Toni Erdmann ist da
Fast ein Jahr hat es gedauert bis der deutsche Oscarkandidat„Toni Erdmann“ nach Südtirol kommen durfte. Die ewigen minderheitenpolitisch ungelösten Lizenzgeschichten.
von Renate Mumelter
Über Maren Ades „Toni Erdmann“ wurde seit seiner Premiere im Mai 2016 so gut wie alles geschrieben. Dass Simonischek und Hüller herrlich spielen, dass es sich um eine Komödie handelt, welche die Welt der neoliberalen Revolution beschreibt und als Gradmesser gesellschaftlicher Untiefen gelesen werden kann. Alles richtig. Fakt ist auch, dass „Toni Erdmann“ in seinen 162 Minuten nie fad wird, vorausgesetzt man sieht die deutsche Originalfassung (derzeit im Filmclub). In der italienisch synchronisierten Version geht viel verloren, der Wortwitz zum Beispiel, die Mehrsprachigkeit der Businesswelt, die Sprechkunst der Hauptdarsteller.
Ich hatte Vorbehalte gegen diesen wild verkleideten Peter Simonischek mit den gelben Zähnen, fürchtete billigen Klamauk. Aber nein. Die Verkleidung, die Winfried Conradi in Toni Erdmann verwandelt, hält. Sie hält genauso wie die Verkleidung von Tochter Ines. Ständig zupft sie ihr schwarzes Businessjackett über der weißen Bluse zurecht, stöckelt, auch wenn’s weh tut, und wenn der Druck steigt, räuspert sie sich freundlich und reibt unmerklich ihre Finger aneinander. Das alles mit starrem Managementblick, der ab und zu weich werden kann, wenn das Mädchen von früher durchkommt. Dieses vegetiert im Leben der erfolgreichen Unternehmensberaterin ganz am Rande dahin. Köstlich und aussagekräftig ist Ines‘ stummer Kampf mit dem Reißverschluss am schmalen Etuikleid samt High Heels. Er endet mit Ines‘ ungewöhnlichen Entschluss, vorübergehend aus dem Erfolgskorsett auszusteigen. Sie macht sich nackt.
Das alles spielt in Bukarest, wo Armut und globaler Reichtum nebeneinander leben. Ihr Vater, ein Altachtundsechziger und Musiklehrer schaut vorbei, weil er sein Mädchen besuchen und beschützen möchte. Er, der Anarchotyp, schmeißt sich in die unglaublichsten Outfits und mischt als fikitver Toni Erdmann in der großen Welt des Scheins mit.
Maren Ade entwickelt eine ganz eigene Form von nachdenklichem Witz, etwas ganz Neues im Kino. Sie hat mutig hoch gepokert, und sie hat gewonnen.
Toni Erdmann (DE/AT/RO 2016), 162 Min., Regie: Maren Ade mit Peter Simonischek, Sandra Hüller. Bewertung: Amüsant, nachdenklich, ätzend, klamaukfrei. Ein Muss
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