Die Pläne des Rektors
Das große Interview mit dem neuen Rektor der Uni Bozen, Paolo Lugli: Über seine großen Pläne, die Geisteswissenschaften und die Baustelle Bildungswissenschaft.
Tageszeitung: Herr Professor Lugli, Sie hätten Ihr Amt als Rektor der Universität Bozen schon im Oktober in Bozen antreten sollen …
Paolo Lugli: Das war der Wunsch in Bozen, aber ich war Dekan der riesigen Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik in München. Eigentlich hätte ich bis September 2017 dort bleiben sollen, aber dann haben wir uns darauf geeinigt, dass ich bis Ende des Jahres bleibe und danach der Pro-Dekan übernimmt.
Die Technische Universität München ist eine der Exzellenzuniversitäten Deutschlands. Warum sind Sie dem Ruf der vergleichsweise kleinen Universität Bozen gefolgt?
Ich habe als Dekan in München gemerkt, dass ich nicht nur forschen und lehren kann, sondern auch in der Verwaltung Fähigkeiten habe. Wenn man Dekan ist, gibt es auf der Karriereleiter nicht mehr viele Schritte nach oben, einer davon ist Rektor zu werden. Natürlich ist Bozen im Vergleich zum Politecnico in Rom oder der Bocconi in Mailand klein, aber diese Kleinheit ist auch ein Vorteil. Der Aufgabenbereich ist überschaubar und die Uni kann noch wachsen. Bozen liegt zwischen meiner Heimatstadt Modena und München, es hat enge Beziehungen zum Norden und es ist eine wunderbare Stadt. Es war nicht geplant, dass ich eines Tages nach Bozen kommen würde, es ist auf mich zugekommen … Warum nicht?
Ihre verwalterischen Fähigkeiten in Ehren, aber in Ihrem Herzen sind Sie doch Forscher.
Ich bin Forscher und es ist auch vom Unirat gewünscht, dass ich weiter forsche. Ich war in München Dekan, aber gleichzeitig hatte ich 20 Doktoranden. Ich gehe nicht direkt ins Labor, aber ich betreue die Doktoranden, kaufe die Geräte und schreibe die Artikel. Ich glaube, das ist auch hier in Bozen möglich.
Sie sind Professor für Nanoelektronik, ein Fach, das es an der Uni Bozen nicht gibt. Werden oder wollen Sie die Uni stärker in eine technische Richtung ausrichten?
In der Fakultät für Wissenschaft und Technik gibt es bereits technische Bereiche. Wo ich Möglichkeiten der Zusammenarbeit sehe, ist die Agrarwissenschaft. Das ist ein Bereich, der sehr im Trend ist. Die Agrarwissenschaft braucht die Technik und die Technik braucht die Agrarwissenschaft. In diesen Bereichen muss die Uni auf der Höhe sein und mitmachen. Es wurden gerade drei neue Professoren berufen. Ich selbst werde Sensoren zur Beobachtung von Pflanzen entwickeln. Weitere Bereiche sind Energie und Industrialisierung. Für mich ist es wichtig, mit anderen zusammenzuarbeiten, etwas mit dem Technologiepark. Ich bin schon seit 20 Jahren im Ingenieurbereich und die Vernetzung mit der Industrie ist absolut wichtig. Dem Unternehmerverband hier in Südtirol ist bewusst, dass eine Zusammenarbeit mit der Universität wichtig ist.
Ein Forschungspool, um das Land konkurrenzfähig zu machen?
Genau. Bayern zum Beispiel ist wirtschaftlich deshalb so stark, weil die Industrie eng mit Fraunhofer, mit dem Max-Planck-Institut und mit den Universitäten zusammenarbeitet. Alle meine Doktoranden, die theoretisch zur Nanoelektronik oder Nanotechnologie gearbeitet haben, finden einen Job bei BMW oder Siemens, weil die Firmen nicht nur die Forschungsarbeit schätzen, sondern auch die Kompetenzen, die Kultur, die Tiefe. Das gibt es in Italien leider nicht und auch in Südtirol nicht.
Wir haben keine Weltfirmen wie BMW. Wie kann die heimische Industrie konkret von der Universität profitieren?
Auch in Bayern gibt es die Mittelstandsunternehmer, das Technologieniveau der Unternehmen ist unabhängig von der Größe. Beide Universitäten, die Technische und die Maximilian-Universität, haben Hunderte von Spin-off gestartet und sie sind sehr erfolgreich. Die sind von Doktoranden gegründet worden und machen ein super Business. Dieses Modell ist auch hier in Südtirol möglich. Kleinunternehmen und neue Unternehmen können in engem Kontakt mit der Universität wachsen.
Welche Vision haben Sie für die Uni Bozen?
Laut den Rankings ist die Universität Bozen trotz gewisser Schwächen relativ gut dran, im Sole 24ore hat sie den vierten Platz der nichtstaatlichen Universitäten erreicht. Das ist nach 20 Jahren ihres Bestehens eine hervorragende Position, aber darauf darf man nicht sitzen bleiben. Wir werden von der Provinz finanziert, weshalb das erste Ziel sein muss, dass das Territorium Vorteile von der Universität hat. Die Beziehungen zur Eurac und der Laimburg müssen verstärkt werden, ebenso zu Innsbruck und Trient, um etwa in Ingenieurswissenschaften, die wir nicht haben, gemeinsame Curricula anzubieten. Das macht uns attraktiver. Außerdem muss die Uni Bozen auf internationaler Ebene viel besser vernetzt sein. Gerade haben wir eine Vereinbarung mit der Technischen Uni München geschlossen.
