„Kein röchelndes System“
LRin Martha Stocker und Generaldirektor Thomas Schael reagieren auf den offenen Brief der Jungärzte und Medizin-Studenten.
Die Reaktion hat nicht lange auf sich warten lassen:
Am Dienstagabend reagierte Landesrätin Martha Stocker und Generaldirektor Thomas Schael auf den offenen Brief der Medizin-Studenten.
Darin heißt es:
„Sehr geehrte Jungärztinnen und Jungärzte,
Sehr geehrte Medizinstudentinnen und Medizinstudenten,
wir haben Ihren Brief dankend erhalten und erlauben uns, Ihnen eine offene Antwort zukommen zu lassen, um Raum für eine konstruktive Zusammenarbeit zu schaffen.
Zunächst einmal sehen wir in erster Linie das Gute: Wir sind froh, wenn das Südtiroler Gesundheitswesen und der Südtiroler Sanitätsbetrieb auch von außerhalb aufmerksam beobachtet werden. Denn nur, wenn man sich um jemanden sorgt, beäugt man dessen Maßnahmen kritisch und hinterfragt Details.
In diesem Sinne beweist Ihr Schreiben, dass Sie sich – obwohl einige von Ihnen bereits im Ausland arbeiten – zur Gesundheitsversorgung in Südtirol Gedanken machen und mit Ihrer Heimat immer noch verbunden fühlen.
Eines möchten wir auch gleich vorneweg betonen:
Vieles, von dem, was Sie schreiben, können wir nachvollziehen. Die bürokratischen Wege zum Facharzttitel, zur Anerkennung und Anstellung in einem öffentlichen Betrieb, wie es der Südtiroler Sanitätsbetrieb es ist, sind lang. Zu lang. Die zuständigen Landesämter der Abteilung Gesundheit standen jedoch in Vergangenheit den Auszubildenden stets mit Rat und Tat zur Seite.
Wir dürfen Sie aber auch einladen, in ihrem Unmut nicht alles durcheinander zu würfeln. Manches hängt zwar zusammen, ist aber dann doch getrennt zu betrachten, wenn man der Komplexität gerecht werden möchte.
Stichwort EU-Arbeitszeitgesetzgebung:
Wie Sie richtig schreiben, stellt die strikte Anwendung dieser Regelung den Sanitätsbetrieb vor große Herausforderungen und hat die schon enge Personaldecke noch einmal ordentlich verkürzt. Wenn Sie der Wahrheit die Ehre geben, so müssen Sie anerkennen, dass Südtirol in diesem Bereich verhältnismäßig früh tätig geworden ist und Vorsorge getroffen hat.
Die Verschärfung ist im Herbst 2015 eingetreten, als Italien bis dahin offene Aspekte sehr restriktiv auszulegen begann, bereits ab dem Jahr 2009 sind jedoch auf Landesebene entsprechende Vorbereitungen und Maßnahmen getroffen worden. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt haben Österreich und Deutschland begonnen, die EU-Arbeitszeitregelung durchgängig anzuwenden, mit riesigen Problemen und direkten Auswirkungen.
Die Polemiken und Schwierigkeiten in Nordtirol haben Sie sicherlich selbst verfolgt. Die Verschärfung in Südtirol ist demnach nicht die Folge eines Versäumnisses auf lokaler Ebene (und schon gar nicht der Gesundheitspolitik), sondern hat mit der Dynamik eines immer internationaler werdenden Arbeitsmarktes zu tun.
Auch bezüglich der Facharztausbildung gilt es zu differenzieren: Südtirol verfügt weiterhin über zwei funktionierende Ausbildungsschienen; einmal die Möglichkeit via Stipendium im Ausland den Facharzt zu machen, eine zweite über reservierte Plätze an italienischen Universitätskliniken. Nach wie vor sind Abteilungen und Dienste im Rahmen dieser Ausbildungsschienen in Südtirol akkreditiert.
Was aktuell „hängt“, ist die Variante über die österreichische Ärztekammer mit Ausbildungszeiten in Südtirol. Das italienische Bildungsministerium erkennt diesen Facharzt nicht mehr an, die österreichische Ärztekammer hingegen erkennt die Zeiten im Moment nicht an.
Das hat aber nichts mit einer eventuell mangelnden Qualität an unseren Krankenhäusern zu tun. Ich kann Ihnen versichern, dass derzeit von Seiten der Politik alle Anstrengungen unternommen werden, dieses Modell wieder zu ermöglichen. Eine Lösung sollte konkret in kurzer Zeit möglich sein.
Auch die „Dienstverordnung“ ist Lichtjahre von der „modernen Sklaverei“ entfernt.
Wenn Sie sich vor Augen führen, dass wir in Südtirol rund 300 Ärzte mit Werkvertrag haben, von denen viele aufgrund des Urteils eines Arbeitsgerichtes aktuell befürchten müssen, ihren Vertrag nicht verlängert zu bekommen, so können Sie sich vermutlich ausmalen, dass diese Form der Beauftragung nicht ungelegen kommt, sie ist de facto ein Anstellungsverhältnis, das Krankenversicherung, Pensionseinzahlungen, Recht auf Aus- und Weiterbildung u.a.m. garantiert.
