Sterben wir aus?
Pius Leitner und Sven Knoll liefern sich im Regionalrat einen offenen Schlagabtausch über Familie, Ehe und Fortpflanzung. Das Wortprotokoll.
von Matthias Kofler
Der Regionalrat in Bozen war am Mittwoch Schauplatz einer leidenschaftlichen Debatte. Die hochspannende Frage: Was ist eigentlich eine Familie?
Anlass war ein Beschlussantrag des Abgeordneten Alessandro Urzì. Darin wurde ein „besonderer Schutz für die traditionelle Familie und deren Fortpflanzungs- und Erziehungsfunktion“ gefordert. Die natürliche Familie, wie sie auch in der Verfassung genannt werde, sei der Kern unserer Gesellschaft und müsse bei allem gesellschaftlichen Wandel im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, so der Abgeordnete von Alto Adige nel Cuore.
Andreas Pöder (BürgerUnion) stellte sich hinter den Antrag und kritisierte, dass die heutige Familienpolitik „für eine kleine Minderheit der Bevölkerung“ gemacht werde. Der Abgeordnete sprach wörtlich von „Gender-Gaga“, einer „absurden Ideologie“, mit der man die traditionelle Familie zerstöre. „Wer behauptet, dass du von der Gesellschaft zum Mann oder zur Frau ,gemacht’ wirst, der hasst sich selber“, so Pöder.
Diese Gender-Kritik konnte Hans Heiss nicht unkommentiert stehen lassen. Die traditionelle Familie bilde weiterhin einen breiten Kern unseres Gesellschaftsverständnisses, daher könne er die Alarmstimmung nicht verstehen. Aber in einer pluralistischen Gesellschaft müsse man anerkennen, dass es auch andere Formen von Familie gebe. Das heutige Familienbild entstamme „den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts“, meinte der Grüne.
Einen offenen Schlagabtausch lieferten sich die beiden Rechtspolitiker Pius Leitner und Sven Knoll. ?Der Freiheitliche zitierte einen Philosophen, laut dem Familie überall dort sei, wo mehr als eine Person sei. Dies sei „ungeheuerlich“. „Nach dieser Logik kann ich mich ganz einfach mit dem Kollegen Bernhard Zimmerhofer zusammenschließen und eine Familie gründen, ohne schwul zu sein“, erläuterte Leitner. Die Linke protestiere bereits, wenn man von „natürlicher Familie“ rede. „Den Einsatz, den die Grünen beim Tierschutz an den Tag legen, wünsche ich mir auch beim Kinderschutz“, so der Freiheitliche weiter. Sein Credo: Unsere Gesellschaft habe zu wenig Kinder, es müsse das Umfeld geschaffen werden, um die Bereitschaft zur Fortpflanzung zu erhöhen.
Diese Aussagen brachten Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) in Rage. Man führe hier eine Scheindiskussionen über den Begriff der Familie, anstatt konkrete Maßnahmen zugunsten der vielen verschiedenen Formen von Familien vorzusehen. „Ich verwehre mich dagegen, Familie auf Ehe und Fortpflanzung zu reduzieren“, sagte Knoll. Man dürfe auch nicht davon ausgehen, dass eine Gesellschaft immer wachsen müsse.
Der Lega-Abgeordnete Claudio Civettini fragte daraufhin bei Knoll nach, wie er die Aussage gemeint habe. „Sie sind gegen ein Wachstum der Gesellschaft? Dann sind Sie offensichtlich auch mit der Perspektive einverstanden, dass die Tiroler langsam aussterben werden?“ Europa stehe unter einem hohen Migrationsdruck, und ohne eigenen Nachwuchs würde sich die Zusammensetzung der Bevölkerung rasch ändern. Bereits die Natur mache bestimmte Vorgaben für den Begriff von Familie. „Darin unterscheiden wir uns von den Tieren“, sagte Civettini und fügte ergänzend hinzu: „Mir geht es um den Schutz der Familie – mich interessiert nicht, mit wem meine Kollegen ins Bett steigen.“
Das Thema habe auch für die Regionalregierung große Bedeutung, erklärte die Familien-Assessorin Violetta Plotegher. Jeder wolle eine Umgebung mit vertrauten Personen, die gegenseitige Unterstützung und Gefühle biete. Man sehe die Entwicklung nicht ohne Sorgen, aber es gebe heute verschiedenste Formen von Familie, auch wenn Mutterschaft und Vaterschaft von der Natur vorgegeben seien. Die Familie, in welcher Form auch immer, nehme Funktionen wahr, die man mit der Familienpolitik unterstützen wolle: Nachwuchs, Erziehung oder Altenpflege. Die Regionalregierung nehme diese Pflicht wahr, direkt oder indirekt über die beiden Länder. Daher könne man den Antrag nicht annehmen.
Alessandro Urzì begrüßte Ploteghers Äußerungen, sie stimmten aber nicht mit der Ausrichtung der politischen Mehrheit überein. Der Relativismus gefährde die klassische Familie und damit den Kern unserer Gesellschaft. Der Regionalrat müsse hier ein Zeichen setzen.
Der Antrag wurde dennoch mit 19 Ja, 30 Nein bei vier Enthaltungen abgelehnt.
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