil er ja Kurz heißt. Der leidet sicher schon sein Leben lang daran, dass er so heißt.

Macron wird wegen seiner deutlich älteren Frau gehänselt. Charlie Hebdo zeigt ihn und seine hochschwangere Frau mit dem Spruch: Er wird Wunder wirken.

Das ist grauslich. Charlie Hebdo ist grauslich. Das ist kein Grund, sie in die Luft zu sprengen, aber das ist Bubi-Humor. Wir müssen schon sehen, dass die Kunst mit ihren Provokationen genau das vorbereitet hat, was jetzt in der Politik wirksam wird.

Sie meinen, die Kunst mit ihren Provokationen ist Schuld an den politischen Provokationen?

Ja. Es war ja nie verantwortungsvoll, was die Schlingensiefs und Co gemacht haben. Sie haben sich einfach wild in die Welt geworfen und das als Freiheit beschrieben. Ich glaube das nicht. Wir leben nicht in der perfekten Welt, in der wir uns alles leisten können, sondern wir leben in ziemlich beschränkten Umständen. Ich finde, dass diese Art von Humor nur der Reaktion zuspielt, die sich natürlich dann auch aufregt darüber und ich bin dann in der schwierigen Situation, die Freiheit verteidigen zu müssen und den Inhalt abzulehnen. Die Buben auf der Kunst- und Humorebene nehmen sich das Spiel heraus und die auf der Machtseite spielen das weiter.

Genau dieser Argumente wegen hält man Ihnen vor, eine humorlose Feministin zu sein.

Das bin ich sehr gerne. Wenn das der Humor ist, dann bin ich sehr gerne eine humorlose Feministin. Meine Texte sind voll von einem Kichern, das die Welt ja auch in sich hat. Aber diesen Humor, nein danke. Ich nehme die Frage der Verletzung anderer schon ernst. Ich führe scharfe Auseinandersetzungen, aber hoffentlich nie verletzende.

Zurück zu Sebastian Kurz. Seine Partei, die ÖVP, hat er im Handstreich übernommen.

Was jetzt in den Großparteien passiert, hat die FPÖ schon in den 80er Jahren durchgemacht: Die Ablösung der Großväter durch die Enkel. Mittels einer Pressekonferenz von außen Forderungen an die eigene Partei zu stellen, ist kein demokratischer Vorgang, sondern eine Hybris, die von den alten Männern mit Flucht beantwortet wurde. Diese Politiker übernehmen nicht die Verantwortung für ihre eigene Zeit, sie lassen sie einfach fallen. Das ist ungeheuerlich, es ist wie ein Staatsreich von innen.

Wo sind die Väter hin?

Es müsste ja jetzt eine Generation zwischen 50 und 60 übernehmen und die 70ig-jährigen ablösen. Aber die Vätergeneration ist in die Wirtschaft gegangen und besetzt dort die Positionen. Für die Enkel ist dort kein Platz. Das heißt, es ist ein Vakuum entstanden, das auf der rechten Seite von Burschenschaftlern der untersten Liga, von Studienabbrechern, gefüllt wird. Kurz ist in der ÖVP sozialisiert worden, was er gelernt hat, scheint mit Demokratie nicht viel zu tun zu haben.

Diese autoritären Burschenschaftler sind offenbar auch für Frauen sehr attraktiv. Ein Sexist wie Donald Trump ist von sehr vielen Frauen gewählt worden. Warum?

Weil viele Frauen nur emanzipiert sind, aber kein Bewusstsein entwickelt haben. Sie werden von außen dazu gezwungen, etwas anderes zu sein als die abhängige Ehefrau, aber auf ihrer eigenen Verantwortungsebene fühlen sie sich durch den starken Mann aufgehoben. Das ist ein Begehren, das ich auch berechtigt finde. Trump strahlt in der Öffentlichkeit eine Kraft aus. Ich glaube nicht, dass er sie hat, aber er tut so. Da kann frau sich dahinterstellen. Wir können nicht von jeder Person die totale Autonomie erwarten, d.h., verlangen würde ich sie schon, aber erwarten können wir es nicht. Im Übrigen ist Chauvinismus etwas, was sehr verbindet.

Sind Trump-Wählerinnen chauvinistisch?

Natürlich, die ordnen sich in dieser evangelikalen Welt ein, weil sie sich da sicher fühlen. Wir sollten die Rolle der Religion in den USA nicht unterschätzen. Das Evangelikale ist eine ziemlich perfide Angelegenheit. Dessen Botschaft lautet: Kapitalismus ist gottgewollt, so wie es ist, ist es gottgewollt und jeder, der nicht zu den Obersten gehört, ist selber schuld, der hat nicht genug geglaubt. Es ist ganz deutlich, dass das eine Elitengesellschaft ist, in der schon Elite ist, der zur Wahl geht.

Aber Wahlen gewinnt man heute mit Eliten-Beschimpfung.

Die Eliten haben das doch sehr geschickt gemacht. Sie haben sich versteckt und kommen nun wieder zurück. Das sind ja keine neuen Leute. Kurz ist das beste Beispiel. Er ist in dieser Elite sozialisiert worden, tritt als Revolutionär auf und holt sich das, was immer schon da war, nämlich die Elite.

