„Falsche Hunde“
Der Wahlbeobachter Florian Kronbichler vergleicht das türkische Referendum mit der Renzi-Abstimmung in Italien. Und er erzählt, wie er von einem Istanbuler Taxifahrer ums Haxl gehaut wurde.
Tageszeitung: Herr Kronbichler, wie ist die Stimmungslage in der Türkei am Tag nach dem Referendum?
Florian Kronbichler: Am Tag danach herrscht noch eine gewisse Unsicherheit. Selbstverständlich sind auch die 51 Prozent, die für die Verfassungsreform gestimmt haben, Menschen, deren Entscheidung zu respektieren ist. Gleich nach Schließung der Wahllokale wurden jedoch Stimmen laut, wonach bei der Abstimmung geschwindelt worden sei. Deshalb sind wir in die Türkei gereist, um die Abstimmung zu kontrollieren. Doch die Beobachter sind auch nur Beobachter. Wenn der türkische Staat und Erdogan nur zum Teil so sind, wie sie von der Opposition dämonisiert werden, dann wird es sehr schwer, diese Wahlen zu kontrollieren.
Wie meinen Sie das?
Man hat uns von türkischer Seite gleich nach der Ankunft mitgeteilt, dass wir doch gescheiter daheim bleiben sollten. Zum Glück für mich reagieren die Türken den Italienern gegenüber sehr wohlwollend, sie werden alle als Berlusconi-Freude wahrgenommen. Erdogan schürt den ohnehin schon ausgeprägten Patriotismus in der Türkei und stilisiert sich als Gegner Europas. In der Rhetorik des Staatspräsidenten ist Angela Merkel der große Feind der Türkei – und Holland ist sowieso kein Land. Mit seinen Reden hat er bei den Auslandstürken offensichtlich einen guten Eindruck hinterlassen. In Deutschland wurde mehrheitlich Ja gewählt. Wahrscheinlich waren diese Stimmen maßgeblich für das eine Prozent, mit dem das Referendum letztlich entschieden wurde.
Wie nahmen sie die Proteste der Opposition wahr?
Der Taksim-Platz in Istanbul wurde am Sonntag von einem riesigen Polizeiaufgebot überwacht. Man erwartete sich zahlreiche Protestanten, die letztlich aber nicht gekommen sind. In Istanbul waren zwar Spannungen und eine nervöse Grundstimmung festzustellen. Repressionen seitens der Staatsgewalt gab es hier aber nicht. Deshalb empfand ich Oktavia Bruggers Aussage, wonach sie nicht einmal für einen halben Tag nach Istanbul zurückkehren würde, wo sie eine schöne Villa mit Blick auf das Gate besitzt, als überheblich.
Wie bewerten Sie den Wahlausgang?
Ich glaube, dass die Opposition mit dem Ergebnis besser abgeschnitten hat, als sie sich selbst zugetraut hätte. Für Erdogan ist das Ergebnis kein Triumph. Seine Großmachtambitionen wurden damit eingeschränkt. Er täte gut daran, nach diesem Ergebnis moderater aufzutreten. Auf seiner ersten Rede schlug Erdogan aber ganz andere Töne an: Er kündigte schon gleich ein Referendum gegen die EU und zur Einführung der Todesstrafe an. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich große Sympathien für die Opposition habe. Wir Europäer sollten aber mit unseren Belehrungen aufpassen. Wir wollen den Türken die Demokratie lehren. Nach dem Motto: Am europäischen Wesen soll die Welt genesen. Damit stärken wir aber nur das ohnehin schon große Anti-Europa-Ressentiment in der Türkei. Mich haben viele Türken gefragt, warum wir Europäer sie nicht haben wollen.
Das Land ist nach diesem Referendum noch gespaltener als bisher …
Die moderate, aufgeklärte, junge und städtische Schicht sowie die Kurden haben stark Nein gewählt. Das sieht man an den Ergebnissen in der 15-Millionen-Metropole Istanbul und in der Fünf-Millionen-Stadt Ankara. Auch im touristischen und am Meer liegenden Izmir sprachen sich die Bürger gegen die Reform aus. Diese Gebiete haben europäisch gewählt, während in den ländlichen Gebieten für die Reform gestimmt wurde. Das ist ähnlich wie in Russland. Auch dort ist der Patriotismus in den ländlichen Gebieten – sozusagen in den „Kurtatscher Gebieten“ – stärker ausgeprägt als in den Städten Moskau und St. Petersburg.
Wie würden Sie den Inhalt des Referendums beschreiben?
Das türkische Referendum ist dem italienischen Verfassungsreferendum vom 4. Dezember sehr ähnlich. Auch damals ging es darum, alle Macht einem starken Mann zu verleihen. Die beiden Referenden stehen vergleichsweise im selben Verhältnis wie Mussolini und Hitler. Die Demokratie hat gerade keine gute Zeit. Viele Türken sind der Meinung, dass sie auf diesen Luxus verzichten können, wenn dafür der wirtschaftliche Aufschwung zurückkehrt. An Sendezeiten gemessen durfte Erdogan 28.000 Minuten für seine Reform werben, die Opposition hingegen nur 2.700 Minuten. Die Opposition hoffte, dass sich bei den Bürgern – ähnlich wie beim Brexit in Großbritannien – irgendwann ein Überdruss einstellen würde. Das Referendum wurde letztlich zu einer Abstimmung über die Regierung, die Erdogan für sich entscheiden konnte.
Haben Sie als Wahlbeobachter in irgendeiner Form einen Betrug festgestellt?
Ich habe bei der Taxifahrt zum Hotel 25 Euro gezahlt, die Rückfahrt kostete nur mehr zwölf Euro. Doch Scherz beiseite. Auch wenn schon ein Rekurs gegen das Referendum angekündigt wurde, glaube ich, dass das Ergebnis am Ende halten wird. Ich habe keinen Betrug festgestellt. Wahrscheinlich haben sie meinetwegen nicht geschwindelt (lacht). In der Türkei ist es so wie bei uns früher beim Militär. Immer wenn der General zu Besuch kam, wurde geputzt und aufgeräumt. Doch der General wusste, dass die Soldaten falsche Hunde sind. Und so ist es auch bei den Wahlen: Wo beobachtet wird, wird nicht geschwindelt.
Interview: Matthias Kofler
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