Geimpfte Abgeordnete
Südtirols Impfgegner fürchten sich vor den Plänen des Gesundheitsministeriums – und bombardieren den Landtag mit hunderten Kampagnen-Mails.
Von Anton Rainer
Einen starken Spam-Filter brauchten Südtirols Landtagsabgeordnete schon in den letzten Jahren: Wer sich, wie die meisten Fraktionen, keinen ständigen Mitarbeiter fürs hauptberufliche Aussortieren unerwünschter Mails leisten kann, muss die Technologie für sich arbeiten lassen – oder Briefkampagnen engagierter Lobbys geduldig ertragen. Aktuell werden Südtirols Landtagsabgeordnete mit einer konzertierten Aktion der Gruppe der Impfgegner regelrecht bombardiert. Hunderte Mails trudelten in den letzten Wochen in den Posteingängen der Landespolitiker ein – eine Lawine von Texten mit immer gleichem Inhalt und ausschließlich in italienischer Sprache. „Wir werden ordentlich geimpft“, scherzt ein Abgeordneter gegenüber der TAGESZEITUNG, „da ist eine starke Lobby am Werk.“ In der Tat liest sich die Mail-Flut wie eine innerhalb der Region gut abgesprochene Kampagne mit unbekanntem Urheber. So heißt es in den immer gleichen Appellen:
Ich bitte darum, dass die Stimmen der tausenden Familien, die sich dazu entschlossen haben, ihre Kinder nicht oder nur mit einem Teil der Stoffe impfen zu lassen, um ihre Gesundheit zu schützen, auch gehört werden. Außerdem sollen jene Personen angehört werden, die durch diese medizinische Praxis schwerste Schäden davongetragen haben.
Der schriftlichen Aufregung liegt eine Ankündigung von Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin zugrunde. Sie hatte sich vor wenigen Tagen (die TAGESZEITUNG berichtete) gemeinsam mit Vertretern der Regionen auf eine tiefgreifende Änderung der nationalen Impfpflicht geeinigt. Demnach sollen bisher lediglich „empfohlene“ Nadelstiche wie die Masern- oder HiB-Impfung künftig verpflichtend werden. Und: Kinder, deren Eltern nichts von früher Infektionsvorbeugung halten, sollen künftig nicht mehr in den Kindergarten oder in die Schule dürfen. Zwar äußerte nach der Ankündigung aus Rom auch Südtirols Landespolitik berechtigte Zweifel an derartigen Zwangsmaßnahmen – Gesundheitslandesrätin Martha Stocker etwa warnte davor, die Grundrechte auf Bildung und Gesundheit gegeneinander auszuspielen – bei den Impfgegnern aber vermutet man die Übeltäter dennoch im Landtag:
Wollt ihr wirklich, dass ein solcher Wahnsinn genehmigt wird? […] Wer wird diese Verantwortung an der Gesundheit unserer Kinder auf sich nehmen? Eines ist sicher: Wir werden überall Rekurse vorbringen, um uns gegen all das zu wehren, fest im Bewusstsein, die Gesundheit von tausenden Kindern zu schützen. Wir werden uns dieser Erpressung nicht beugen.
Dem Land sind die Hände in dieser Frage übrigens gebunden, wie Landesrätin Martha Stocker nach Bekanntwerden des Abkommens bedauerte. Gegen das Grundrecht auf Gesundheit, so es in einem eventuellen Gesetzestext in Bezug auf neue Pflichtimpfungen formuliert wird, werde das Land in keinem Fall ankommen. Anpassungen wären höchstens bei den rund 250 Euro teuren Strafen für Impfverweigerer möglich, ein entsprechender Beschlussantrag wurde jedoch erst im vergangenen Jahr abgeschmettert – den italienweit niedrigsten Impfquoten sei Dank. Auch deswegen erwarten sich die Impfgegner in erster Linie eines: Unterstützung.
Wir erwarten uns ein Zeichen des Respekts gegenüber einem großen Anteil eurer Bevölkerung und Wählerschaft, die nichts gegen das Grundprinzip der Impfung haben, wohl aber gegen Zwangsmaßnahmen, die unser Land Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zurückwerfen.
Wer organisatorisch hinter den Copy- und Paste-Nachrichten steht, ist indes unklar. Auf regionaler Ebene arbeiten Ableger der impfskeptischen „ASSIS – associazione di studi e informazione sulla salute“ seit Monaten an entsprechenden Kampagnen, auf Facebook wird gegen „Killer-Impfungen“ Stimmung gemacht. Die Vereinigung „Vaccinare Informati“ organisierte Anfang Jänner mehrere Filmvorführungen alternativmedizinisch angehauchter Warn-Dokumentationen in Bozen und Trient. Für die auf den Webseiten der Impfgegner enthaltenen Warnungen vor Autismus und gefährlichen Schwermetallen mag es zwar bisher keine Belege geben – in der Sache der Pflichtimpfungen haben die Skeptiker aber bereits jetzt Verbündete in der Landesregierung. Da wie dort fürchtet man die Ausgrenzung von Kindern aus dem schulischen Alltag. Oder wie es in der Protest-Mail heißt:
„Tausende von Kindern aus dem Trentino und Südtirol werden eines grundlegenden Verfassungsrechts beraubt, diskriminiert und ghettoisiert.“
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