Sie meinen, der Hass auf die Eliten wird von den Eliten selbst gesteuert?

Absolut. Es gibt eine Deckungsgleichheit zwischen Angegriffenen und Angreifern.

Das ist schwer zu durchschauen…

Ja, und vor allem ist es auch schwer zu glauben. Aber es ist so. Das ist eine strategische Maßnahme, die direkt aus dem Militär kommt, daher meine ich ja, dass die Wirtschaft heute das eigentliche Militär ist.

Und wer sind die Dummen?

Die Dummen sind auf jeden Fall wir, aber das in einiger Fröhlichkeit, weil das militaristische Leben grauslich ist, das ist kein Leben. Wie früher am Kasernenhof müssen diese Leute um 4 Uhr aufstehen, ihre Fitnesssachen machen, ins Büro gehen und Leute stampern, damit sie das machen, was sie wollen. Das ist genauso wie am Kasernenhof, nur mit weniger vordergründiger Struktur. Am Abend gehen sie dann nach Hause und müssen noch netzwerken. Ich glaube nicht, dass da viel Gestaltungsraum möglich ist.

Wie gehen Sie mit der medialen Überschwemmung um?

Ich halte das fern von mir, weil ich das Gefühl habe, zu stark in diese Hysterie hineingezogen zu werden. Seit einem Jahr habe ich keinen Fernseher mehr und es geht mir wirklich gut. Diese Dauerhysterie, die durch die Bilder und die Schnitte, durch das Pixel-Sehen hergestellt wird, erhöht die Neigung zu populistischen Lösungen. Das macht so schnappig, das sind so Raubsätze. Ein Satz wie „Ausländer raus“ ist dann geradezu eine Erleichterung auf diese Unruhe. Es wäre gut, wenn alle mit den Medien aufgeklärt umgehen könnten.

Als Romanautorin sind Sie von einer sehr experimentellen Schreibweise zu einem eher traditionellen Erzählen zurückgekehrt. Ist das eine Reaktion auf die fragmentierte Welt?

Das ist jetzt sehr schlimm, dass ich hören muss, dass es ein traditionelles Erzählen geworden ist. Aber es ist natürlich richtig, dass die Veränderungen in der Welt eine Antwort brauchen, die in einer größeren Gebundenheit der Sinnzusammenhänge liegen, weil die Welt in den letzten 30 Jahren so auseinander gebrochen ist. Wenn ich gleich schriebe wie am Anfang, fände ich das lächerlich. Ich bin von den 70er Jahren kommend mit der sinnvollen Auflösung des Romans bis zur sinnvollen Splitterklebung gelangt. Es wäre ästhetisch unredlich, einen Sinnzusammenhang herzustellen, aber das Bedürfnis, die Welt auf irgendeine Weise begreifen zu wollen, stellt das von sich aus her. Ich schreibe, um mir selbst einen Platz zu schaffen, aber genauso will ich diesen Platz mit dem Leser und der Leserin teilen. Das ist ein anderes Schreiben, als schriebe ich nur für mich. Das ist das Feministische und Demokratische an meinem Schreiben. Ich beanspruche für mich einen Platz, aber ich teile ihn auch ganz redlich.

Feministisch ist für Sie gleich demokratisch.

Ja, weil Demokratie ja nur geht, wenn alle autonome Personen sind. Solange Frauen nicht gleichgestellt sind, ist Demokratie nicht erreicht.

Was ist mit der Liebe?

Die große Lebens entscheidende Liebe, die über eine Person herfällt, gibt es nicht mehr, die kann sich niemand mehr leisten, die ist im Neoliberalismus erstickt. Diese Form der rasenden, innigen, alles erfassenden und auch für längere Zeit anhaltenden Leidenschaft, das ist vorbei.

Ist es schade darum?

Ich weiß nicht, ob es schad ist drum. Nein, ich glaube nicht, wir leben ja alle andere Formen. Wir können heute Lebensgemeinschaften anderer Art eingehen, als Frau sowieso, weil sie nicht mehr an diesen einen Mann gebunden ist, sondern wirklich selbstständig. Dass Freundinnen für Frauen so wichtig sind, ist schon eine Errungenschaft. Das wilde, rasende Ungetüm Liebe ist weg, das Abenteuer ist weg. Ich meine damit nicht den Seitensprung, ich meine die Liebe, die eine Person vollkommen erfasst. Ob das ein Verlust ist oder nicht, muss jeder für sich entscheiden. Es gibt ja eine Literatur, die das Abenteuer zurück fordert. Aber das ist schwierig in der Unsicherheit, die wir erleben und bei den flüchtigen Jobs. Wenn wir die bedingungslose Grundsicherung kriegen, können wir uns das Abenteuer wieder leisten.

Können Männer feministisch sein – wenn ja, wie?

Männer können zum Beispiel versuchen, über die Geschichte des Männlichen ins Klare zu kommen, zu sehen, wie grausam es ist, sich mit Frauengeschichte zu beschäftigen. Es wäre eine Voraussetzung für Männer zu sehen, was es eigentlich heißt, Macht auszuüben und sich damit auseinandersetzen, großzügig und bewusst.

Tun die Männer das?

Nicht oft genug.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen