„Jetzt reden wir“
Die beiden Südtiroler Jugendlichen, die in Thailand wegen Fahnenschmähung verhaftet wurden, erzählen von „erhöhtem Alkoholkonsum“, der eigenen „Dummheit“ und den politischen Folgen.
Seit rund einem Monat sind Ian Gerstgrasser und Tobias Gamper wieder zuhause.
Die beiden Naturnser waren wegen des Vorwurfs der Fahnenschmähung, noch dazu auf einem Überwachungsvideo aufgenommen, im thailändischen Knast gelandet.
Nur durch Interventionen des italienischen Außenministeriums kamen die Südtiroler Jugendlichen frei – nicht ohne vorher durch einen unüberlegten Satz der Entschuldigung („In unserem Land sind Fahnen nicht so wichtig”) einen wahren Shitstorm herauszufordern.
Lange verweigerten die Naturnser Burschen in den Wochen danach Gespräche mit den Medien.
Erst jetzt erklärt Ian Gerstgrasser in einem langen Facebook-Post, was ihn bewegt. Er entschuldigt sich für ihr „unüberlegtes Handeln“ – und schießt scharf gegen die „vielen unfehlbaren Tastaturhelden.“
Ian Gerstgrasser schreibt:
„Für all jene, die uns in den letzten Wochen auf die ein oder andere Weise begleitet haben, und nicht zuletzt für uns selbst, eine Schilderung der Geschehnisse in Thailand, durch die wir diese Episode unseres Lebens zum Abschluss bringen und durch die wir auch die anhaltende journalistische Neugier ein für alle mal befriedigt wissen möchten:
Abends in Krabi amüsierten wir uns in ausgelassener Stimmung in den verschiedenen Pubs, genossen unseren Urlaub und das unbeschwerte Feiern.
Gegen Mitternacht nahmen wir dankend das Angebot eines Tuk-Tuk-Fahrers an, der versprach, uns in eine angesagte Disco zu bringen.
Am Zielort angelangt, war bald klar, dass wir in diesem Viertel fast die einzigen Touristen waren, was uns aber nicht im Geringsten störte.
Im Gegenteil, wir finden es sehr bereichernd, auch abseits der Touristen-Hotspots, Land und Leute in ihrer ,Originalität‘ zu erleben.
Dass wir, als Touristen, in besagter Disco anstatt der angeschriebenen 20 Bath stattliche 100 Bath Eintritt entrichten mussten, nahmen wir mit einem leicht verstimmten Schulterzucken aber in Kauf.
Wir waren guter Dinge, wollten trinken, tanzen und Spaß haben.
An der Theke und auf der Tanzfläche amüsierten wir uns prächtig mit den einheimischen Gästen, bis es irgendwann zu einem typisch, dem Alkohol zuzuschreibenden, Missverständnis kam, bei dem Tobias wegen einer Nichtigkeit von einem Mann grob angegangen wurde.
Nach einer kleinen Rempelei fing ich mir einen Faustschlag mitten ins Gesicht ein, den ich allerdings unquittiert einsteckte, in der Hoffnung, nach Bereinigung dieses Missverständnisses, weiterhin Spaß zu haben.
Zu diesem Zweck verließen wir mit besagtem Mann das Lokal, um den Vorfall friedlich zu klären. Leider kam es nicht dazu. Der Mann ignorierte uns und ging wieder in die Disco zurück. Uns hingegen wurde der erneute Zugang zur Disco durch den Türsteher verwehrt. Trotz mehrmaligen Nachfragen und der Bitte um eine Erklärung wurden wir nicht mehr beachtet.
Hinsichtlich des ungünstig verlaufenden Abends, waren wir nun sehr enttäuscht und mittlerweile auch verärgert, nicht nur über den zehnfachen Eintritt, den wir bezahlen mussten.
Diese „Ungerechtigkeiten“ wollten wir so nicht hinnehmen, weshalb wir versuchten unser Anliegen mit Hilfe der Ordnungshüter offiziell zu regeln. Die eintreffenden Polizisten nahmen uns natürlich kein bisschen ernst, sie forderten uns lediglich auf, sie in die Kaserne zu begleiten.
Im Nachhinein ist uns selbstverständlich klar, dass dies sehr naiv gedacht war. Doch in Anbetracht der von uns als „Diskriminierung“ empfundenen Behandlung, wollten wir die Sache nicht so stehen lassen.
Immer noch in der Hoffnung „Gerechtigkeit“ zu erfahren, und, weil mich die Polizisten zur Eile drängten, rannte ich schnell zu Tobias, der sich etwas abseits aufhielt. Leider rutschte ich dabei auf dem nassen Fliesenboden aus, stürzte unglücklich und prallte mit voller Wucht auf meine linke Schulter.
Vor etwa drei Monaten zog ich mir genau an dieser Stelle eine schmerzhafte Luxation zu, die ich allerdings durch tägliches Training therapiert habe, sodass die Schulter wieder einigermaßen stabil war.
