Sauf-Tirol?
Die Istat-Daten zum Alkoholkonsum sind erschreckend: Südtirol ist nahezu in jedem Bereich Spitzenreiter – allerdings im negativen Sinne. Peter Koler, Leiter des Forum Prävention, klärt auf, welche Folgen die kulturelle Einbettung des Alkohols in unserem Land hat.
TAGESZEITUNG Online: Herr Koler, die ISTAT hat kürzlich neue Daten zum Konsum von Alkohol veröffentlicht. Wie bewerten Sie im Allgemeinen die Ergebnisse der Studie?
Peter Koler: Die Ergebnisse sind zweigeteilt: Der tägliche Konsum ist im Sinken, genauso wie die Konsumerfahrung. Dieser tägliche Konsum wird problematisch, wenn er mit Menge in Verbindung steht. Gleichzeitig entsteht in der Gesellschaft eine Polarisierung und die Abstinenten nehmen zu. Auf der anderen Seite bleibt der Wert jener, die bei einer Gelegenheit viel trinken, also sechs Getränke oder mehr, unverändert. Dieser Wert ist weniger aussagekräftig, denn dafür fehlt der zeitliche Rahmen.
19,8 Prozent in Südtirol zu 7,3 Prozent im restlichen Italien ist ein deutlicher Unterschied im Bereich des „binge drinkings“. Woran liegt dieses Phänomen?
Diese Zahl ist im Vergleich zum restlichen Italien höher, weil sich die kulturelle Ausrichtung zwischen der alpinen und der mediterranen Kultur unterscheidet. Aber man muss beachten, dass diese Zahl jene, die zu einem bestimmten Anlass, beispielsweise bei einer Hochzeit, mehr trinken als gewöhnlich, genauso, wie jene Personen betrifft, die innerhalb einer Stunde sechs Gläser Alkohol konsumieren.
Inwiefern beeinflusst unsere Kultur den Alkoholkonsum?
Die mediterrane Kultur sieht den mäßigen Verbrauch von Alkohol vor, während es bei alpinen Kulturen dazugehört, sich zu gewissen Anlässen zu berauschen.
Südtirol steht bei vielen Werten an der Spitze aller italienischen Regionen. Ein Grund zur Sorge?
Alkohol ist in Südtirol das Sorgenkind und das Goldkind zugleich, das wissen wir schon seit vielen Jahren. Wir wissen, dass Alkohol zugleich eine Schattenseite und eine kulturelle Bedeutung hat – wir kennen in Südtirol sowohl den Genussalkohol, als auch das Alkoholproblem. Viele Menschen leben in Südtirol vom Verkauf und der Produktion von Alkohol und sie vermarkten das Produkt blendend. Beispielsweise schrecken die Bierbrauer nicht davor zurück, am Radweg eine „Bierverkostungsstraße“ anzubieten, ein ziemlich fahrlässiges Angebot, genauso wie die Weintage. Wir dürfen nicht vergessen, dass Alkohol eine Droge ist.
73,3 Prozent der Südtirol konsumiert mindestens ein Mal im Jahr Alkohol, damit ist Südtirol Spitzenreiter. Wie erklären Sie sich diesen Wert?
Ausschlaggebend dafür ist die sehr starke Einbettung des Alkohols ins gesellschaftliche Leben. Es gibt in Südtirol so gut wie kein Event, wo kein Alkohol ausgeschenkt wird, während dies in anderen Regionen sehr wohl der Fall ist. Wir sollten aufhören, andere blöd anzumachen, wenn sie auf Alkohol verzichten. Aussagen wie „bist du krank?“ oder „bist du schwanger?“ als Reaktion auf Alkoholverzicht, sollten wir unterlassen. Wir müssen respektieren, dass es Leute gibt, denen Alkohol nicht schmeckt, oder die den Konsum beim Feiern nicht unbedingt benötigen.
Im Vergleich zu 2014 ist dieser Wert gesunken: Woran könnte diese Entwicklung liegen?
Die Gründe dafür sind vielfältig: verschiedene Präventivmaßnahmen, das Gesundheitsbewusstsein der Menschen und die sich verändernde Kultur sind maßgeblich dafür.
Sie sind Leiter des Forum Prävention, hat die Gewohnheit des täglichen Gläschen Wein der Südtiroler einen Einfluss auf das Ergebnis?
Nein, beim täglichen Konsum sind wir an drittletzter Stelle der Regionen. Alkohol ist vor allem in Südtirol immer weniger ein Teil der Mahlzeiten. Eine industrialisierte Gesellschaft hat ziemlich kurze Mittagspausen und nach dem Essen müssen wir wieder fit sein. Dafür gehört der Alkoholkonsum immer mehr zum Ausgehen dazu, deshalb steigen in diesem Bereich die Werte. Die italienische Tradition „vino a tavola“ entwickelt sich zurück, da die bäuerliche Kultur, die sich nach dem Mittagessen ausruhen kann, zunehmend verschwindet. Der Konsum steht also in Zusammenhang mit den Rhythmen der Gesellschaft.
Frauen in Südtirol konsumieren deutlich mehr Alkohol im Vergleich zum restlichen Italien. Haben Südtirolerinnen eine andere Einstellung in Bezug auf Alkohol?
Genauso wie beim täglichen Konsum gibt es auch in diesem Bereich einen Kulturunterschied im Vergleich zum restlichen Italien. Frauen sind in Südtirol mehr am gesellschaftlichen Leben und somit auch am Alkoholkonsum beteiligt. Sie übernehmen die „schlechten“ Angewohnheiten der Männer genauso wie die „guten“. Außerdem wird Alkoholkonsum bei Frauen im Süden weniger akzeptiert.
11,3% Prozent der befragten Südtiroler konsumieren Alkohol in übermäßigen Mengen, dies wird von der ISTAT als Risikoverhalten eingestuft.
Diese Zahlen bestätigen sich auch international immer wieder: Etwa fünf Prozent der Bevölkerung ist alkoholkrank, zehn Prozent weisen einen problematischen Konsum auf, da sie zu viel und zu oft trinken. Diese beiden Gruppen ergeben 15 Prozent, doch die Studie schafft es nicht, alle alkoholkranken Menschen aufzuzeigen.
Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse dieser Studie?
Die Studie kann als grober Indikator betrachtet werden, denn sie hat den Vorteil dass sie national und auch regelmäßig durchgeführt wird. Man erkennt bestimmte Tendenzen, beispielsweise dass Italiener immer weniger trinken. Doch die einzelnen Risikogruppen kann man aus der Studie nicht ablesen.
Interview: Silvia Santandrea
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