„Die Carabinieri hätten sie abgeholt“
Der Fall der beiden Mädchen, die vom Bozner Jugendgericht gezwungen wurden, zu ihrem Vater nach Australien zurückzukehren, sorgt für Aufsehen. Wie der Anwalt der Mutter, Alexander Kritzinger, den Fall einschätzt.
Tageszeitung: Herr Advokat, zuallererst, wie geht es Ihrer Mandantin und ihren Kindern? (Siehe auch https://www.tageszeitung.it/2017/05/28/gefangen-in-australien/)
Alexander Kritzinger: Meine Mandantin und ihre Kinder sind seit Ende April in einem Frauenhaus in Australien untergebracht, das rund hundert Kilometer vom Wohnort des Noch-Ehemannes entfernt ist. Den Umständen entsprechend geht es ihnen gut, sie sind erst einmal geschützt vor den Ausbrüchen des Ehemannes bzw. Vaters. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen der Gewaltattacke gegen die Frau nach der Rückkehr und ein Annäherungsverbot. Mit der Androhung einer zweijährigen Haftstrafe.
Ihrer Mandantin wird vorgeworfen, ihre Kinder widerrechtlich nach Italien gebracht zu haben. Das Bozner Jugendgericht teilt offenbar diese Auffassung, indem es die Rückführung nach Australien angeordnet hat.
Ja, das Jugendgericht behauptet das. Doch es war in Wirklichkeit so, dass der Vater zu den Kindern und der Ehefrau gesagt hat, sie sollen abhauen. Zudem hat das Bozner Landesgericht hat der Mutter nicht nur das Sorgerecht zugesprochen, sondern sie wurde auch ausdrücklich ermächtigt, mit den Kindern in Südtirol zu bleiben. Deswegen kann man weder von einer widerrechtlichen Verbringung noch einer widerrechtlichen Zurückhaltung sprechen. Die Haager Konvention zum Schutz von Kindern sagt, dass auch bei einer widerrechtlichen Verbringung – die es in diesem Fall nicht gegeben hat –, die Kinder nicht zwangsläufig zurück müssen. Sie können auch an dem Ort bleiben, an dem sie sich aufhalten. Vor allem wenn ihnen Gefahr durch den Vater droht. In diesem Fall von einem nachweislich alkoholabhängigen Vater.
Doch das Bozner Jugendgericht hat in seiner Urteilsbegründung erklärt: Beim Vater droht den Kindern keine Gefahr.
Ja, unsere Beweise wurden nicht gewürdigt, hingegen die Argumente des Vaters. Ich weiß nicht, was wir sonst alles hätten vorlegen müssen, um das Gericht zu überzeugen. Inzwischen, durch die Gewaltattacke des Noch-Ehemannes gegen seine Frau, ist das eingetreten, was wir immer gesagt haben. Wir haben das Foto vorgelegt, das zeigt, wie der Mann die Kleider seiner Frau verbrennt. Dass da beim Gericht keine Zweifel aufkommen, kann ich nicht nachvollziehen.
Sie haben die Urteilsbegründung wörtlich als haarsträubend bezeichnet.
Es geht um das Wohl der Kinder. Schon allein wenn eine Gefahr besteht, dass sie nicht aufwachsen, wie sie sollten, weil der Vater wie in unserem Fall alkoholabhängig ist, wäre ein Grund, die Rückführung abzulehnen. Ich finde die Begründung des Jugendgerichts, dass die Kinder zurückmüssten, weil ein australisches Gericht über das Sorgerecht entscheiden müsse, bedenklich. Wir haben gedacht, das gibt es nicht.
Was wäre passiert, hätte sich die Mutter geweigert, der gerichtlichen Anordnung Folge zu leisten, und mit ihren beiden Töchtern ins Flugzeug nach Australien zu steigen?
Die Carabinieri hätten die Kinder abgeholt und ohne die Mutter in einen Flieger hineingesteckt. Das wollte die Mutter natürlich nicht und ist mit ihnen vor der Frist nach Australien geflogen. Staatsanwältin Antonella Fava hat sich unüblicherweise einen Tag vor dem Abflug bei mir vergewissert, dass sie die Reise tatsächlich antreten werden.
Und nun müssen die Kinder bis zur Entscheidung der Kassation zum Urteil des Jugendgerichts in Australien bleiben?
Die Mutter will die Angelegenheit juristisch vor Ort regeln und einstweilen die Entscheidung der Kassation abwarten. Wir könnten theoretisch, nach der Gewalt-Episode, beim Jugendgericht in Bozen erneut eine Aussetzung des Urteils beantragen. Doch meine Mandantin hat kein Vertrauen mehr in dieses Gericht. Sie hat derzeit niemanden als das Frauenhaus, sie lebt in Angst. Sie hat keine Pässe für die Kinder, weil der Vater ihnen gleich bei der Rückführung abgenommen hat.
Welche Schlüsse ziehen Sie persönlich aus dem Fall?
Wenn das die gängige Rechtsprechung des Jugendgerichts in derartigen Fällen sein sollte, finde ich das erschreckend. Denn die Frage, wo über das Sorgerecht entschieden wird, kann nicht die Grundlage für eine solch weitreichende Entscheidung sein. Dann müssten Kinder grundsätzlich zurückgeschickt werden, auch in ein Land, in dem Bürgerkrieg herrscht.
Interview: Thomas Vikoler
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