Welche Haltung haben Sie zu den Geistes- und Sozialwissenschaften?
Sie sind sehr wichtig. In München gibt es auf der Technischen Universität im Rahmen von Excellenzinitiativen neue interdiszipinäre Zentren, zum Beispiel eines zur Auswirkung der Wissenschaft auf die Gesellschaft, wo Psychologen und Soziologen mit Naturwissenschaftlern zusammenarbeiten. Wir haben eine Fakultät für Design und Kunst – da gibt es enorme Potentiale, wenn Naturwissenschaftler mit Designern zusammenarbeiten. Die geisteswissenschaftlichen Fakultäten müssen gestärkt werden. Natürlich gilt auch für sie, dass sie dem Territorium dienen müssen.
Die größte Fakultät und auch die größte Baustelle ist die Bildungswissenschaft in Brixen. Sind Sie über die Situation dort informiert?
Ich habe mit der Dekanin gesprochen. Die Situation ist sehr komplex und ich kann nicht sagen, dass ich alles verstanden habe. Es gibt zwei verschiedene Schulsysteme, die Auswirkungen haben auf die Bildung. Da muss ich noch einiges lernen. Man muss das italienische Schulsystem berücksichtigen und gleichzeitig auch die Spezifizität von Südtirol und des deutschsprachigen Raumes. Ich habe aber schon einige verbesserungswürdige Punkte ausgemacht. Wichtig ist, dass dort auch geforscht wird, denn es gibt keine Bildung ohne Forschung. Wir müssen schauen, dass sich das Niveau der Forschung auch in den Geisteswissenschaften erhöht. Wie gesagt: es ist so komplex, dass ich mich erst einarbeiten muss.
Es gibt Handlungsbedarf.
Ja, das habe ich gehört.
Die Universität Bozen stellt eine gewisse Anomalie in der Universitätslandschaft dar, insofern die Figur des Präsidenten sehr stark ist. Ist das ein Problem für Sie?
Das System ist ähnlich wie das amerikanischer Universitäten. Mir ist dieses System mit zwei Köpfen, die es leiten, nicht unbekannt. Vom Statut her ist relativ klar, wer welche Funktionen hat und es gibt den Universitätsrat. Die Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Ich habe mit Präsident Bergmeister eine hervorragende Beziehung. Ich sehe kein Problem, die Ausrichtung wird gemeinsam entschieden.
Gehört es zu Ihren Aufgaben, auch Drittmittel einzutreiben?
Das wäre eines der großen Ziele. Jede Fakultät soll in der Lage sein Drittmittel zu akquirieren. Das ist schwierig, aber es ist überall schwierig, das war es auch in München. Das Geld, das wir von der Provinz bekommen, ist nicht für die Ewigkeit. Es gab schon Kürzungen, es gibt Krisen, man kann nicht erwarten, dass die Provinz immer wieder das gleiche Geld gibt, und wir wollen wachsen. Es ist gesund, wenn eine Universität selbst Geld generieren kann.
Die Uni ist hoch finanziert, aber die Studentenzahlen stagnieren bei 3000. Sollte sie weiter wachsen? Wie groß soll sie werden?
Hier in Bozen hat das Wachsen mit der Logistik zu tun. Es ist sinnlos zu sagen, wir wollen 8.000 Studenten und dann haben wir keinen Platz für sie und die Professoren. Es gibt zwei Aspekte von Wachstum: die Studentenzahlen und die Fakultäten sowie Professoren. Bezüglich der Studierenden haben wir das Problem der Dreisprachigkeit: das ist ein Anziehungspunkt, aber gleichzeitig auch eine Schwierigkeit. Ein Problem ist, dass nur wenig Studenten aus dem deutschsprachigen Ausland kommen, weil es dort keine Studiengebühren gibt, hier aber schon. Da muss man eine kreative Lösung finden, denn wir brauchen die Studierenden aus Deutschland und Österreich. Um attraktiver zu werden, müssen wir an den Studiengebühren etwas ändern. Die Schönheit von Bozen reicht als Anziehungskraft nicht aus.
Sie sind für vier Jahre berufen …
… als Rektor, Professor werde ich bis 70 sein. Das war wichtig für mich, denn in Bayern hätte ich mit 66 Jahren in Rente gehen müssen und das wollte ich nicht.
Wo soll die Uni nach vier oder acht Jahren stehen?
Ich denke, die Uni Bozen sollte in den internationalen Rankings sichtbar sein. Die Uni München steht weltweit an 150ster Stelle, wenn die Fakultäten der Uni Bozen auf den 100sten Platz kämen, wäre das eine enorme Leistung. Auch die nationalen Rankings sind wichtig und dass wir konkurrenzfähig werden mit unseren Nachbarn Trient und Innsbruck. Natürlich sind die viel älter und viel größer, aber in Bezug auf die Fakultäten, die wir haben, sollten wir konkurrenzfähig sein. Das wünsche ich mir.
Interview: Heinrich Schwazer
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