Der kühne Mystiker
Péter Nádas ist Gast der Literatur Lana. Mit dem kühnen Mystiker und Analytiker des Sinnlichen rücken Ungarn und seine große Erzählkunst in den Mittelpunkt des literarischen Schwerpunkts am 2. und 3. Mai im Stadtmuseum Meran.
Er gehört zu den großen europäischen Erzählern der Gegenwart und zum ungarischen Gestirn, das mit den im vergangenen Jahr verstorbenen Imre Kertész und Péter Esterházy Weltliteratur als wunderbare Zumutung und Zeugnis schafft.
In Romankonstruktionen von höchster Spannkraft leuchtet Péter Nádas die großen geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts aus, genauso wie die Naherfahrungen des Einzelnen in ihrer existenziellen Dimension.
Nun ist der Autor, der immer wieder im Gespräch für den Nobelpreis ist, Gast der Literatur Lana – und das ist ein Ereignis. Im Palais Mamming von Meran wird er am 2. Mai aus seinen Memoiren lesen, noch bevor sie im Herbst auf Deutsch erscheinen.
Ungewiss also, was sie bieten werden, kann man aber davon ausgehen, dass sie Schauplätze komplexer Erinnerung und Sehnsüchte aufsuchen und davon so subtil wie virtuos und voll sinnlicher Energie erzählen.
Diesen letzten Meister der literarischen Moderne, abenteuerlich in der reflexiven Tiefe und im analytischen Scharfblick, begleitet der Übersetzer Laszlo Kornitzer. Unterstützt wird der Abend von Maria Niederstätter.
Ungarn bleibt auch am 3. Mai literarischer Schwerpunkt. Im Mittelpunkt steht zuerst das Buch „Kafkas Sohn“ von Szilárd Borbély, den Imre Kertész den „vielversprechendsten und verlorensten ungarischen Dichter“ nannte. Sein Romandebüt „Die Mittellosen“ blickte als hohe Kunst ergreifend in die menschlichen Niederungen. Den nächsten Text wollte Borbély Franz Kafka widmen. Die Sammlung von Bruchstücken aus dem Nachlass bezieht ihre Intensität aus der leidenschaftlichen Suche des Autors nach sich selbst und der eigenen Stimme. Die Prosastücke sind Selbstbekenntnis und Vermächtnis in einem.
„Das ungarische Bewusstsein hat sich für den Anachronismus, die Absperrung entschieden. Im ungarischen Bewusstsein gibt es keinen Platz für Konflikte, das ungarische Bewusstsein besteht in der sakralen Selbstbestätigung – es hat sich für ein falsches Geschichtsbewusstsein, literarischen Provinzialismus und die Lüge im allgemeinen entschieden“ – schrieb Imre Kertész in seinem Tagebuch „Der Betrachter“ 1994.
Heute, rund 20 Jahre später, ist es, als wolle Ungarn der Diagnose von Kertész entsprechen. Die Politik laviert zwischen bestellter Agonie und der Behauptung, sie gerade überwinden zu wollen. Einzelne Stimmen aus dieser Lage klingen wie Aufschreie und Rufe der Notwehr.
Eine solche Stimme war auch die von Szilárd Borbély. An ihn und Kertész erinnert der Abend und bringt die von ihnen beschriebene Lage zur Diskussion, nämlich mit der Filmemacherin Eliza Zolnai und dem Theater- und Filmregisseur Tamás Dömötör aus der jüngeren Generation. Sie ist 25, er 42 Jahre alt. Sehen sie Perspektiven für sich, für ihre Arbeit, für das, was Geistesleben in einem geistfeindlichen Land ist? Wenn nicht, wie plant oder verplant man sein Leben in einer Zeit, in der die politische Zukunft auf 1940 fixiert wird?
Was bedeutet der Verlust der stimmmächtigen Ausnahmekünstler Kertész, Borbély, Esterházy?
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