Wo ist Mattarella?
Ein königliches Dekret aus dem Jahr 1924 sieht vor, dass in allen Schulklassen das Abbild des Staatspräsidenten anzubringen ist. Südtirol tanzt aus der Reihe – und beruft sich dabei auf die gewagte Interpretation eines Staatsgesetzes.
Von Matthias Kofler
In den Schulämtern herrschte große Aufregung, als die TAGESZEITUNG vor einigen Wochen ihre Recherche startete. Die Rechtslage sei „äußerst kompliziert“, hieß es aus dem italienischen Schulamt. Theoretisch gelte die Verpflichtung auch für Südtirol – doch fast keine der hiesigen Schulklassen würde sich daran halten. Man werde in Rom vorsprechen und rechtliche Klarheit schaffen. Auch Bildungslandesrat Philipp Achammer bat um ausreichend Zeit, um die Gesetzesbestimmungen zu überprüfen.
Worum geht es?
Die königlichen Dekrete aus den Jahren 1924 und 1928 sehen vor, dass in jedem Klassenraum in Italien das Abbild des Königs anzubringen ist. Seit der Umwandlung Italiens in eine Republik war es üblich, dass ein Abbild des amtierenden Staatspräsidenten in den Klassenzimmern und Schulklassen montiert wurde. Derzeit amtiert Sergio Mattarella als zwölfter Präsident der italienischen Republik. Sein originales Standardabbild ist 25×35 Zentimeter groß, wiegt 300 Gramm und kostet um die zehn Euro. Doch in den Südtiroler Schulklassen fehlt von Mattarellas Porträt jede Spur.
Weder dem deutschen noch dem italienischen Schulamt sind Schulen bekannt, an denen das Mattarella-Abbild angebracht wurde. Genaue Daten lägen der Landesverwaltung aber nicht vor.
Trotzdem sind die Bildungs-Landesräte Philipp Achammer und Christian Tommasini überzeugt, dass Südtirols Schulen nicht gegen die Gesetzesbestimmungen verstoßen würden. Die Landesäte rechtfertigen das Fehlen des Mattarella-Porträts mit einer (gewagten) Interpretation der Rechtsquellen.
Demnach wurden mit dem Gesetz Nr. 22 vom 5. Februar 1998 allgemeine Bestimmungen über den Gebrauch der Flagge der Italienischen Republik und der Europäischen Union erlassen. Diese Bestimmungen finden unter Beachtung des Autonomiestatuts auch auf die autonome Provinz Bozen Anwendung.
In der aus dem Gesetz hervorgegangenen Verordnung aus dem Jahr 2000 wurden alle Gebäude angeführt, an denen die Tricolore anzubringen ist: etwa am Sitz von Regierungsämtern oder an Einrichtungen der italienischen Botschaft. In denselben Gebäuden ist auch das Abbild des Staatspräsidenten anzubringen.
Weil die Schulen nicht angeführt sind, schließen Philipp Achammer und Christian Tommasini daraus, dass das Abbild Mattarellas in den Klassenzimmern nicht (mehr) montiert werden müsse.
Damit können Südtirols Schulen aufatmen: Sollten Philipp?Achammer und Christian?Tommasini mit ihrer Interpretation Recht haben, sind die Schulen nicht verpflichtet, in nächster Zeit ausreichend Mattarella-Porträts für ihre Klassenzimmer anzuschaffen.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.