„Hohes Risiko für Frauen“
Nach dem Aufsehen erregenden Urteil des Kassationsgerichts zum Ehegattenunterhalt schlägt Rechtsanwältin Julia Unterberger Alarm: Für Frauen bestehe nun die konkrete Gefahr, dass sie bei einer Scheidung ordentlich draufzahlen.
Die Ehe ist keine Lebensversicherung. Dies urteilt das italienische Kassationsgericht in letzter Instanz in einem langjährigen Scheidungskrieg. Die Ehe ist in den Augen der Richter ein „Akt von Selbstverantwortung und Freiheit“.
Dieses Urteil gleicht einem juridischen Erdbeben und wird das italienische Unterhaltsrecht künftig in eine komplett andere Richtung lenken. Die Höhe des Unterhaltsanspruches für Ehepartner ist demnach nicht mehr vom Lebensstil des Paares während der Ehe abhängig, sondern wird anhand neuer Parameter bestimmt, die nur eine „wirtschaftliche Selbständigkeit“ der wirtschaftlich schwächeren Partei im Auge haben. „Dieses Urteil ist absolut anders als die bisherige Rechtsprechung“, bestätigt Scheidungsanwältin Julia Unterberger.
Bisher hatte der wirtschaftlich schwächere Ehepartner im Falle einer Trennung oder Scheidung das Recht, vom finanziell stärkeren Ehepartner den Lebensstandard während der Ehe aufrechterhalten zu bekommen. Dies führte vor allem bei betuchten Paaren zu großen Scheidungskriegen, wo es um Unterhaltszahlungen im sechs- und siebenstelligen Bereich ging. Beispiel Berlusconi: Nach der Scheidung musste der ehemalige italienische Regierungschef seiner Frau monatlich 300.000 Euro an Unterhalt zahlen. Sie verlangte eine monatliche Summe von 1,4 Millionen Euro, um den zu Ehezeiten geführten Lebensstandard weiterführen zu können.
Ähnlich gelagert ist ein aktueller Scheidungsfall, der zu diesem Kassationsurteil geführt hat. Eine Unternehmerin hat nach der Scheidung von ihrem Mann, einem Minister, eine höhere Unterhaltssumme verlangt als ihr nach der Scheidung zugesprochen worden war. Das Kassationsgericht urteilte allerdings, dass die Unternehmerin trotz des noch immer großen Einkommensunterschiedes finanziell unabhängig sei und daher keinen Anspruch auf höhere Unterhaltszahlungen habe.
Die Meraner Anwältin Julia Unterberger betont, dass man allerdings differenzieren müsse, weil derart gelagerte Scheidungsfälle eine Ausnahme seien – die Auswirkungen dieses Urteils würden allerdings auch „normale“ Scheidungen betreffen. „Der gemeinsame Lebensstandard muss laut diesem Urteil nicht mehr erhalten bleiben, es geht lediglich um die ökonomische Eigenständigkeit. Den Ehegattenunterhalt findet man bei uns sowieso schon in einem limitierten Ausmaß, aber dieses Urteil wird ihn noch weiter eingrenzen“, erklärt Julia Unterberger.
Die Rechtsanwältin und ehemalige Landtagspräsidentin betrachtet dieses Urteil aber vor allem als Frauenrechtlerin mit Sorge: „Der Trend geht immer mehr in die Richtung, dass eine Ehe keine Versorgungseinrichtung ist, viele Frauen nehmen das jedoch nicht zur Kenntnis. Es bedeutet, dass Frauen grundsätzlich selbst für sich sorgen müssen und dies auch bereits zu Beginn einer Ehe bedenken sollten. Sich auf das Modell „Alleinverdiener-Mann und Zuverdienerin oder gar Hausfrau“ einzulassen, birgt ein hohes Risiko für Frauen – die Gefahr besteht, dass sie im Falle einer Scheidung ordentlich draufzahlen, weil ihre Ansprüche ständig geschmälert werden. Das sollte jungen Frauen bei ihrer Lebensplanung bewusst sein“, betont Julia Unterberger.
Natürlich werde es im Falle einer Scheidung auch weiterhin auf den Einkommensunterschied ankommen, aber sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen „wird ein Mann, auch wenn er extrem viel verdient und sich die Familie dadurch einen hohen Lebensstandard leisten konnte, nicht mehr verpflichtet sein, seine Frau nach der Ehe angemessen zu unterstützen. Er wird sie nur soweit unterstützen müssen, dass sie ökonomisch eigenständig leben kann“, erklärt die Meraner Rechtsanwältin. Daher seien die Botschaften konservativer Politiker nach welchen Frauen möglichst lange zu Hause bei den Kindern bleiben sollen auch unter diesem Aspekt zu bewerten. „Die unbezahlte Familienarbeit, die viele Frauen jahrelang leisten, gereicht ihnen finanziell oft sehr zum Nachteil. Eine Ausgleichszahlung dafür ist in unserer Rechtsordnung nämlich nicht vorgesehen“, so Julia Unterberger.
Was bedeutet dieses Urteil für bereits abgeschlossene Scheidungen? Können diese unter diesem Gesichtspunkt neu aufgerollt werden? „Es ist theoretisch möglich“, erklärt die ehemalige Landtagspräsidentin, „aber es müssten sich die Umstände geändert haben. Nur wegen der neuen Rechtsprechung kann man den Scheidungsfall nicht neu aufrollen. Aber sicher lassen sich veränderte Umstände als Vorwand finden, wenn man den Fall neu aufrollen will.“
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