„Ein Hilfe-Schrei“
Im Parlament wird derzeit über das Gesetz zur Patientenverfügung diskutiert. Günther Rederlechner von der Hospizbewegung erklärt, wie man auf den Sterbewunsch kranker Menschen reagieren sollte und warum dieses Thema endlich enttabuisiert werden muss.
TAGESZEITUNG Online: Herr Rederlechner, im römischen Parlament wird derzeit schrittweise das Gesetz zur Patientenverfügung diskutiert. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Günther Rederlechner: Die Hospizbewegung sieht in der Einführung der Patientenverfügung ein sinnvolles Instrument. Sie schafft einen Rahmen, der Menschen vorzeitig die Möglichkeit gibt, eine sehr wichtige Entscheidung zu treffen. Für die Hospizbewegung ist entscheidend, dass der Mensch mit all seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht.
Ist es notwendig, einen Rechtsrahmen in dieser Situation zu schaffen?
Ich glaube es ist wichtig, dass die Patientenverfügung einen rechtlichen Rahmen erhält, er sollte uns aber einen allgemeinen Spielraum lassen und nicht allzu rigide sein. Das Gesetz bietet einen Rahmen, innerhalb dessen wir uns bewegen können.
Wie entwickeln sich die medizinischen Diskussionen um dieses Thema?
Die Frage nach der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung spielt hier eine wesentliche Rolle. Es braucht eine gesetzliche Grundlage, die die Entscheidungsprozesse der Ärzte durch die Patientenverfügung genau regelt. Durch Rechtssicherheit können dann auch medizinische Interventionen ohne ständige Ängste getroffen werden. Ärzte brauchen diesen gesetzlichen Rahmen, auf den sie sich stützen können. Aus palliativmedizinischer Sicht ist man sich bewusst, dass man nicht immer alles tun muss, was man tun könnte.
Menschen, die sich im Endstadium einer Krankheit befinden, verspüren manchmal das Gefühl, dass ihr Leben nicht mehr lebenswert ist. Verstehen Sie diese Patienten?
Wir verstehen, dass Menschen an ihre persönliche Grenze stoßen und das Gefühl haben, der Tod sei der einzige Ausweg. Doch wir wissen auch, dass es Grenzen gibt: Grenzen wie etwa Euthanasie und den assistierten Suizid. Diese Vorgangsweise ist für uns moralisch und auch ethisch nicht vertretbar. Das Aussetzen lebensverlängernder Maßnahmen hingegen lässt den natürlichen Sterbeprozess zu.
Hat ein Patient im Endstadium einer Krankheit das Recht auf Selbstbestimmung?
Ich glaube, dass jeder Mensch das Recht auf Autonomie hat, doch viele Menschen fühlen sich überfordert, wenn ihnen diese Verantwortung überlassen wird. Jedem Menschen soll zugehört werden und jeder soll ernst genommen werden, wenn er solche Wünsche äußert. Wir müssen Patienten unterstützen, dass sie die für sich richtigen Entscheidungen treffen.
Viele Menschen sind aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr in der Lage, ihre eigenen Wünsche zu äußern. Wie sollte der Umgang mit diesen Patienten aussehen?
In diesen Fällen versuchen wir, ihren mutmaßlichen Willen zu ergründen. Angehörige sind bei diesem Schritt sehr hilfreich. Doch auch der Arzt handelt im guten Sinne des Menschen: Er versucht jene Entscheidungen zu treffen, wodurch der Patient keine Schmerzen empfindet und der Leidensfaktor so gering wie möglich ist. Dem Menschen soll nicht geschadet werden. Auch die Aspekte der ethischen Grundsätze beeinflussen die Entscheidung.
Das Thema Tod ist ein gesellschaftliches Tabuthema. Wie wichtig ist die Sensibilisierung der Gesellschaft?
Die Sensibilisierung gehört zu den wichtigsten Elementen unserer Arbeit. Über die Themen Krankheit, Sterben und Tod soll offen gesprochen und diskutiert werden, da sie jeden von uns betreffen. Wir als Hospizbewegung versuchen in diesem Bereich „Brückenbauer“ zu sein und diese Themen in den Mittelpunkt der Gespräche zu rücken. Diese Themen sollen in gewisser Hinsicht in die Gesellschaft integriert werden, denn wir dürfen keine Angst davor haben. Mit Hilfe von Informationen und Beratung, wollen wir auch junge Menschen dazu anregen, sich mit endlichen Themen auseinanderzusetzen.
Wird die Hospizbewegung häufig mit dem Sterbewunsch vonseiten der Patienten konfrontiert?
Ja, wir treffen häufig auf Situationen, in denen Menschen äußern, dass sie nicht mehr weiterleben möchten. Hierbei handelt es sich oftmals um einen Schrei nach Hilfe der Menschen, die sich in ihrer Lebenslage unwohl fühlen. Sie fühlen sich in solchen Fällen alleingelassen, empfinden Schmerzen und denken folglich ans Sterben.
Wie reagieren die freiwilligen Mitarbeiter der Hospizbewegung?
Wir reagieren darauf mit einem natürlichen Dialog, wir hören den Menschen zu und versuchen ihren Wunsch zu benennen. Beispielsweise hinterfragen wir gemeinsam, wie diese Gedanken entstanden sind und wir wollen verstehen, welches Problem sich hinter dieser Frage versteckt. Sie ist nicht automatisch mit dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe verknüpft. Wir nehmen die Menschen sehr ernst und überlegen, was wir selbst konkret dazu beitragen können, damit dieser Sterbewunsch nicht mehr vordergründig ist.
Und die Angehörigen?
Die Reaktionen der Angehörigen sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Manche verstehen den Wunsch der Betroffenen und akzeptieren ihn, die Trauer löst in ihnen Mitgefühl und Verständnis für die geliebte Person aus. Sie befinden sich in einem Trauerprozess und merken, dass die Kräfte des Angehörigen schrittweise schwinden. Viele Angehörige sind verständlicherweise mit der Aussage „Ich möchte sterben“ überfordert.
Auch die Angehörigen fühlen sich in solchen Momenten seelisch belastet. Werden sie ebenfalls unterstützt?
Ja, ein großer Teil unserer Tätigkeit besteht aus der Entlastung der nahestehenden Personen: Wenn wir einen schwerkranken Menschen begleiten, stehen wir gleichzeitig seinen Angehörigen bei.
Wie steht die Hospizbewegung allgemein zum Thema Sterbehilfe?
Moralethisch und auch vom gesetzlichen Rahmen her lehnen wir aktive Sterbehilfe ab, doch ich glaube, nur dagegen zu sein ist nicht ausreichend. Wenn man sich dagegen äußert, sollte man sich dafür einsetzen, dass dieser Sterbewunsch weniger oft aufkommt: Wir versuchen alles zu tun, um die Lebensqualität unserer Patienten zu verbessern.
Interview: Silvia Santandrea
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