Der Auswanderer
Vor knapp zehn Jahren reiste der Unterlandler Helmut Pernstich Hals über Kopf nach Venezuela aus – ohne Papiere und unter falschem Namen. Jetzt will er zurück.
von Anton Rainer
Saludos aus diesem Mierda-Land“: Mit diesen Worten schließt Helmut Pernstich eine rund 800 Zeichen lange SMS an einen Freund in der Heimat. Es ist das Dokument eines Versuchs: Der Versuch eines unfreiwilligen Auswanderers, endlich nach Südtirol zurückzukommen.
Die Vorgeschichte: 2008 war Helmut Pernstich, der damals mit juridischen und familiären Problemen zu hadern hatte, Hals über Kopf nach Südamerika aufgebrochen – ohne Ausweis, Papiere und Pass, den er bereits damals wegen eines laufenden Verfahrens abgeben musste. Auch einen falschen Namen hatte sich Pernstich in Venezuela, wo er nach einer Schifffahrt als blinder Passagier landete, zugelegt. Das Ziel: Von italienischen Behörden unbehelligt ein zweites Leben in Südamerika beginnen.
„Er hatte dort ein Haus und einen Garten“, erzählt ein enger Bekannter, der dem unglücklichen Auswanderer in den vergangenen Wochen mehrere hundert Euro überwies, „aber er konnte immer nur einigermaßen davon leben.“ Ein landwirtschaftlicher Selbstversorger mit gefälschter Identität muss auch in Venezuela schauen, wo er bleibt.
Dass sich Pernstich seine Zeit im Exil unter anderem mit dem Schnapsbrennen vertrieb, beweist ein Forumseintrag aus dem Jahr 2010. Damals erkundigte sich der gebürtige Unterlandler auf einer Website für Destillate nach dem richtigen Weg, „Maische zum Gären“ zu bringen. „Wohne in Suedamerika und habe vor 33 Tage eine Frucht (Guajaba) 25 kg. ähnlich wie Pfirsich nur süser kleingeraspelt“, schrieb Pernstich damals, „Hefe und ein wenig Zucker dazugegeben und in einer Plastickwanne gegeben.“ Schon einmal habe er das versucht, aber: „Rausgekommen ist nur Zuckerwasser.“ Nicht nur ein Hobby sollte das Schnapsbrennen abgeben, sondern einen Nebenverdienst zum täglichen Brot, so der Auswanderer – und eine kleine aber feine Erinnerung an die Heimat: „Kenne den Geruch da ich in einer Kellerei aufgewachsen bin und in dem Dorf Tramin in Südtirol waren in der Nähe auch 2 grösere Schnapsbrennereien.“ Auf Fotos, die der 56-Jährige in sozialen Netzwerken verbreitet, sind neben Schnapswannen auch kleine Obst-Plantagen zu sehen, Nutztiere und er selbst im Muskelshirt – derart abgemagert, dass sich in Kommentaren auch seine früheren Bekannten um ihn sorgen: „Iss mol wos gscheids, a poor knedl oder so. Bisch lei mehr haut und knochen.“
Tatsächlich sei es vor allem die Wirtschaftskrise ab 2014 gewesen, die Pernstich besonders zugesetzt habe, erinnert sich ein Südtiroler Freund. Die Wirtschaftsleistung Venezuelas war innerhalb kürzester Zeit bis September 2015 um über 4,5 Prozent gesunken, während die Inflationsrate auf 141,5 Prozent kletterte, der zu diesem Zeitpunkt höchste Wert weltweit. Spätestens damals wuchs bei Pernstich der Wunsch nach einer Rückkehr nach Südtirol. Als der Unterlandler bei der italienischen Botschaft in Caracas vor verschlossenen Türen stand, schlug er sich bis nach Kolumbien durch – wo man ihn angeblich wegen fehlender Dokumente kopfschüttelnd abwies. Die Lösung: Denselben Weg nach Europa nehmen, der ihn vor Jahrzehnten nach Venezuela geführt hatte. „Bin fost jeden zweiten Tog im Zollhafen in Guanta, noch an Frachtschiff ausschaugn“, schrieb Pernstich vor zehn Tagen an einen Freund in Bozen, „Hon a por gfrog, obr jedesmol eine Absage gekriegt. Denn sie wolln nix riskieren.“ Aber: „No gib i nit auf, hon oane Tiefkùhltruhe verkafn gekennt, so kimm i no weiter. Hon no einige Hausholtsgeràte zu verkafn.“ Bei seinen Bekannten in Südtirol wächst derweil der Unmut: Den Jugendlichen in Thailand habe man damals doch geholfen – warum ihrem Freund nicht? Liegen könnte es zum Beispiel an Pass und Papieren, die Pernstich weiterhin fehlen. Eine politische Intervention dürfte in so einem Fall deutlich schwieriger sein.
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