Nun, durch diesen Sturz, renkte sich meine Schulter erneut aus. Während ich unter starken Schmerzen in die lachenden Gesichter der Polizisten sah und mir die Schulter wieder selber repositionierte, war auch Tobias wieder neben mir, und wir wurden auf die Polizeistation gebracht.
Dort wurden wir weiterhin ignoriert, bis die Beamten uns in sehr brüchigem Englisch zu verstehen gaben, dass sie uns zum Hotel bringen würden. Infolgedessen verließen wir in einer Nebenstraße unserer Unterkunft, völlig unverrichteter Dinge, das Polizeiauto.
Enttäuschung, Wut, Schmerz und Zorn waren das, was wir fühlten. Verstärkt durch den übermäßigen Alkoholkonsum, empfanden wir den gesamten späten Abend als eine einzige Ungerechtigkeit.
In beschriebener Verfassung kamen uns diese herunterhängenden Fahnen gerade recht, ohne nachzudenken und ohne darauf zu achten, um welche es sich handelte, ließen wir unseren angestauten Frust an ihnen aus.
Im Hotel angekommen, fielen wir in unsere Betten und schliefen dort unseren sehr beachtlichen Rausch aus, dem ein ordentlicher Kater folgte. Wieder nüchtern und Herr unserer Sinne, ließen wir den Vorabend Revue passieren.
Wir schämten uns ob unserer „Dummheit“, aber vor allem unseres begangenen Vandalismus wegen. Wir schämten uns vor uns selbst, denn sonst hatte uns keiner gesehen, wie wir zu diesem Zeitpunkt noch glaubten.
Wir wollten unser törichtes Verhalten schnellstmöglich beiseiteschieben, ich suchte aufgrund meiner starken Schulterschmerzen einen Arzt auf und wir waren völlig überrumpelt, als die Polizeikräfte uns zwei Tage später im Hotel empfingen.
Der Rest der „Geschichte“ dürfte hinlänglich bekannt sein, was vor allem der unverhältnismäßigen, pompösen Berichterstattung und den sozialen Medien zu „verdanken“ ist.
Unsere Tat wurde zu einem „Schwerverbrechen“ hochstilisiert. Kein Lebewesen hat durch unsere Tat direkten Schaden erlitten, und doch sind unsere Namen, unsere Gesichter, unsere Arbeitsstellen, unsere Wohnorte mittlerweile jedem bekannt.
Doch damit nicht genug. Jeder meint, auch unsere Intention zu kennen und uns damit politisch instrumentalisieren zu dürfen.
Sämtliche Interpretationen jeglicher Richtung, möchten wir hiermit revidieren und klarstellen, dass wir zu keinem Zeitpunkt einen politischen Hintergedanken, weder Thailand noch Italien gegenüber, hatten.
Die Aussage über die Flagge in unserem Land tut uns sehr leid und war nicht so gemeint. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
In Anbetracht der unendlichen Nervosität, des Schockzustandes und der heillosen Angst, die Freiheit zu verlieren, waren wir, ohne die Möglichkeit uns darauf vorzubereiten, nicht in der Lage, uns in einer fremden Sprache verständlicher auszudrücken.
Es war wirklich nie unsere Absicht, jemanden zu beleidigen.
Absicht unterstellen wir hingegen den vielen unfehlbaren Tastaturhelden, die sich über sämtliche Kanäle lauthals zu Wort meldeten.
Schadenfroh wurde uns das Schlimmste an den Hals gewünscht, gar nicht selten wurden wir „zu Tode verurteilt“ und unsere Familien bedroht.
Wir unsererseits wünschen nicht einmal diesen „mutigen“ Kommentatoren, dass sie jene Angst durchleben müssen, wie wir es mussten. Wir wünschen ihnen, dass sie niemals in eine ähnliche Situation geraten. Wenn doch, erwarten wir uns von ihnen allerdings die Aufrichtigkeit und Größe, dann genau gleich zu argumentieren.
Absicht steht aber auch hinter den Handlungen der wohlwollenden, helfenden Personen, die uns und unseren Familien in dieser schweren Zeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden sind.
In Thailand, wie auch zu Hause, gab es Menschen, die neben den offiziellen Interventionen, auch im Hintergrund für uns da waren. All diesen gilt unser größter Dank.
In diesem Sinne möchten wir uns auch bei allen entschuldigen, die zu Hause um uns gebangt haben, allen voran bei unseren Familien und Freunden.
Wir haben Fehler gemacht, die wir sehr bereuen und aus denen wir sehr viel gelernt haben.
Wir wollen mit dieser Darstellung nichts für gut heißen oder beschönigen.
Es war uns aber ein Anliegen, unsere Sicht der Dinge in Worte zu fassen und damit diesen Fall zu beenden.
Möge jeder seine eigenen Schlüsse daraus ziehen, und vielleicht ein nächstes Mal, in einem anderen Zusammenhang, etwas zurückhaltender berichten und urteilen.
Wir werden weiterhin unseren Weg gehen und dabei ganz, ganz oft von diesen wertvollen Erfahrungen zehren.
Vielen Dank.“
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