1.000 tote Rehe
Tragische Bilanz bei den Wildunfällen: Jährlich werden rund 1.000 Rehe und Hirsche auf Südtirols Straßen von Fahrzeugen erfasst und getötet.
von Erna Egger
Plötzlich springt ein Reh oder ein Hirsch mitten auf die Straße. Das Auto kann nicht mehr rechtzeitig bremsen, es kracht. Das Tier ist tot oder schwer verletzt: Diese Szenen haben schon viele Autofahrer in Südtirol erlebt.
Wurden die Fahrzeuglenker beim Unfall nicht selbst verletzt, waren der Schock und der Sachschaden beim Fahrzeug zumeist groß.
Wildunfälle sind in Südtirol keine Seltenheit. Die Zahl ist hoch: Rund 1.000 Rehe und Hirsche werden jährlich auf Südtirols Straßen von Fahrzeugen erfasst und getötet.
Erstmals landesweit erhoben wurden die Wildunfälle bereits um die Jahrtausendwende. Seit 2012 werden die Daten von den hauptberuflichen Jagdaufsehern und den Revierleitern in den Jagdrevieren des Landes laufend registriert und bis Frühjahr kommenden Jahres bekanntgegeben. Vor Kurzem wurde auch begonnen, die Angaben über eine Datenbank zu sammeln.
Die Zahlen vom Jahr 2016 liegen mittlerweile (fast) vollständig vor: Landesweit wurden 859 Unfälle registriert, in denen Rehe oder Hirsche verwickelt waren. Geringfügige Änderungen sind noch möglich, da einzelne Gebiete noch fehlen.
In 747 Fällen wurden Rehe an- oder überfahren, in 110 Unfällen war Rotwild verwickelt. Zudem wurde je ein Stück Schwarzwild und eine Gams von einem Auto überfahren. „In diesen Daten nur teilweise enthalten sind die Wildunfälle auf der Autobahn und auf den Zugstrecken des Landes, da uns diese nur selten gemeldet werden“, ergänzt Lothar Gerstgrasser vom Südtiroler Jagdverband.
Die Zahlen haben sich im Vergleich zum Jahr 2015 geringfügig erhöht, als 791 Unfälle verzeichnet wurden. „Im Wesentlichen entspricht diese Zahl den zu erwartenden Wildunfällen im Land“, meint Gerstgrasser.
Er verweist darauf, dass die festgestellte leichte Zunahme der Unfallzahlen in den vergangenen Jahren auch auf eine bessere Erfassung der Unfälle zurückzuführen sei. „Dennoch muss nach wie vor davon ausgegangen werden, dass ein guter Teil der Unfälle nicht bekannt wird, weil der Unfall – auch aus Unwissenheit – nicht gemeldet wird. Südtirolweit kann man somit von ca. 1.000 Wildunfällen pro Jahr ausgehen“, schätzt der Mitarbeiter im Jagdverband.
Diese verteilen sich je zur Hälfte auf das erste und das zweite Halbjahr. Saisonal gibt es aber deutliche Unterschiede: Im Frühjahr und im Herbst ist die Wahrscheinlichkeit, Schalenwild auf der Straße anzutreffen, am höchsten.
Einer österreichweit durchgeführten Studie zufolge verursachen Zusammenstöße mit Rehwild einen reinen Sachschaden beim Fahrzeug von durchschnittlich 1.800 Euro. Eventuelle Verletzungen, Arztspesen oder ein Arbeitsausfall sind in dieser Berechnung nicht miteingerechnet.
Aus den Erhebungen der Jagdaufseher gehen auch die besonders kritischen Straßenabschnitte in Südtirol hervor. Von den Hauptdurchzugsstraßen ist z.B. in erster Linie die Pusterer Straße zu nennen, besonders viele Wildunfälle werden hier zwischen Percha und Olang verzeichnet. Auch auf der Grödnerstraße, von Klausen über Lajen, ist das Unfallaufkommen außergewöhnlich hoch, ebenso auf den Straßen am Schlern-Hochplateau sowie auf der Staatsstraße Auer-Canazei oberhalb von Montan.
Im Ultental ist besonders auf dem Abschnitt zwischen dem Stausee bei St. Pankraz und St. Walburg mit Wildtieren auf der Straße zu rechnen, im Schnalstal ereignen sich zahlreiche Unfälle am Talanfang, zwischen Alt- und Neuratheis. Im Vinschgau sind vor allem die Straßenabschnitte zwischen Prad und Glurns sowie die Malser Haide zwischen Mals und St. Valentin als Unfallstrecken bekannt.
Aber wie kann man die Anzahl der Unfälle reduzieren?
Bereits vor Jahrzehnten hat der Südtiroler Jagdverband in Zusammenarbeit mit dem Straßendienst damit begonnen, optische Wildwarnreflektoren an allen bekannten Wildwechseln anzubringen. „Im Laufe der Jahre wurden mehr als 30.000 Reflektoren montiert. In den vergangenen Jahren hat die Jägerschaft in zahlreichen Revieren – wie beispielsweise in Ratschings, Mareit, Pfalzen und am Tschögglberg – in Eigeninitiative modernere, optische Wildwarnreflektoren für gefährliche Abschnitte angekauft und in Absprache mit dem Straßendienst montiert“, so Gerstgrasser.
Auch der Straßendienst hat einige besonders kritische Stellen mit modernen Reflektoren bestückt. Diese versprechen einen besseren Effekt als die bisher montierten Reflektoren, nicht überall aber stellt sich nach Montage der Reflektoren der gewünschte Erfolg ein.
Gerstgrasser verweist auf ein besonderes Phänomen und rät zur Vorsicht: Häufig ist das Wild in kleinen Gruppen unterwegs, sodass sich auch mehrere Tiere gleichzeitig auf einem Straßenabschnitt befinden. „Im Vorjahr ist es im Obervinschgau zu einem Unfall gekommen, bei dem gleich vier Stück Rotwild überfahren worden sind.“
Der Mitarbeiter im Jagverband muss aber einräumen: „Alle Methoden, die das Wild warnen, zeigen nur beschränkte Wirkung“, bedauert Gerstgrasser. „In den benachbarten Ländern ist man daher dazu übergegangen, zusätzlich zum Wild auch den Autolenker zu warnen, dann z.B., wenn er im Bereich eines gefährlichen Straßenabschnitts zu schnell unterwegs ist. Es ist nämlich bekannt, dass die Gefahr eines Wildunfalls bei hoher Geschwindigkeit aufgrund des längeren Reaktions- und Bremsweges ungleich höher ist, als bei niederer Geschwindigkeit.
Und ein guter Teil der Wildunfälle ist schlicht nicht vermeidbar, weil das Tier spontan auf der Straße auftaucht und oft direkt vor ein Fahrzeug springt.“
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