Die befristete Anstellung ermöglicht es dem Betrieb, prekäre Arbeitsverhältnisse in den unterbesetzten Abteilungen und Diensten in Anstellungen zu verwandeln. Die Betriebs-Gewerkschaften tragen diesen Weg geschlossen und voll mit.
Uns ist schon klar: diese Maßnahmen sind Übergangslösungen. Sie müssen aber die Dimensionen und Überlegungen, die dahinter stecken, mitdenken. Unser Ziel ist es mittelfristig über hochqualifizierte festangestellte und voll zweisprachige MitarbeiterInnen zu verfügen. In dieser Optik sind Sie, als künftige Fachkräfte, die zudem perfekt zweisprachig sind, unsere „prioritäre“ Zielgruppe. Wir haben mit den letzten Gesetzesmaßnahmen die Zweisprachigkeit verstärkt. Alle Angestellten, die nicht im Besitz der richtigen Zweisprachigkeit sind, werden verpflichtet – und dies zum ersten Mal – die angebotenen Sprachkurse zu besuchen. Wer dann die entsprechende Zweisprachigkeit nicht besitzt, kann mit keiner Verlängerung der Beauftragung rechnen.
Diese Vorgangsweise ist eng zwischen der Landesregierung und dem Sanitätsbetrieb abgesprochen. Damit können wir ein latent vorhandenes Problem in strategischer Art und Weise angehen. Wir glauben auch, dass wir gute bis sehr gute Voraussetzungen haben, den Südtiroler Sanitätsbetrieb im mitteleuropäischen Umfeld als attraktiver Arbeitgeber zu etablieren.
Notwendig sind dazu, davon sind wir zutiefst überzeugt, einige „Paradigmenwechsel“, zu denen wir auch Sie einladen. Wir laden Sie dazu ein, in die konstruktive Auseinandersetzung zu kommen. Das Südtiroler Gesundheitswesen ist kein „kränkelndes röchelndes System“, in dem „weitergewurschtelt“ wird. Auch das Niveau der angebotenen Gesundheitsversorgung ist hoch und keineswegs provinziell. Dies beweisen die vielen Auszeichnungen, Dozentenberufungen, Einladungen zur Fachvorträgen bis hin zu den guten Zufriedenheits- und Umfrageergebnissen (auch auf staatlicher und internationaler Ebene), die der Südtiroler Sanitätsbetrieb vorzeigen kann. Auch unsere Ärztinnen und Ärzte investieren jährlich sehr viele Stunden und Tage in Weiterbildungen und Stages, die in die ganze Welt führen. Ein guter Arzt wird immer darauf achten, fachlich optimal fit zu sein und sich deshalb nicht damit zufriedengeben, nur eine Sichtweise der Medizin zu kennen.
Auch was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anlangt, können wir Ihnen versichern, dass der Südtiroler Sanitätsbetrieb im staatlichen und internationalen Vergleich gut da steht. Der Sanitätsbetrieb ist ein öffentlicher Arbeitgeber und bietet nicht zuletzt deshalb jungen Müttern einige Möglichkeiten mehr als nur die „klassischen“ neun Monate nach der Geburt: Teilweise bezahlter Wartestand, unbezahlter Wartestand, Stillzeiten, Teilzeitoptionen, betriebseigene Kindertagesstätten, Sabbatjahr … um nur einige zu nennen. Vielleicht erreichen wir nicht den Standard der nordeuropäischen Länder im Angebot zu den Sozialleistungen für junge Familien, doch verglichen mit Privatbetrieben ist das öffentliche Gesundheitswesen hier wahrscheinlich eine positive Ausnahme.
Schlussendlich die Forschung: Vor einigen Monaten hat der Betrieb die Errichtung einer eigenen Stelle beschlossen, die Schnittpunkt zwischen Forschung und Klinik sein wird. Auch die gute Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie z.B. der Europäischen Akademie Eurac Research beweisen, dass wir auf gutem Wege sind.
Geschätzte Jungmedizinerinnen und –mediziner, dies sind nur einige Gedanken, die wir erwidern können. Wir sind überzeugt, dass Südtirol über ein gutes, konkurrenzfähiges Gesundheitswesen verfügt. Wir müssen nur aufhören, es dauernd schlechtzureden und vor jeder kleinen Herausforderung einzuknicken. Machen wir uns auf den Weg, dann können wir noch besser werden und zu den Besten an der Schnittstelle zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz werden.
Wir würden uns freuen, diesen Austausch mit Ihnen zu vertiefen und laden deshalb eine Delegation von Ihnen ein, offene Fragen zu besprechen, am kommenden Montag, den 23. Jänner 2017 um 18.30 Uhr im Landhaus 12.“
LESEN SIE AM MITTWOCH IN DER PRINT-AUSGABE:
- Das Interview mit Primare-Sprecher Hubert Messner.
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