Mörderische Heimat
Auch in Bozen und Meran hat es während des Faschismus und NS-Regimes eine Reihe jüdischer Familien gegeben, die wegen ihrer Rasse verfolgt, vertrieben oder getötet wurden.
Auch in Bozen und Meran hat es während des Faschismus und NS-Regimes eine Reihe jüdischer Familien gegeben, die wegen ihrer Rasse verfolgt, vertrieben oder getötet wurden. Einige ihrer Angehörigen haben am Montagauf Einladung der Landesbibliothek „Claudia Augusta“, des antifaschistischen Vereins ANPI und des Jüdischen Museums von Meran im Kulturzentrum Trevi über ihre Schicksale erzählt.
Das Treffen war zustande gekommen, da die Autoren des Buches „Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran“ (Edition Raetia, 2015), Sabine Mayr und Joachim Innerhofer, bei ihrer Recherche mit den Nachkommen dieser Familien in Kontakt getreten waren. Die Begegnung hatte die Organisatoren veranlasst, zudem den Schriftsteller und Intellektuellen, Doron Rabinovici, zu einem Vortrag einzuladen.
Auch Landeshauptmann Arno Kompatscher und der Landesrat für italienische Kultur, Christian Tommasini, die beiden Bürgermeister von Bozen und Meran, Renzo Caramaschi und Paul Rösch, und der Präsident des ANPI, Orfeo Donatini, waren gekommen, um den ergreifenden Berichten zuzuhören.
In seiner kurzen Ansprache wies Landeshauptmann Kompatscher darauf hin, wie wichtig es ihm gewesen sei, an dieser Begegnung teilzunehmen. Man solle nicht vergessen, dass leider auch Tirols Geschichte von einer längeren Phase der antisemitischen Haltung geprägt gewesen sei. „Auch heute sind Vorurteile weiterhin vorhanden. Daher hilft es, die Erinnerung daran wach zu halten, was Vorurteile mit den Menschen anrichten“, betonte Kompatscher. Manche Menschen würden Denkverbote an den Pranger stellen, nach dem Grundsatz „man wird wohl noch sagen dürfen, dass…“.
„Vielmehr seien aber Denkgebote notwendig – jene, die uns dazu anhalten, zuerst nachzudenken und sich Wissen anzueignen, bevor man redet“, sagte der Landeshauptmann. „Südtirol wird immer als ein Land der Opfer dargestellt, wird sind aber in Wahrheit ein Land der Opfer und der Täter!“, sagte der Landeshauptmann.
Landesrat Tommasini erinnerte kurz an das „Festival delle Resistenze“, welches vom Landesamt für Italienische Kultur jährlich organisiert wird. Dessen Ziel ist es, die Jugend auf die Gefahren von Intoleranz und Extremismus hinzuweisen und sie darin zu bestärken, diesen entgegenzutreten. „Wir möchten die Erinnerung an den Holocaust und die Shoah wachhalten. Mit Initiativen wie diese bewahren wir diese Erinnerung und vermitteln den jungen Generationen die Bedeutung der humanistischen Werte und des Widerstands gegen Nazionalsozialismus und Faschismus.“
Der in Israel geborene Doron Rabinovici, der seit 1964 in Wien lebt, ist jenseits seiner Schriftstellertätigkeit auch bekannt geworden, als er in Zusammenhang mit der Causa Kurt Waldheim den Umgang Österreichs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit etlicher seiner Bürger scharf kritisierte. In seinem Vortrag beschrieb er diese Entwicklung und mahnte, dass Erinnerung keiner Rechtfertigung bedürfe. Die Erinnerung an den Holocaust sei das Mittel, um die Gefahr, die von Rassismus ausgeht, früh zu entlarven, um sich ihr zu widersetzen. „Die Schicht der Zivilisation ist bei den Menschen hauchdünn“, warnte Rabinovici.
Neben dem Vorstandmitglied des ANPI, Antonio Testini, der den Abend moderierte, sprachen über ihre Erinnerungen an die Zeit der Judenverfolgung: Franca Avataneo, Enkelin des Mantovaner Unternehmers Aldo Castelletti, der von 1933 bis 1939 in Bozen lebte, 1943 in Fondo am Nonsberg festgenommen und über das Meraner Gefängnis ins Lager Reichenau bei Innsbruck deportiert wurde; Elieser und Tamara Kienwald, Enkel des jüdischen Schneiders Oskar Kienwald aus Galizien, der Modesalons in Bozen und Meran führte und dessen Familie den Nazis durch eine abenteuerliche Überquerung der Front entkam; Massimo Gronich, Urenkel des nach Meran gezogenen Chemikers Wolfgang Gronich aus der Bukowina, der ein Schüler von Robert Koch war. Die Autoren Sabine Mayr und Joachim Innerhofer erzählten über ihre Recherchearbeit, über die sie auch in Kontakt mit vielen anderen Personen und ihren Schicksalen kamen. Etliche davon waren zur gestrigen Begegnung angereist, auch wenn sie selbst nicht Zeugnis ablegten.
Federico Steinhaus, ehemaliger Präsident der jüdischen Gemeinde in Meran, schloss den Abend mit den Worten ab: „Ich habe 60 Jahre auf einen Landeshauptmann gewartet, der das sagen würde, was Landeshauptmann Kompatscher heute gesagt hat.“
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